Mit dem Fernbus durch den Vorderen Orient
Von Jerusalem nach Teheran
Wenn man im Vorderen Orient lange Strecken überwinden will, nimmt man ein Flugzeug. Wenn man sich keinen Flug leisten kann, nimmt man ein Service-Taxi. Und wenn einem auch das zu teuer ist, legt man lange Strecken mit dem Fernbus zurück. Wir gehörten zu der letzten Gruppe.
Am Montag, 28. Juni 1965 soll die Reise losgehen, aber der Montags-Bus nach Bagdad ist bereits ausgebucht. So fahren wir am Dienstagmorgen in Jerusalem vom Busbahnhof vor dem Damaskustor ab. Unsere erste Etappe geht bis Amman, von dort aus begeben wir uns am Mittag auf die lange, schnurgerade Wüstenstrecke quer durch Jordanien. Als es dunkelt, passieren wir die irakische Grenze.
Wer jetzt an die heutigen Fernbusse in Deutschland denkt, kann sich die Reise in einem Fernbus im Vorderen Orient im Jahre 1965 nur schlecht vorstellen. Der Fahrerwechsel erfolgte während der Fahrt, was Zeit sparte, und der Ersatzfahrer war wohl der halbwüchsige Sohn des Fahrers. Der Bus war ausgesprochen spartanisch ausgestattet. Dazu kam noch die Qualität
der Iraker Straßen.
Zum Glück ist der Bus nur halb voll. So hat jeder von uns eine eigene Bank. Als es schon hell wird, schlafe ich endlich ein – für eine halbe Stunde. Am Morgen passiert es dem Fahrer öfter, dass er am Steuer einnickt – jedenfalls sieht es von hinten so aus. Da aber die Straße dort in der ausgedehnten Basaltwüste nur schnurgerade geradeaus geht, ist das nicht sehr dramatisch. In den seltenen Kurven wacht er rechtzeitig auf, um den Bus wieder in seine neue Fahrtrichtung zu bringen.
Nach 24 Stunden anstrengender Busfahrt kommen wir am Morgen in Bagdad am Busbahnhof an. Dort kommt sofort ein Einheimischer auf uns zu und fragt uns, ob wir ein Nachtquartier suchen würden. 30 Piaster soll die Übernachtung kosten. Nach einigem Zögern gehen wir mit. Schließlich ist es uns sehr recht, so schnell eine Unterkunft gefunden zu haben, denn wir haben alle ein Schlafdefizit. Außerdem herrscht in Bagdad eine unerträgliche Hitze von gefühlten 50°C. Die Luft ist so trocken und staubig, dass man sofort einen trockenen Mund bekommt. – Nachdem wir ihn auf 25 Piaster (~1,50 DM) runtergehandelt haben, bringt er uns zum Motel. Es hat immerhin eine Dusche
, und an der Decke hängt ein Ventilator, der die Luft über den Metallrahmenbetten in Bewegung hält. Beides ist sehr vorteilhaft.
Ich stelle fest, dass Bagdad sehr viel Ähnlichkeit mit Kairo hat, besonders der Tigris mit dem Nil. Zu der Feststellung trägt wohl auch die enorme Hitze bei, aber auch das Stadtbild selbst. – In Bagdad selbst sehen wir uns kaum etwas an, weil wir von der Nachtfahrt zu gerädert sind. Am Nachmittag des Ankunftstages starten wir den Versuch, mit einem Taxi nach Babylon zu fahren. Der Taxifahrer fordert aber zu viel Geld, außerdem hat sein Wagen keine Fenster, dafür aber eine defekte Kupplung. Und da wir noch einige Zeit brauchen, um den Bus nach Teheran zu buchen, lassen wir von dem Vorhaben ab. So genießen wir stattdessen am Abend den Mondschein am Ufer des Tigris, kitschig romantisch wie auf der einer Postkarte.
Um fünf Uhr, es ist noch dunkel, verlassen wir Bagdad Richtung Teheran mit dem nächsten, viel zu weich gefederten Überlandbus. Der Abfahrtsplatz des Busses liegt bei einer Moschee mit vergoldeter Kuppel. Also gibt es doch etwas in Bagdad zu sehen!
An der irakischen Grenze müssen wir drei Stunden warten, und gleich dahinter an der persischen Grenze noch einmal zwei Stunden. Für solche vorhersehbaren Situationen haben wir Skatkarten dabei. – Als wir schließlich die Grenze passiert haben, wird die Straße besser, viel besser. Es geht bergan und die Landschaft, die bis dahin recht eintönig war, verändert sich schlagartig. Sie erinnert mich sehr an die Landschaft des Libanon. Zuerst sieht man eine Zeit lang nur Buschwerk und viel Fels, dann aber kommt eine hügelige, mit Flüsschen durchzogene Zone mit Äckern und vielen Bäumen, auch Obstbäumen. Mit der Landschaft ändert sich auch das Klima; es wird erträglich kühler.
Mit unseren Arabischkenntnissen hatten wir im Irak kein Problem, mit den anderen Fahrgästen ins Gespräch zu kommen. Hier in Persien fällt es uns viel schwerer. Und so versuchen wir, wenigstens die Zahlen von eins bis zehn von den Mitfahrern herauszubekommen. Es fällt uns schwer zu erklären, was wir wollen, aber schließlich lernen wir unsere ersten Worte FārsīDie persische Sprache (زبان فارسی) ist eine plurizentrische Sprache in Zentral- und Südwestasien. Sie gehört zum iranischen Zweig der indogermanischen Sprachfamilie und ist Amtssprache in Iran, Afghanistan und Tadschikistan.Siehe Wikipedia.org.
Um Mitternacht kommen wir in einem kleinen Dorf an, eines von vielen auf der Strecke. Da der Busfahrer dringend Schlaf braucht, bekommen auch wir in einer Karawanserei vier Stunden Schlaf. Um halb sechs geht es weiter, inzwischen ist es schon Freitag geworden. Die Landschaft verändert sich nicht mehr viel, nur die Berge werden etwas höher und plateauähnlicher und die Täler etwas breiter.
Nachdem wir zweimal eineinhalb Tage im Bus zugebracht haben, kommen wir schließlich am 2. Juli um elf Uhr in Teheran an. Vom Busbahnhof aus telefonieren wir sofort Pastor Scholz an. Er ist der deutsche Auslandspastor in Teheran, den wir schriftlich gebeten hatten, uns ein billiges Quartier zu besorgen. Aber es meldet sich niemand. Seine Adresse haben wir aber und so fahren wir auf gut Glück hin. An der Kirchentür meldet sich schließlich sein Diener Ali, der deutsch spricht. Er ist von seinem Herrn über unsere Ankunft informiert worden und freut sich offensichtlich, dass er in der Abwesenheit von Pastor Scholz seine Verfügungsgewalt zeigen kann. Er erlaubt uns, es uns gemütlich zu machen und in Pastors drei mal fünf Meter großem Schwimmbecken zu baden. Er erzählt uns auch, dass Pastor Scholz uns die Pension Suisse
oder das German Hotel
empfiehlt. Damit hat er allerdings den Inhalt unserer Brustbeutel reichlich überschätzt. – Aber da war doch das Flachdach des Kirchenanbaus! Und nachts war es relativ warm! Wir sind diplomatisch genug, Ali davon zu überzeugen, dass man dort oben gut schlafen kann. ‒ Matratzen organisieren wir uns aus dem Kirchenkeller.
Das Baden in Pastors Pool ist kernig – unser Modewort zu der Zeit. Natürlich schwappt das kleine Becken über, wenn wir alle gleichzeitig hineinspringen. Wäre der Pastor in dem Moment gekommen, dann wären wir wohl in einer peinlichen Situation gewesen. Zum Glück kommt er nicht. Ali teilt uns allerdings mit, dass er voraussichtlich noch am selben Abend zurückkommt. Und als wir von einem Orientierungsstreifzug zum Geldwechseln etc. aus der Stadt zurückkommen, ist er bereits da. Vorher haben wir natürlich rein Schiff gemacht. – Obwohl er etwas missmutig über den eigenmächtigen Ali ist, akzeptiert er unser Nachtlager und lädt uns zum Kaffee ein.
Teheran liegt zu Füßen des Elburs-Gebirges, das wir von unserem Dachlager aus gut sehen können. Unser Slogan der Tage ist: Zu Füßen eines schneebedeckten Viertausenders
, obwohl nur an einigen Stellen auf der Spitze Schnee liegt. Die Durchschnittstemperatur der Tage beträgt in Teheran etwa 35°C.
Abends erzählt uns Pastor Scholz von seiner Gemeinde, seinen Aufgaben, Pflichten und Neigungen in Teheran, aber auch über die aktuelle persische Politik, zum Beispiel dass der Schah, der am selben Tag gerade von einer Reise wiedergekommen ist, eine wackelige Position habe. Danach fährt er uns noch auf einen Hügel, von dem aus wir das Lichtermeer der Zweimillionenstadt bewundern können. Wir sind erstaunt, wie klein uns die Fläche vorkommt, die zwei Millionen Einwohner aufnehmen soll. Oder es gibt nicht überall elektrisches Licht?
Für den nächsten Tag haben wir uns vorgenommen, zur Hauptpost, ins Museum und zur Zentralbank in der FerdosiAbū ʾl-Qāsim Firdausī, deutsch auch Firdousi (persisch ابوالقاسم فردوسی; * 940 in Bāž, einem Dorf im Bezirk Tūs, Iran (bei Maschhad); † 1020 in Tūs), war ein persischer Dichter und einer der größten Epiker.Siehe Wikipedia.org-Straße zu gehen, in der, wohlverwahrt in einem Tresor, der Kronschatz des Schahs liegen soll. Weil wir uns bei der Suche nach dem Museum im Straßengewühl der persischen Millionenstadt verlaufen, fragen wir einen Offizier nach dem Weg. Englisch versteht er nicht und auch unser Versuch, ihn in Französisch anzusprechen, führt nicht zum gewünschten Ergebnis. Damit sind wir mit unserem Latein am Ende und beraten uns. – Und, oh Wunder, mitten in der Einsamkeit der fremden Großstadt, tausende Kilometer von der Heimat entfernt, fragt uns der Offizier, nachdem er unsere ersten Worte vernommen hat: Sie sprekken deitsch?
‒ Wir haben also schließlich jemanden gefunden, den wir nach dem Weg fragen können.
Bald können wir selbst erleben, dass es keine Seltenheit ist, in Persien jemanden zu treffen, der deutsch spricht. Wir werden noch mehrfach in Deutsch angesprochen. Das liegt wohl an den langen traditionellen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Nicht zuletzt hat Soraya eine deutsche Mutter.
Zum Mittagessen suchen wir ein persisches Restaurant in der Berlin-Street
auf – sie heißt wirklich so – und bestellen uns das köstliche Nationalgericht Tschelo KabābTschelo Kabab (persisch چلوکباب, auch Tschelo Kebab, Tschelau Kebab oder Tschalau Kabab) ist das Nationalgericht des Iran. Es ist ein typisches Gericht der persischen Küche aus gedämpftem Reis und am Spieß gegrilltem Lammfleisch oder Lamm- und Rinderhack.Siehe Wikipedia.org. Dort habe ich, so gaukelt mir meine Erinnerung vor, den besten Basmati-Reis meines Lebens gegessen. Dort werden wir wieder angesprochen, allerdings auf Englisch. Der Herr ist zuerst so penetrant wie eine Fliege beim Mittagsschlaf. Er lässt es sich nicht nehmen, to show us around
im Basar. Wir lassen ihn gewähren, weil er offensichtlich kein Bakschischjäger ist und zunehmend erträglicher wird. Aber dann will er uns über eine andere Art Aktualitäten
Teherans informieren, etwas für allein reisende Männer. Das ist für uns ein Grund, uns langsam aber sicher von ihm abzusetzen.