Seefahrtszeiten …
Kapitel XII
Unter grünen Segeln
Angefangen hat alles in Cuxhaven, ich wartete als Liason-Officer auf die Yachten der Daimler-Chrysler-Challenge, ich betreute die Peter von Danzig
. Warum machst du nicht mal bei uns mit. Wir suchen immer ehemalige Seeleute mit einem Patent für unsere Stammbesatzung
, so wurde ich von einem anderen Regatta - Betreuer angesprochen.
Bei uns - das war die Deutsche Stiftung Sail Training (DSST) - die sich zum Ziel gesetzt hat, Windjammer für die Jugend unter Segel zu bringen. Nach meinem Motto Immer mal was Neues
, bekam ich nach meiner Bewerbung einen ungeschminkten Brief: Wenn Sie bereit sind, verstopfte Toiletten instand zu setzen und Flurplatten zu reinigen, sind Sie uns herzlich willkommen.
Also habe ich eine Anmeldung für den Törn von Bremerhaven nach Saint Malo auf der Alexander von Humboldt
abgeschickt. Why not? Hatte ich doch in einem früheren Leben alles schon mal, und auch im Oktober durch die Nordsee in die Biskaya habe ich überlebt.
Als gewissenhafter Techniker habe ich mich natürlich für eine dreitägige, vor dem Törn liegende Werftzeit angemeldet, denn ich wusste doch nicht, was mich erwartet. Wie sieht heute eine Maschinenanlage aus? Wie wird das Schiff getrimmt? Was ist mit Treibstoff, Wasser, Kühlanlagen. Was für Gedanken!
Am 06. Oktober um 10.30 Uhr ging ich dann in Bremerhaven an Bord, den Seesack noch im Auto; - erst mal sehen! (Vielleicht kann man noch umdrehen?) In der Messe eine Dame: Frau? Erster Offizier? Zahlmeister? Mit Dutzenden von Listen Hallo wer bist Du?
fragte sie mit einem Lächeln, Herzog aus Hamburg. Ach so der Bernd, Kabine sieben Koje 34, die Maschinisten warten schon auf Dich
.
Seesack aus dem Auto geholt. Der Wind heult mit zehn Beaufort aus Nordwest um die riesigen Masten. Frau geküßt Noch kannst Du mit zurück
, macht sie mir Mut. Elf Uhr Dienstantritt. Werftarbeiten kenne ich ja: Schweißkabel, Brennerschläuche, Männer in Takelhosen, aber was machten die ganzen Alten hier? Da werden Ventile eingestellt, Keilriemen gewechselt, Pumpen zerlegt, Tanks gereinigt und eine komplett neue Feuerwarnanlage installiert. Langsam kommt man ins Gespräch. Ja alles Besatzungsmitglieder, doch war nicht was mit Jugendschiff?
Na klar, wir sind alle schon mal mitgefahren, wird mir erklärt. Aber wir haben die Zeit, das Wissen und Spaß daran, mit den jungen Leuten zusammen die Alex
, wie sie liebevoll genannt wird, in Fahrt zu halten. Meine ersten Aufgaben: Betonabdichtung für Toilettenrohre aufstemmen, Schornstein-Entwässerung reinigen, Ölwechsel an der Hauptmaschine und Getriebe.
Zweiter Tag an Bord sieben Uhr. Guten Morgen lieber Bernd, Wetter ist leider immer noch schlecht, aber Frühstück ist fertig. Es geht in den Maschinenraum! Arbeit ohne Ende! Was hat sich eigentlich geändert? Bin ich 63 oder wieder 23 Jahre alt?
Die Hauptmaschine ist von 1969, die Trimmtank-Ventile sind an Steuerbord und die Seewasserpumpen und die Lenzpumpen an Backbord geblieben. Neu ist nur der Schmutzwasser-Tank und der Frischwasser- Bereiter. Ich bin wieder 23!
Langsam wechselt das Bild an Bord. Die älteren Helfer verabschieden sich ohne große Worte und wünschen eine gute Reise. An Deck sind jetzt junge Leute bei der Einweisung an den Tampen zu sehen, 234 Tampen, in Worten zweihundervierunddreißig, nur für das laufende Gut! Im Gang zur Messe treffe ich auf einen Typ Mensch, den ich gleich erkenne, auch ohne Uniform! Ich bin 23 und er ist Master next God
! Aber er sagt: Hallo Bernd, ich bin Klaus, du bist doch der neue Maschinist?
Wir haben immer noch Wind neun bis zehn Beaufort aus Nordwest und bleiben darum noch in Bremerhaven liegen. Angela spielt Schifferklavier und ein Shanty nach dem anderen wird gesungen. Aber Angela sorgt nicht alleine für gute Stimmung, wir haben 50 Prozent Mädchen an Bord! Es ist kaum zu glauben für ein Fossil wie mich, wurde doch zu meiner Fahrenszeit jede Frau an Bord sehr skeptisch beurteilt. Aber selbst Kapitän Klaus hat mir verraten, dass er sich für seinen Abschieds-Törn eine reine Mädchencrew wünscht! Bombastisch, wie sich die Zeit hinsichtlich Frauen an Bord geändert hat.
Am 11. Oktober um fünf Uhr Leinen los, um halb sechs Uhr fest in der Kaiserschleuse. Meine 0-4 Wache bringt mir ein Geburstagsständchen in der Kaiserschleuse! Morgens um halb sechs, das bringen nur junge Mädchen!
Bei langsam abnehmendem Wind, nur noch sieben bis acht Beaufort fahren wir unter Maschine in die Nordsee.
Hier muss ich noch einen gravierenden Unterschied zu früher einflechten: Die Maschine wird hier von Deck gefahren, das heißt, der Maschinist ist direkt neben dem Rudergänger und bekommt alles an Deck mit, dadurch ist er zwar Wind und Wetter ausgesetzt, aber was macht das schon?
Ich habe die Hundewache 0-4 Uhr. Immer noch sieben bis acht Beaufort aus Nordwest, laufen wir unter Maschine voll gegenan. Claudia macht Ausguck vom Bootsdeck, da über die Back in jedem Wellental das Wasser klatscht. Roland, unser Wachoffizier, und nur noch fünf Mann/ Frau sind an Deck und singen das Lied von den zehn kleinen Negerlein. Dies hat aber leider auch ein Nachspiel: Am nächsten Tag werden die Wachen neu eingeteilt. 12. Oktober sieben Uhr. Ich wache auf, weil die Maschine abgestellt wird. Ein Traum wird wahr! Der Wind hat auf Nordost gedreht und im Osten kommt die Sonne durch den Dunst. Bei fünf bis sechs Beaufort sind alle Segel gesetzt! Wie heißen sie denn noch alle: Großsegel, Großuntermarssegel, Großobermarssegel, Großroyalsegel, Großskysegel. Das ganze am Fockmast noch einmal! Dazu die Stagsegel: Vorstengestagsegel, Innenklüver, Aussenklüver, lager, Flieger, Großstengestag, Großbramstag, Großroyalstag, Besanstag, Besanstengestag, Besanbramstag und der Unterbesan zur Unterstützung der Ruderwirkung.Was für ein Anblick! Nein, was für ein Gefühl! Ich kann es nicht beschreiben. Es ist nur leichter Wind zu spüren, aber die gigantischen Türme aus grüner Leinwand sind prall gefüllt. Jedes der riesigen Rahsegel hat seine eigene Form. Und dann die fünf gestaffelten Stagsegel, am Bug saugend und pressend scheinen sie den Rumpf durch die Wellen zu ziehen. Vorwärts! Weiter! Schneller! Mit zehn Grad Lage nach Steuerbord gleiten? Nein, wir wiegen uns durch die See!
Die Jungs und Mädchen der Freiwache lassen sich kaum Zeit zum Frühstück. Es ist noch so viel zu tun, alle Segel müssen laufend nachgebrasst werden, um optimal zu stehen. Fünf Zentimeter dicke Seile müssen bedient werden. In Lee ein Mann/Frau und in Luv zehn Frau/Mann. Es gibt keine Winschen an Bord, alle Taljen werden von Hand geholt! Alles wird mit äußerster Ruhe gehändelt, man hört nur das rhythmische Hol weg, hol weg
. Zwischendurch ertönt immer wieder das Kommando des Toppmatrosen: Klar Deck
. Dann müssen die Taue auf den Nagelbänken belegt und aufgeschossen werden.
Aber mein Blick geht immer wieder in die gewaltigen Berge von Segeln. Haushoch, im wahrsten Sinne, entspricht doch die Masthöhe einem Haus von zwölf Stockwerken, scheint sie an den Wolken zu kratzen! Und dann, zwischen all dem grünen Tuch, sehe ich Leute auf den Rahen arbeiten! Jungs und Mädels turnen bei zehn Grad Schräglage und bei drei Meter Welle in 30 Meter Höhe von einer Rahnock in die andere. Faszinierend!
Im Laufe der Reise erfahre ich, dass einige der jungen Leute praktisch in der Takelage leben. Selbst in ihrer Freiwache sind sie da zu finden. Die Alex
macht Fahrt! Bei Nordostwind und Strom rauschen wir mit elf Knoten so dicht wie möglich an den Kreidefelsen von Dover vorbei. Wieder bei Sonnenaufgang, so dass die Kreidefelsen in einem tiefen Rot erstrahlen. Jedem Maler würde man so ein Bild als kitschig
vorwerfen.
Einer der neuen in Bremerhaven angebrachten Bass-Schäkel bricht! Kapitän Klaus möchte alle Schäkel wieder gegen die alten Eisenschäkel gewechselt haben. Bei Windstärke vier bis fünf Beaufort aus Ost und drei Meter Welle klettern fast ausschließlich die Mädchen jeder Wache auf die Rahenden, um die 22 Schäkel zu wechseln.
So sehr ich das auch bewundert habe, möchte ich doch die anderen Crew-Mitglieder nicht vergessen. Da war ein Berliner Jugend-Richter, ein Schweizer Flugzeugmechaniker, ein Soziologe, der mit schwer erziehbaren Jugendlichen zusammen lebte, ein Berufsschullehrer, ein lustiger Essigfabrikant und die fantastischen Köche Roland und Ortwin, die mal vor 35 Jahren zusammen auf der Hanseatic
gefahren sind.
Alles Rentner, bis auf die Köche, die für die Reise bezahlen und sich für nichts zu schade sind. Es gibt ja auf der Alex
keine Passagiere. Alle sind in die Mannschaft integriert, dadurch wird jeder mal mit allen Arbeiten konfrontiert. Der Richter schrubbt die Toiletten, der Fabrikant macht Backschaft und der Soziologe steuert auch bei Windstärke acht. Und dann diese herrlichen Diskussionen beim Bier nach der Wache! Junge Leute, die Fragen stellen und Alte, die zuhören sowie Junge, die zuhören was die Alten zu erzählen haben. Es gibt an Bord keinen Fernseher und kein Radio, Musik wird live gemacht, mit der Gitarre, dem Schifferklavier und von unserem Bordarzt, mit seinem echten schottischen Dudelsack.
Es war kein Nebeneinander, sondern ein harmonisches Miteinander zwischen Jung und Alt. Was mich dann noch nachhaltig beeindruckt hat, war eine negative Begegnung, die ich in Büchern immer als Spannungsmacher
abgetan habe. Nachts zwei Uhr. In Höhe Portsmouth kommt von Backbord achtern ein ganz normaler Frachter auf. Der Ausguck meldet schon zum zweiten Mal: Peilung steht! Wir beobachten die Kurse auf dem Radar. Roland ruft über UKW-Arbeitskanal - keine Antwort! Wir schalten die gesamte Decksbeleuchtung ein, alle Segel sind taghell beleuchtet. Keine Reaktion! Roland ruft auf Kanal 16! Wir strahlen mit dem Handscheinwerfer auf die Brücke des inzwischen recht nahen Frachters! Nichts, gar nichts tut sich! Wir fallen zehn Grad nach Steuerbord ab. Der Frachter läuft 500 Meter vor unserem Bug vorbei und wir starren fassungslos auf sein schnurgerades Schraubenwasser.
Da wir ja nun noch reichlich Zeit bis Saint Malo hatten, wurden zu Übungszwecken einige Halsen und Wenden angesetzt. Von Bremerhaven bis Plymouth sind wir auf Steuerbordbug gesegelt. Ich segle auch seit meiner Jugend, aber eine Wende auf einem Rahsegler ist schon ein Ereignis. Bei der Wende geht das Schiff mit dem Bug durch den Wind, die Kursänderung beträgt fast 135 Grad. Die Wende ist nur möglich bei Windstärken zwischen zwei bis drei Beaufort. Bei weniger Wind versagt das Manöver, da das Schiff nicht genug Fahrt macht und bei Starkwind und Sturm stampft sich das Schiff beim Anluven fest. Deshalb werden bei fünf Windstärken vor der Wende die Royal- und Skysegel geborgen. Jetzt werden ungefähr 120 Seile klar zum Laufen gelegt. Alles muss auf freien Durchgang geprüft werden. Sind alle Vorbereitungen beendet, werden die vier Vorsegel niedergeholt, um den Segeldruck nach achtern zu verlagern.
Klar zur Wende! Besan mitschiffs!
Der Besanbaum wird mitschiffs geholt, klar zum Abfieren auf die neue Leeseite. Ruder hart luv
. Das Ruder wird nach luv gedreht und das Schiff beginnt in den Wind zu drehen. Ree!
Zur Unterstützung der Drehbewegung wird die Fockschot gefiert. Großsegel auf!
Das Großsegel wird eingeholt. An die Luv-Großbrassen!
Die Großbrassen werden besetzt und auf der Leeseite klar zum laufen gehalten. Die Toppsegel des Fockmastes stehen nun völlig back und das Schiff dreht langsam durch den Wind. Großtop rund!
Die Rahen des Großmastes werden möglichst schnell rundgebrasst und belegt. Besan ab!
Der Besan wird zur neuen Seite aufgefiert. Stagsegel über!
Die Stagsegel werden auf die neue Seite verschifft. Rund vorn!
Der Fockmast wird rundgebrasst. Vor-Groß-und Stagsegel setzen!
Reihenfolge einhalten! Das sind mindestens sechs Segel mit ungefähr 500 Quadratmeter Segelfläche. Klar Deck!
Die 22 Segel werden auf den neuen Kurs getrimmt und 120 Taue aufgeklart.
Unser Wachoffizier Roland, im richtigen Leben Apotheker aus Dudenhofen, der das ganze Manöver geleitet hat, ist um mindestens zehn Zentimeter gewachsen! Kapitän Klaus, der das ganze kommentarlos beobachtet hat, begibt sich schmunzelnd ins Kartenhaus um den neuen Kurs nach Jersey abzustecken. Wie macht Klaus Ricke das nur? Hat er einen guten Draht nach oben? Wieder bei aufgehender Sonne laufen wir auf die Felsenküste von Jersey zu. Um sieben Uhr kommt der Lotse an Bord. Er ist so begeistert, weil wir noch unter Segel laufen, dass er anfangs nicht bemerkt, wie die vorgelagerten Felsen bedenklich näher kommen. Nun muss alles ganz schnell gehen! Segel aufgeihen, Maschine an.
Jetzt kommt mein Part: Bei ablaufendem Wasser mit fast vier Knoten (12 Meter Tiedenhub) im 120 Meter breiten Hafenbecken das 63 Meter lange Schiff zu drehen. Mein erstes Anlegemanöver! Voll konzentriert auf die Kommandos von Klaus schaffen wir es im ersten Anlauf.
Armdicke Festmacher werden ausgebracht und mit 20 Mann / Frau von Hand durchgeholt. Natürlich haben wir einen Logen-Liegeplatz mitten in der City bekommen. Auch die Hafen-und Lotsengebühren wurden uns erlassen. Dafür haben wir uns mit Open Ship
für alle Touristen bedankt. Am nächsten Morgen neun Uhr Auslaufen nach Saint Malo. Die ganze Küste ist voll Felseninseln und Untiefen. Hier haben die großen Seeschlachten zwischen Nelson und Napoleon stattgefunden. Dass hier mehr Segelschiffe durch missglücktes Wenden oder Halsen verloren gingen ist glaubhaft.
In der Bucht von Saint Malo gehen wir vor Anker, denn am Ende jeder Reise gibt es, wie auf dem Traumschiff, ein Käptn's Dinner: Cocktail von Meeresfrüchten mit frischem Kräuterbaguette
— Rumpsteak mit Speckspätzle
— Frischer Obstsalat auf Eis in einer Creation à la Smut und Smutje
— Wein: Château du Languedoc. Aber nicht so langweilig wie im Traumschiff! Hier wird bekannt gegeben, wer seine Leichtmatrosen- oder sogar Matrosenprüfung bestanden hat. Die Wachen bedanken sich bei ihren Toppmatrosen. Unser Berliner Richter hält eine ergreifende Rede über unsere fantastischen jungen Leute! Dem Gemeinschaftsgedanken wird hier nochmals besonders Ausdruck gegeben, indem die Toppmatrosen die Mannschaft bedienen, Kapitän und Steuerleute abwaschen. Die Maschinisten müssen dann alles was aus Metall ist abwaschen. Ich habe es nie für möglich gehalten, wie viele Töpfe und Schüsseln es in so einer kleinen Pantry gibt.
Saint Malo: hier endet meine erste Reise auf der Alex
. Wir haben noch einen Hafentag und der Agent bietet uns einen Ausflug zum Wallfahrtsort Mont Saint-Michel für 35 Euro an. Unsere französisch sprechenden Studenten gehen an Land und organisieren eine Fahrt für zehn Euro. Es ist eben keine Reise aus dem Katalog, sondern aus dem Leben!