Seefahrtszeiten …
Kapitel I
Seekrank
Am 30. September 1960 hatte ich meine dreieinhalbjährige Lehrzeit als Schiffsmaschinenbauer auf der Schlieker WerftLesen Sie von diesem Autor auch:
Mein langer Weg zur Schlieker-WerftKlick … beendet und damit die Voraussetzung für eine Tätigkeit als Ingenieurs-Assistent bei der Seefahrt geschafft.
Dass ich zur See fahren würde stand schon bei meiner Geburt fest! Recherchen und ein bisschen Rechnen haben ergeben, dass meine Mutter im Januar 1940 auf dem Nordatlantik mit an Bord der Bährenfels
von der Bremer-Lloyd-Reederei war, wo mein Vater als 1. Ingenieur fuhr. War ich doch schon mit fünf Jahren bei meinem Vater an Bord im Hamburger Hafen, wo mein Vater bei der Marine-DienstgruppeLesen Sie von diesem Autor auch:
Worüber nicht gesprochen wurdeKlick … der britischen Besatzer arbeitete, sodass meine Mutter meine Lebensmittel-Marken mit für meinen Bruder verwenden konnte.
Am 4. Oktober 1960 habe ich dann als Ingenieurs Assistent auf dem 3600 Brt. Kühlschiff »AUGUSTENBURG« angemustert. Schneeweiß mit einem Rumpf, der eher einer Jacht als einem Frachtschiff glich, lag sie an den Pfählen.
An Bord wurde ich vom II. Ingenieur Meier begrüßt. Herr Meier war kein Hamburger, er war Blankeneser
. Da wir einen SupercargoDas Wort Supercargo kommt aus dem Englischen (supervision cargo) und ist am besten mit Ladungsexperte oder Stauberater zu übersetzen. Ein Supercargo berät den Kapitän und den Ladungsoffizier auf einem Frachtschiff bei der Beladung des Schiffes. Er gehört nicht zur Schiffsbesatzung, sondern wird meist vom Inhaber der Ladung, oder einem anderen Ladungsbeteiligten gestellt.Quelle: Wikipedia mit an Bord hatten, wurde mir erst mal eine Kammer auf dem Achterdeck über der Schraube zugewiesen.
Da wir noch einige Tage an den Pfählen liegen sollten fuhr Herr Meier jeden Abend nach Hause. Von Blankenese mit der Straßenbahn zum Hafen kam Herr Meier über den Gänsemarkt, wo er für die Besatzung jeden Tag beim Stadtbäcker Brötchen holte. Bis, ja bis ihn zufällig ein anderes Besatzungsmitglied beim Brötchenkauf beobachtete. Herr Meier kaufte nämlich Brötchen vom Vortag, die waren zwei Pfennige billiger. Uns hat er natürlich den vollen Preis berechnet. War eben ein echter Blankeneser. Bloß, nun war es vorbei mit morgens Brötchen, wenn wir auch so kleinlich waren.
Aber nun war es auch soweit. Wir verholten an die Pier und wurden mit hunderten von VW-Käfer Autos beladen. Alle fabrikneu mit Wachs überzogen, wurden sie bis in die hintersten Ecken geschoben und jeder einzeln verzurrt. Mir kam das ja etwas übertrieben vor, aber ich wurde bald eines Besseren belehrt!
Endlich ging es los! Nach Amerika zu den Indianern, hatte ich doch so viel bei Karl May gelesen, zu den Wolkenkratzern, habe ich in der Zeitung doch Bilder gesehen, wie die Bauarbeiter im achtzigsten Stock auf einem Eisenträger sitzend Frühstück machen!
Die Wachen waren eingeteilt. Es gab an Bord drei Wachen, von vier bis acht Uhr, acht bis zwölf Uhr und von zwölf bis vier Uhr jeweils am Tag und in der Nacht, darum wurde die nächtliche zwölf bis vier Wache auch Hundewache
genannt.
Auf Revierfahrt wurden die Wachen doppelt besetzt, das heißt, man musste zwei Stunden vor und zwei Stunden nach seiner eigentlichen Wache in der Maschine sein. Also acht Stunden Dienst, vier Stunden frei und wieder acht Stunden Dienst. Revierfahrt war vom Ablegen, bis das Schiff die offene See erreicht hatte, der letzte Lotse das Schiff verlassen hatte, oder der Kapitän es für erforderlich hielt. Das alles für umgerechnet 300.- D-Mark plus 60.- D-Mark Überstundenpauschale im Monat. Davon wurde die Hälfte auf ein Sparbuch überwiesen, die andere Hälfte war Bordguthaben, von dem man Geld entnehmen konnte für Landgang und für Waren, die wir an Bord kaufen konnten. Außerdem hatte man noch ein Uniformkonto, auf das die Reederei jeden Monat 24.- D-Mark überwies. In meinem Fall hatte ich bei dem Uniformausstatter Brennecke eine Erstausstattung für 370.- D-Mark erhalten. Diese wurde mit den 24.- D-Mark durch die Reederei abbezahlt. Wenn man aber bei der Reederei kündigte oder entlassen wurde, musste die Restsumme selber bezahlt werden.
Bei mir dauerte es also 15 Monate, bis die Uniformen bezahlt waren. Der Haken an der Geschichte war aber, dass nach 15 Monaten die Uniform auch verschlissen war, so dass man praktisch mit seinem Uniformkonto immer im Minus war. Die beiden Hauptmaschinen bestanden aus zwei Zehnzylinder MAN Zweitakt- Motoren, ungefähr 15 Meter lang und drei Stockwerke hoch. Jede Maschine mit 3.600 PS. Die vier bis acht Wache war die Wache des zweiten Ingenieurs, da dieser die gesamte Verantwortung für die Maschinenanlage hatte. Auf der Wache wurden alle wichtigen Arbeiten gemacht. Zum Beispiel den Brennstoff-Tagestank über die Separatoren füllen, Leistungsmessungen der einzelnen Zylinder, Peilungen aller Brennstoff- und Ölbestände, Einteilung der Tagelöhner, das sind Schmierer und Reiniger, die zusammen mit dem Storekeeper Reinigungs- und Malerarbeiten machten, außerdem waren sie bei den Überholungen der Hilfsdiesel mit behilflich, die aber im wesentlichen von den Ing-Assis gemacht werden mussten, hatten sie doch dreieinhalb Jahre Maschinenbau gelernt.
Die Hilfsdiesel dienten zur Stromerzeugung für das ganze Schiff. Es gab drei Hilfsdiesel, die nur im Hafen alle eingesetzt wurden, wenn die Winschen für den Ladebetrieb oder die Kühlanlage Strom brauchten. Im normalen Betrieb auf See genügte ein Diesel für die Stromversorgung und einer für den Notfall. Sobald wir auf offener See waren, im Atlantik nach der Passage des Englischen Kanals, wurde also ein Diesel zerlegt, natürlich nicht von den Wachhabenden, für die gab es genug andere Aufgaben. Das hieß für mich, von vier bis acht Uhr Wache, Frühstück, von 9-12 Uhr Arbeiten an dem Diesel, Mittagessen, dann Sachen für mich erledigen, beispielsweise Wäsche waschen von Hand, Waschmaschinen an Bord gab es noch nicht. Berichte schreiben, lernen für die Aufnahme-Prüfung zur Ingenieurs-Schule. Manchmal ein bisschen Mittagsschlaf. Um 16 Uhr dann wieder auf Wache.
Um 18 Uhr wurde ich von einem Kollegen für eine halbe Stunde zum Abendbrot abgelöst. Das heißt aber nicht eine halbe Stunde gemütlich essen, sondern aus der Maschine in die Kammer, Arbeitszeug ausziehen, waschen, Uniform anziehen, ohne Uniform durfte man in der Offiziersmesse nicht erscheinen, zum Essen gehen, wieder in die Kammer, umziehen und wieder in die Maschine. Alles in einer halben Stunde. Wenn man zu spät kam, war der Kollege sauer, denn Abendbrot wurde nur bis 19 Uhr serviert. Außerdem musste man sich noch mit dem Steward gut verstehen, sonst bekam man das Essen so heiß serviert oder spät, dass von der Pause nicht viel übrig blieb.
Zurück zum Auslaufen aus Hamburg, ich war also in die vier bis acht Wache bei Meier-Blankenese eingeteilt.
Gesteuert wurde die Maschinen von der Stirnseite über Handräder, die Steuerbord- Maschine vom 2. Ing. die Backbord- Maschine vom 3. Ing. Meine Aufgabe war das Führen des Manöverbuchs, an einem Stehpult musste ich alle Manöver, Befehle, die von der Brücke über den Maschinen-Telegrafen kamen, aufschreiben.
Zum Beispiel:
Neben dem Stehpult war das Telefon mit direkter Verbindung zur Brücke. Es klingelte und der II. Ing. gab mir ein Zeichen, dass ich rangehen sollte. Irgendjemand sagte Wasser an Deck
. Nun war ich ja ein plietscher Hamburger Jung und hatte schon viel davon gehört, das die Neuen an Bord erst mal ganz schön veralbert werden, von wegen Kompassschlüssel holen und sonstigen Blödsinn. Da wir gerade Mal in Höhe Blankenese sein konnten, es auf der Elbe aber keine Wellen gab, sagte ich na denn passt mal auf, dass ihr keine nassen Füße bekommt
und legte den Hörer auf. 30 Sekunden später klingelte es wieder. Jetzt ging Meier-Blankenese ran. Er sagte mir ins Ohr du sollst mal auf die Brücke kommen
Ich machte mich also auf den Weg, die fünf Stockwerke zur Brücke zu entern. Sicher wollte der Kapitän mal sehen, was für einen plietschen Assi er da an Bord hatte.
In der Brückennock angekommen, sah ich ganz viele blaue Uniformen mit ganz vielen goldenen Streifen an den Ärmeln. Die kleinste Uniform mit drei Ärmelstreifen, der first Mate (erster Offizier) schoss auf mich zu. Und dann sah ich nur noch ein hassverzerrtes Gesicht mit einem großen Loch in der Mitte, aus dem immer neue Beschimpfungen hervorquollen: Idiot, Spinner, wirst schon sehen, eingebildet
und so weiter … — Minuten lang. Irgendwie bin ich dann zurück in die Maschine und Meier-Blankenese grinst auch noch blöde!
Wasser an Deck heißt nämlich: Deckwaschpumpe anstellen, damit die Matrosen das Deck waschen können.
Es war Oktober und wir näherten uns der Nordsee. Hinter Cuxhaven fing es so langsam an zu schaukeln. Irgendwie wurde ich müde und dann wurde mir schlecht. So schlecht, dass ich mich übergeben musste. Meier-Blankenese hatte das Elend wohl schon kommen sehen und gab mir einen Eimer, der am Fahrpult angebunden wurde. Immer wenn ich mich in den Eimer übergeben hatte, musste ich mich dann draufsetzen, damit es für die andern nicht so stank. Selbstverständlich mussten alle Wacharbeiten weiter durchgeführt werden. Das heißt: Temperaturen ablesen alle zwei Stunden, Wellenlager im 30 Meter langen Wellentunnel auf Backbord und Steuerbordseite mit Öl auffüllen, Hauptmaschinen reinigen und immer wieder kotzen.
Endlich war meine Wache zu Ende! Wir waren inzwischen schon auf der Nordsee, das Schaukeln wurde immer schlimmer. Nun musste ich in meine Kammer auf das Achterdeck. Von Mittschiff bis zum Achterschiff waren es etwa 40 Meter. Um diese Strecke zu schaffen waren sogenannte Manntaue gespannt, an denen man sich festhalten konnte, wenn die Wellen über das Deck schlugen, um nicht über Bord gewaschen zu werden. Praktisch sah es so aus: An der Mittschiffstür warten, bis sich das Schiff am tiefsten Punkt der Stb. Seite befand, dann Tür auf, raus und so schnell wie möglich nach achtern rennen. Die Tür der achteren Aufbauten öffnen, (Stahltür mit zwei Riegeln), reinspringen und die Tür wieder verriegeln, damit die nächste See nicht in die Gänge schwappt. Hatte man den richtigen Zeitpunkt zum Losrennen verpasst, musste man sich eine Schaukelperiode an den Manntauen festhalten und die Welle über sich ergehen lassen. Das war aber nicht das Schlimmste, viel mehr Angst hatte ich davor, dass die schwere Eisentür beim nächsten Schaukeln nach Steuerbord mir die Füße abquetscht, wenn ich nicht schnell genug war.
In meiner Achterdeck-Kabine ging es aber nun erst richtig los. Das Schiff bewegt sich ja nicht nur von rechts nach links, sondern auch von oben nach unten und das natürlich besonders im Heckbereich. Es ging zehn Meter nach unten und dann zehn Meter nach oben. Dazu schüttelte sich der ganze Heckbereich, wenn die Schiffsschrauben aus dem Wasser kamen. Beim Eintauchen mahlten die Schrauben ganz schwer, beim Auftauchen rasten die Schrauben, bis der Regler die Maschinen-Umdrehungen herunter gefahren hat, das dauerte so zwei Minuten. Und mir war so schlecht!
Endlich lag ich in meiner Koje und es ging etwas besser, da stand auch schon Meier-Blankenese in der Tür. Alte Sau, nach der Wache duscht man sich
, war sein heißer Tipp. Und mir war so schlecht! Habe ich gedacht. Ich hatte einen wahnsinnigen Durst auf eiskalte Cola, aber jeder Schluck kam in hohem Bogen wieder raus. Ich weiß heute nicht mehr, wie ich meine Wachen überstanden habe, aber krank sein gab es nicht! Die Wellen, die ich beobachten musste um nach achtern zu meiner Koje zu kommen, wurden zu meinen Feinden. Mal waren sie über mir und dann wieder ganz unten. Sie waren hässlich und grau, mit weißen Schaumkronen. Immer aufs Neue und immer bösartiger schmissen sie das Schiff in alle Richtungen. Hört das denn nie auf! Mir war so schlecht, dass ich ernsthaft überlegt habe über Bord zu springen. Es war die Hölle!