Elisabeth Borchers Vorfahren (1860–1939)
Kapitel 3:
Die Familie Borchers
Mein Schwiegervater Rudolf BorchersRudolph Borchers ist geboren zu Groß Hilligsfeld bei Hameln am 25. Februar 1820 als Sohn des Pastors Friedrich BorchersFriedrich Borchers und seiner Ehefrau Luise geb. MeyerLuise Borchers, geb. Meyer aus Lemförde.
Die Borchers stammen, wie ich von meinem Schwager Friedrich [Borchers]Friedrich [Borchers] erfahren habe, vom Harz und sind früher Bergleute gewesen. Durch mehrere Generationen haben sie indes dem geistlichen Stande angehört. Jedenfalls entstammte schon der Vater meines Schwiegervaters [Friedrich Borchers] einem Pfarrhause. Er ist 1782 in Thomasburg geboren und starb 1858 als Pastor in Brelingen 76-jährig. Wenigstens war sein Vater [Peter Borchers], der in den Jahren 1787 bis 1798 Pastor von Moisburg war, dorthin von Thomasburg versetzt worden. Ehe er die Pfarre zu Groß Hilligsfeld erhielt, ist er eine Zeitlang in Lemförde oder einem andern Ort der Grafschaft Diepholz als Hilfsprediger oder Hauslehrer gewesen. Näheres würde eventuell aus dem Archiv der Superintendentur Diepholz zu erfahren sein. Seine Ehe mit Luise Meyer bezeichnet der damalige Superintendent als eine Mesalliance, wohl weil seine Frau aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammte. Sie muss aber eine treffliche, fromme Frau gewesen sein. Ihre Gesichtszüge zeigen eine große Innigkeit. Die ähnlichkeit mit ihrem Sohn ist unverkennbar, wenn derselbe auch zugleich an das Bild seines Vaters erinnert.
Ein Bildnis, das beide EheleuteLuise Borchers geb. Meyer und Friedrich Borchers nebeneinander sitzend zeigt, der Mann im Talar, befindet sich im Besitze meiner Frau. Luise Borchers hat ihren Mann um etwa vier Jahre überlebt. Sie starb im Hause ihres ältesten Sohnes in Eickeloh. Rudolf Borchers war der älteste von vier Brüdern, von denen einer, Heinrich, als Gutspächter zu Kuhla bei Himmelpforten im Jahre 1885 starb. Der nächstjüngere Friedrich, geboren 1832 oder 1833, starb 1897 als Pastor zu Römstedt bei Bevensen. Der jüngste Karl ging als Farmer nach Amerika. Von ihm weiß ich sonst nichts. Zur Familie gehörten aber noch sechs Schwestern, von denen zwei älter waren als Rudolf. Die älteste Sophie, schon früh schwerhörig, im Alter fast ganz taub, starb unverheiratet in Brelingen, wo sie nach dem Tode ihres Vaters geblieben war. Die zweite Friederike verheiratete sich mit dem Kaufmann Groneweg, den sie nach Amerika begleitete, der aber unterwegs auf dem Schiffe starb. Die dritte Auguste heiratete den Kaufmann Schär in Bergen bei Celle. Die vierte, Charlotte, war erst Repräsentantin der Hausfrau bei dem verwitweten Chef des kurhessischen Justizministeriums Etienne, der 1866 in die preußische Justizverwaltung übernommen und Vicepräsident des Landgerichts in Göttingen mit dem Charakter als Geheimer Ober-Justizrat wurde, und wurde später dessen Frau. Die fünfte Luise heiratete den Pastor Bohm in Embsen, später in Groß-Döhren, die sechste Berta den Forstmeister Kahle.
Unser Vater [Rudolph Borchers] erhielt 1847 die Pfarre zu Sülze bei Celle, ein Patronat der Familie von Harling, mit der er durch eine Base, die mit dem Landschaftsrat von Harling auf Eversen verheiratet war, verschwägert war. Im Jahre 1859 erhielt er die Pfarre zu Eickeloh bei Ahlden, 1870 die zu Sinstorf bei Harburg. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor, zwei Töchter Marie und Adele und ein Sohn Rudolf. Nach dem Tod seiner ersten Frau im Jahre 1854 verheiratete er sich zum zweiten Mal am 28. Juli 1857 mit Thekla von StoltzenbergThekla von Stoltzenberg, Tochter des Obersten [Theodor] von Stoltzenberg auf Luttmersen bei Neustadt am Rübenberge.
Nach dem Tod des Vaters war er das eigentliche Familienhaupt. Schon äußerlich eine imponierende Erscheinung, etwas über Mittelgröße, breitschultrig, mit einem charakteristischen an Luther erinnernden Kopf, war er tatkräftig, umsichtig, mit praktischem Fleiß begabt und machte sein Haus zum Sammelpunkt seiner Geschwister, für die jüngeren teilweise auch zur Zuflucht. Darauf angewiesen für seinen großen Geschwisterkreis und seine eigene von Jahr zu Jahr anwachsende Familie zu sorgen richtete er in seinem Hause ein Pensionat ein, das zu Zeiten so zahlreich besucht war, dass die Pensionäre in einem Nebengebäude untergebracht wurden, und einen gewissen Ruf auch in weiteren Kreisen hatte. Eine große Anzahl junger Leute ging so im Laufe der Jahre durch sein Haus, die ihm teilweise über Tod und Grab hinaus Liebe und Anhänglichkeit bewahrt haben. So bezeugte ihm der mecklenburgische Oberkirchenrat Bars bei seinem Tode, dass in seinem Hause ihm zuerst die Welt des Glaubens aufgegangen sei. Da er den Unterricht seiner zahlreichen Zöglinge unmöglich allein bewältigen konnte, nahm er Kandidaten der Theologie ins Haus, die zugleich geistliche Förderung und Anleitung für ihr späteres Predigtamt von ihm erhielten. Ohne dass er ein eigentlicher Gelehrter war, hatte er doch bis in sein Alter einen offenen Blick für Neuerscheinungen und Bewegungen auf dem Gebiet der Theologie, so dass er verständnisvoll auf die jungen Theologen eingehen konnte und sie wiederum willig machte, von ihm praktische Anleitung anzunehmen. Der langjährige Studiendirektor im Kloster Loccum Karl SchusterCarl Friedrich Theodor Schuster (1833-1907) war ein deutscher lutherischer Theologe, Konsistorialrat und Generalsuperintendent der Generaldiözesen Calenberg und Hannover. 1865 wurde er Konventualstudiendirektor in Loccum.Siehe Wikipedia.org [19] bezeugte in einer 1876 von ihm herausgegebenen Schrift über das Hospiz zu Loccum, dass gerade aus dem Borchersschen Pfarrhause eine Reihe tüchtig vorgebildeter Theologen in das Hospiz eingetreten seien. Einige derselben wurden dann später seine Schwiegersöhne. So der feinsinnige, aus dem Westdeutschen stammende, aber in den Dienst der mecklenburgischen Kirche übertretende Gabert, dessen Tüchtigkeit auch seitens seiner Kirchenbehörde die Anerkennung erhielt, dass er jahrelang Mitglied der theologischen Prüfungskommission wurde, der die älteste Tochter Marie heiratete. So der feurige, später im Kampf mit der Separation in Hermannsburg bewährte Plathner, der die zweite Tochter Adele heimführte. Auch Emil von HanfstengelEmil von Hanfstengel, später Pastor von Meyenburg und Misselwarden, der die älteste Tochter aus zweiter Ehe, Wilhelmine [Borchers]Wilhelmine [Borchers] heiratete, war teils lehrend teils zu seiner eigenen geistigen und gemütlichen Auffrischung durch das Borcherssche Haus hindurchgegangen und verdankte den Einflüssen desselben seine Aufmunterung aus einer durch ein Kopfleiden hervorgerufenen Willensschwäche. Er hat sich in kleinen Verhältnissen als ein überaus treuer Seelsorger bewährt.
Das Familienleben hat freilich unter dem beständigen Aus- und Eingehen so vieler Fremder und den Pflichten gegen sie gelitten. Notgedrungen traten die eigenen Kinder zurück. Die Söhne wenigstens haben den eigenen Vater, der mit seiner ernsten Art leicht die Geduld mit ihnen verlor, wohl mehr gefürchtet als geliebt. Umso inniger schlossen sie sich an die Mutter an, die allen gleicherweise, den Stiefkindern wie den eigenen, Muttertreue und Mutterliebe bewies in selbstlosester, hingebendster Weise.
Seit der Versetzung in die große und schwierige Gemeinde Sinstorf wurde die Pensionstätigkeit mehr und mehr abgebaut. überhaupt erlebte der Vater hier etwas von dem Nachuntenwachsen der Christen. Sülze wie Eickeloh waren Gemeinden von reger Kirchlichkeit, in denen er viel Frucht sah, in denen auch seine Missionsliebe, die durch die Freundschaft mit Ludwig HarmsLudwig Harms (1808-1865) war ein deutscher evangelischer Theologe. Er gilt als der Erwecker der Heide
. Als einer der bedeutendsten christlichen Erweckungsprediger des 19. Jahrhunderts machte er Hermannsburg in der Lüneburger Heide, wo er 1849 die Hermannsburger Mission gründete, zum bedeutendsten Zentrum der Erweckungsbewegung in Niedersachsen.Siehe Wikipedia.org [20] geweckt war und die er in der Verbundenheit mit Theodor HarmsTheodor Harms (1819-1885) war ebenfalls Theologe. Sein älterer Bruder Ludwig Harms berief ihn 1849 zum Inspektor der Missionsanstalt in Hermannsburg. Als sein Bruder am 14. November 1865 starb, übernahm Harms die Missionsleitung. Außerdem folgte er der Berufung als Hermannsburger Pfarrer.Siehe Wikipedia.org [21], dem von der Universitätszeit her ihm Nahestehenden, weiter pflegte, Verständnis fand. In Sinstorf gravitierte das Leben nach dem nahen Hamburg und seinem Vorort Harburg, um das die Gemeinde in breitem Bogen sich herumlegte, so dass nur wenige den Weg zur Kirche fanden. Erst ein halbes Jahr vor seinem Tode gelang es ihm, ein Missionsfest zu veranstalten, zu dem sonst der schöne Eichenkamp vor dem Pfarrhause so traulich eingeladen hätte. Aber er ließ sich in der Seelsorge, für die er bei dem ihm zur Natur gewordenen Eingehen auf andere besonders begabt war, nicht beirren und erlebte dabei auch manche Freude. Von der Kanzel erreicht mein Wort nur wenige
, sagte er wohl, aber an Kranken- und Sterbebetten erfahre ich es doch, dass das Wort Gottes nicht leer zurückkommt
. Auch seine Liebe zur Mission wusste er weiter zu betätigen. Als die Gemeinde Hermannsburg zur größeren Hälfte ihrem Pastor in die Separation folgte und damit eine ernste Krisis über die Hermannsburger Mission kam, war er einer von denen, die am entschiedensten dafür eintraten, dass die Landeskirche von der Mission nicht lassen dürfe, und gehörte zu den Vätern der Lehrter Konferenz, die die Verbindung zwischen beiden pflegte und die Aussöhnung, die er freilich nicht mehr erleben sollte, anbahnte.
Einen so kräftigen Eindruck sein Körper machte, so war doch seine Gesundheit schon mehrere Jahre vor seinem Tode nicht die festeste. Vollblütigkeit und damit zusammenhängende Atemnot machte ihm zu schaffen. Alljährliche Reisen ins Bad schafften zeitweise Erleichterung, brachten aber keine Heilung. Ein leichter Schlaganfall, der ihn im Herbst 1885 auf der Kanzel traf, ließ ihn nach Hilfe in der Predigtarbeit suchen. Vorübergehend leistete ihm dieselbe sein Sohn Friedrich. Als derselbe ins Amt kam, nahm er einen Prädicanten, cand. theol. Wiltert, ins Haus. Sehr bewegte ihn der Tod seines jungen ihm mit großer Verehrung anhängenden Amtsbruders Kastropp. Als er zur Beerdigung desselben, die ich als dessen nächster Amtsnachbar zu halten hatte, herüber kam, sagte er tief ergriffen zu mir: Ich dachte, ich sollte der Nächste sein; nun trifft es einen, an den wir gar nicht gedacht.
Es war am 4. Februar 1887. Am 10. Februar lag er selbst auf dem Totenbett. Ein Schlaganfall hatte ihn, ohne dass er es im Schlafe selbst merkte, dahingenommen.
[20] Ludwig Harms (1808-1865) war ein deutscher evangelischer Theologe. Er gilt als der
Erwecker der Heide. Als einer der bedeutendsten christlichen Erweckungsprediger des 19. Jahrhunderts machte er Hermannsburg in der Lüneburger Heide, wo er 1849 die Hermannsburger Mission gründete, zum bedeutendsten Zentrum der Erweckungsbewegung in Niedersachsen.
[21] Theodor Harms (1819-1885) war ebenfalls Theologe. Sein älterer Bruder Ludwig Harms berief ihn 1849 zum Inspektor der Missionsanstalt in Hermannsburg. Als sein Bruder am 14. November 1865 starb, übernahm Harms die Missionsleitung. Außerdem folgte er der Berufung als Hermannsburger Pfarrer.