Die Vorfahren von Johannes Dittrich und Elisabeth Borchers
Kapitel 4:
Die Familie von Stoltzenberg
Die zweite Frau meines Schwiegervaters, die Mutter meiner Frau, Thekla geb. von Stoltzenberg, war am 19. Oktober 1830 als dritte Tochter des Obersten Theodor von Stoltzenberg auf Luttmersen bei Neustadt am Rübenberge geboren. Theodor von Stoltzenberg war am 22. Mai 1791 geboren und verheiratet mit Wilhelmine von Dincklage, geboren 1799, gestorben im September 1874. Als junger Offizier hatte er in den Jahren 1810 bis 1813 an den Kämpfen des deutsch-englischen Lagers in Spanien gegen Frankreich teilgenommen. Als im November 1812 die englische Armee vor der französischen übermacht von Salamanca sich zurückziehen musste, war er auf die Aufforderung Freiwillige vor
mit einer Abteilung von 25 Mann zurückgeblieben, um das Einrücken der Franzosen zu beobachten und zu melden, hatte sich aber vor verfolgenden französischen Schwadronen selbst zurückziehen müssen und er hatte sich auf Umwegen und nach verschiedenen Abenteuern zum Hauptquartier, wo er sich bei WellingtonArthur Wellesley, 1. Duke of Wellington persönlich meldete und wieder zu seinem Regiment, wo man ja seine Abteilung bereits als Kriegsgefangene gemeldet hatte, zurückgefunden. Ende des Jahres 1813 nach England zurückgekehrt, hatte er von den Niederlanden aus im Jahre 1814 am Kriege gegen Napoleon teilgenommen und 1815 den vor Napoleons Rückkehr aus Elba flüchtenden König Ludwig XVIII
König Ludwig XVIII persönlich über die Grenze nach den Niederlanden eskortieren müssen. Nach seiner Verabschiedung hatte er sein Gut Luttmersen bewirtschaftet und war im Jahr 1871 gestorben. Die Gesichtszüge auf seinem BildnisDas Bildnis Theodor von Stoltzenbergs ist leider nicht mehr vorhanden. [22] zeigen Energie und eine gewisse Schalkhaftigkeit. Von seinen fünf Söhnen Wilhelm, Theodor, Rudolf, Ulrich, Viktor ist der vierte als hannoverscher Offizier am 27. Juni 1866 bei Langensalza gefallen, während der älteste Wilhelm in diesem Kriege auf österreichischer, der jüngste Viktor auf preußischer Seite kämpfte. Persönlich ist mir der dritte, Rudolf, der das Gut Luttmersen nach dem Tode des Vaters bewirtschaftete, bekannt geworden. Als CollaboratorCollaborator, lat., Mitarbeiter, in einigen deutschen Ländern Titel eines Lehrers an den unteren Gymnasialklassen.Siehe Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 2, S. 159 [23] in Hannover sah ich ihn häufig am Tische des dortigen Vereinshauses, wo wir Kollaboratoren zu Mittag aßen und wo Herr von Stoltzenberg, wenn er von seinem Gut nach Hannover kam, ebenfalls seinen Mittagstisch einnahm.

Er zeigte immer viel Interesse an uns, lud sich dann auch, als ihm meine Verlobung mit seiner Nichte angezeigt wurde, zur Hochzeit ein, erschien aber nicht. Flüchtig habe ich dann noch den ältesten, Wilhelm, kennengelernt, der früh den Militärdienst quittiert hatte und sich mit historischen Forschungen beschäftigte, als er uns im Frühjahr 1886 mit meinem Schwager Albert [Borchers]Albert Borchers in Moisburg besuchte.
Von den vier Schwestern meiner Schwiegermutter habe ich die älteste, Irmgard [von Stoltzenberg], geboren 1827, kennen gelernt, als ich daran dachte, mit ihr in verwandtschaftliche Beziehungen zu kommen. Sie war zuerst Diakonisse in Ludwigslust gewesen und in Anerkennung ihrer Verdienste bei der Verwundetenpflege im Kriege 1870/71 vom Kaiser zur Oberin des Klosters Mariensee ernannt worden, hatte aber für ihren Drang nach Betätigung der Nächstenliebe bei den Klosterdamen kein Verständnis gefunden und hatte deshalb ihre Stellung nach kurzer Zeit wieder aufgegeben um sich der Kinder- und Krankenpflege zu widmen. Als ich sie kennen lernte, leitete sie das Kinderheim in Rothenfelde, zugleich aber auch die Diakonissenstation in Osnabrück und kam von da wiederholt zum Besuch der Oberinnen des Friederikenstifts, dessen Hausgeistlicher ich damals war. Sie begrüßte mich nach meiner Verlobung als Neffen und bot mir das Du an, hat aber leider niemals den Weg zu uns gefunden. Die zweite Schwester Sophie, geboren 1828, war Stiftsdame im Kloster Börstel, vielfach künstlerisch begabt, sehr verehrt und geliebt von ihren verschiedenen Nichten, für die es ein Fest war wenn sie bei der Tante weilen durften. Auch die jüngste der Schwestern, HermineHermine von Stoltzenberg, geboren 1838, hielt sich bei ihr auf, bis sie ihren eigenen Klosterplatz im Kloster Fischbeck einnehmen konnte. Die auf meine Schwiegermutter zunächst folgende Schwester Amalie, geboren 1834, gestorben als Priorin des Klosters Walsrode im Jahre 1910, hat dort als freiwillige Diakonisse der ganzen Stadt großes gewirkt und allgemeinste Verehrung gefunden.
Der Mutter der Armen und Kranken
lautet die Inschrift auf dem Grabstein, den die Stadt Walsrode ihr hat setzen lassen. Die jüngste Hermine war wohl der am wenigsten ausgeprägte Charakter, war aber wegen ihrer Herzensgüte und Hilfsbereitschaft in der ganzen Familie beliebt. Ich lernte sie zuerst, wie ihren Schwager Rudolf, am Tische des Vereinshauses in Hannover kennen, wo sie der Frau desselben, die eine Kur im Henriettenstift gebrauchte, Gesellschaft leistete.
Die Großmutter Wilhelmine von Stoltzenberg [geb. von Dincklage] überlebte ihren Mann um zehn Jahre. Nach seinem Tode hielt sie sich mit ihrer jüngsten Tochter in Börstel bei Sophie auf. Sie starb gerade in den Tagen der Hochzeit ihrer ältesten Enkelin Wilhelmine mit Emil von Hanffstengel im September 1881.
[23] Collaborator, lat., Mitarbeiter, in einigen deutschen Ländern Titel eines Lehrers an den unteren Gymnasialklassen. Typisch war der Einstieg in den Schuldienst nach dem Ende des Studiums als Collaborator, wonach man gegebenenfalls zum Subrektor usw. aufsteigen konnte. Siehe: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 2, S. 159