Mit dem Fernbus durch den Vorderen Orient
Die Herrlichkeit und die Macht im alten Persien
Isfahan, die Stadt mit den wunderschönen Moscheen, und Persepolis, das Machtzentrum des antiken Perserreiches, wollen wir uns auf keinen Fall entgehen lassen. Dafür unternehmen wir einen zweitägigen Abstecher in den Süden Persiens.
5. Juli 1965, unser siebter Reisetag, wieder mit dem Bus. Morgens um acht Uhr verlassen wir Teheran und kommen am Nachmittag um drei Uhr in Isfahan an. Die Landschaft wechselt in eine Art Wüstensteppe.
Pastor Scholz hat uns ein Empfehlungsschreiben an das von Deutschen geleitete Heim der Christoffel-BlindenmissionDie Christoffel-Blindenmission (CBM) ist eine im Jahr 1908 von dem Pfarrer Ernst Jakob Christoffel gegründete Entwicklungshilfeorganisation.Siehe Wikipedia.org in Isfahan mitgegeben, damit man uns dort übernachten lässt. Da viele der betreuten Blinden in den Ferien sind, gibt es dort viel Platz zum Schlafen. Die Blinden sind sehr zugänglich. Sie sprechen deutsch, denn das ist die Umgangssprache mit den deutschen Betreuern. Und sie lesen Blindenschrift mit ihren Fingern so schnell wie wir mit unseren Augen. Man bietet uns an, mit den Blinden zu essen, was wir gern annehmen.
Am Abend des Ankunftstages machen wir noch einen Spaziergang zur Chādschu-BrückePol-e Chādschu (persisch پل خواجو, DMG pol-e ḫāǧū, ‚Chadschu-Brücke'; engl. Khaju) ist eine der bekanntesten Brücken in der iranischen Stadt Isfahan und eines ihrer Wahrzeichen.Siehe Wikipedia.org, einem der Wahrzeichen Isfahans, ganz in der Nähe des Heims. Sie ist ein ausgesprochen beeindruckendes und imposantes Bauwerk aus Stein, über das man den Zayandeh-Fluss in zwei Ebenen überqueren kann. Dort lassen wir uns auf den noch heißen Stufen unten am Wasser nieder und genießen den Sonnenuntergang. Die Brücke besteht aus 23 Bögen, von denen jeder etwa vier Meter überspannt. Der Oberbau der alten Brücken stammt aus der Safawiden-Zeit und ist gut 400 Jahre alt. Aber der Unterbau ist wahrscheinlich erheblich älter.
Wir hätten es dort sicherlich noch länger ausgehalten, wenn es unter den Brückenbögen nicht so erbärmlich stinken würde. Und so sind wir froh, abends wieder in einem Bett zu schlafen, denn von sieben Reisenächten haben wir bereits drei im Bus und drei auf dem Flachdach des Kirchenanbaus verbracht.
Am nächsten Morgen fahren wir nach Isfahan rein, um uns die Herrlichkeiten der islamischen Baukunst anzusehen, die man als Tourist unbedingt gesehen haben muss. Mitten im Zentrum Isfahans liegt der Meidān-e Naghsh-e JahanMeidān-e Naghsch-e Dschahān, international auch Meidān-e Naghsh-e Jahan (persisch ميدان نقش جهان), auch Meidān-e Emām ("Platz des Imams"), im historischen Zentrum der Stadt Isfahan, Iran gehört mit fast neun Hektar Fläche zu den größten Plätzen der Welt.Siehe Wikipedia.org, der beeindruckendste Platz, den ich in meinem Leben gesehen habe. Spätestens jetzt finde ich es bedauerlich, dass keiner von uns einen Fotoapparat dabei hat. Der Meidan soll der größte vollständig umbaute Platz der Welt sein. Ich schätze ihn auf 150x500 Meter. Jürgen meint, er sei kleiner. An jeder Seite des Platzes befindet sich ein beeindruckendes Bauwerk.
An der südlichen Schmalseite liegt die Königs- oder Schahmoschee, der Eintritt kostet uns fünf Rial (25 Pfennige). Sie ist die schönste und prunkvollste Moschee mit einem großen Innenhof. An jeder Seite des Hofs befindet sich eine riesige runde Halle, geschätzte Höhe ungefähr 20 Meter. Außerdem hat sie viele kleine schmuckvolle Anbauten. In der südlichen, der größten Halle gibt es ein zwölffaches Echo, wenn man im Mittelpunkt unter ihr in die Hände klatscht. Es hört sich etwa an wie ein altersschwaches Maschinengewehr, das nur drei Schüsse in der Sekunde abgibt.
Die Wände sind mit gemalten, glasierten Kacheln in den vorherrschenden Farben blau, grün und gelb verziert, deren geometrische MusterEine Fläche dekorativ mit geometrisch konstruierten Mustern auszufüllen ist Teil der bildenden Kunst vieler Kulturen. In der Islamischen Kunst erreichte diese Form der Ornamentik eine besondere Ausprägung und Vollendung.Siehe Wikipedia.org mich sehr an M. C. EschersMaurits Cornelis Escher (* 17. Juni 1898 in Leeuwarden, Provinz Friesland; † 27. März 1972 in Hilversum, Provinz Nordholland) war ein niederländischer Künstler und Grafiker, der vor allem durch seine Darstellung unmöglicher Figuren bekannt wurde.Siehe Wikipedia.org
Foto: Waterzuiveringsbedrijf Den Haag, Houtrustweg.
Relief after M.C. Escher. Den Haag/The Netherlands.
von Wikifrits (Eigenes Werk) [CC0], via Wikimedia Commons
Zitat: »Staunen ist das Salz der Erde« M.C. Escher Kunst erinnern. Decken und Nischen sind geschmückt mit MuqarnasAls Muqarnas (arabisch مقرنص, DMG muqarnaṣ, auch Mukarnas; persisch مقرنس, DMG moqarnas) wird ein Stilelement der islamischen Architektur bezeichnet. Es wird in der Regel als oberer Abschluss von Nischen verwendet oder in den Zwickeln beim Übergang zwischen einer viereckigen Basis und einer Kuppel.Siehe Wikipedia.org, die aussehen wie Bienenwaben oder Tropfsteinhöhlen. Und überall finden sich Ornamentbänder mit islamischer KalligrafieDie arabische Kalligrafie (auch islamische Kalligrafie) ist ein Aspekt der islamischen Kunst, der sich aus der arabischen Schrift in engem Zusammenhang mit dem Islam entwickelt hat. Sie ist, bedingt durch das Bilderverbot im Islam, die traditionelle bildende Kunst in der islamischen Welt. Mit der eckigen Kufi- und der kursiven Naschi-Schrift entwickelten sich schon früh zwei Stilarten.Siehe Wikipedia.org, die mich schon seit Beginn meiner Zeit im Vorderen Orient fasziniert.
Gegenüber an der Nordseite befindet sich der Eingang zum Königlichen Basar, der durch ein riesiges Tor betreten wird. Er ist sehr geräumig angelegt und kilometerlang, ähnlich dem in Teheran.
An der Ostseite des Platzes liegt die zweite Moschee. Sie ist nicht so prunkvoll wie die Königsmoschee. Warum, das wird uns gleich klar, denn sie heißt Frauenmoschee
. Heute heißt sie Scheich-Lotfollāh-Moschee. Auch ihre glasierten Kacheln sind ausgesprochen prachtvoll.
Gegenüber an der Westseite liegt die Hohe Pforte, der Eingang zum ehemaligen Schah-Palast im safawidischen Stil. Der Palast ist ziemlich heruntergekommen. (Heute ist er wunderbar restauriert worden.)
Von dort aus tauchen wir in den Basar ab und suchen nach der Freitags-Moschee, die wir aber nicht finden. Zwei von uns entdecken sie aber am selben Nachmittag beim Besorgen der Buskarten. Ich habe leider nicht mehr das Vergnügen, sie zu sehen. Aber Isfahan hat in mir bereits tiefe Eindrücke hinterlassen, sodass ich heute noch in Erinnerungen schwelge.
7. Juli 1965, unser neunter Reisetag. Keiner von uns ist Frühaufsteher. Aber an diesem Tag müssen wir ungewöhnlich früh raus. Der Bus fährt um vier Uhr dreißig ab Isfahan, eine unmenschliche Zeit. So pilgern wir um vier Uhr mit unseren Rucksäcken und nüchternen Mägen zur zweieinhalb Kilometer entfernten Busstation, um den Bus nach Schiras zu nehmen.
Schiras – der Name ist mir durch ein bestimmtes Perserteppichmuster gleichen Namens bereits lange vertraut. In meine Vorstellung hat sich eingeschlichen, dass man dort eine Teppichknüpferei neben der nächsten findet. Aber keine Spur davon. Und nach den umwerfenden Eindrücken in Isfahan versprechen wir uns nicht viel von der Stadt. Tatsächlich unterscheidet sie sich nicht viel von anderen orientalischen Städten. Als wir am Mittag dort ankommen, buchen wir deshalb gleich unsere Buskarten für den Rückweg und vereinbaren, dass uns der Bus, der um 21 Uhr wieder nach Teheran fährt, uns um 22 Uhr in Persepolis aufnimmt.
Wir schlendern noch etwas durch die Stadt, gehen Kebab essen und nehmen dann ein Taxi, das uns für 50 Toman (~25 DM) zum 60 Kilometer entfernten Persepolis bringt.
Persepolis liegt am Fuße eines Bergausläufers auf einer künstlichen Terrasse von etwa zehn Metern Höhe. Von weitem sehen wir zuerst nur ein Dutzend Säulen, die von vergang'ner Pracht
zeugen. Erst als wir uns mit dem Taxi nähern, erkennen wir die etwa 350x200 Meter große Terrasse. Unsere Spannung steigt.
Natürlich haben wir vor der Reise von Persepolis gehört und gelesen. Deswegen wollen wir es unbedingt sehen. Persepolis, eines der Machtzentren des antiken Perserreiches, muss prachtvoll gewesen sein. Etwa so ein Bild hat sich in unseren Köpfen eingenistet.
Der erste Eindruck erfüllt diese Erwartungen nicht. Wir sind enttäuscht. Dann müssen wir auch noch ein Eintrittsgeld von zehn Rial (~50 Pfg.) berappen, um auf die Terrasse zu kommen, was uns sehr verwundert, denn dort ist touristisch überhaupt nichts los. Ich erinnere mich an keine weiteren Besucher. Das Eintrittsgeld eines Monats könnte meinem Eindruck nach bestimmt keinen Mann ernähren.
Aber zu dem Plateau, auf dem der ApadanaApadana ist ein altpersischer Begriff mit der Bedeutung Palast
, vgl. Sanskrit apa-dhā, Versteck, Verschluss
, Griechisch apo-theke. Im engeren Sinne bezeichnet es einen freistehenden Repräsentationsbau mit meist quadratischem Säulensaal (Thronsaal) und einer oder mehreren Vorhallen.Siehe Wikipedia.org und die Tempel standen, führen gut erhaltene Treppen hinauf, die ihren besonderen Reiz haben. Sie sind sehr ungewohnt zu gehen, denn die Stufen sind nur etwa zehn Zentimeter hoch. Die Stufen und die Seitenwände sind aus Basalt, nicht aus Kalkstein wie meist in Jordanien oder Ägypten. Das war sehr vorausschauend, denn Kalksteinstufen sind schnell ausgelatscht
, der Basalt ist viel beständiger. So sind auch die Seitenwände der Treppen, die über und über mit kunstvollen Flachreliefs versehen sind, gut erhalten. Auf beiden Seiten jeder Stufe steht
ein Soldat, natürlich als Relief. Jedes Detail ist herausgearbeitet. Die Frisuren bestehen aus kleinen Locken, dicht an dicht, jede Falte der Gewänder ist ausgearbeitet. Die Reliefs sollen im Groben von Steinmetzen gemacht und dann von Goldschmieden feingearbeitet worden sein. Über den Soldaten gibt es Tierdarstellungen vom Feinsten: Widder, Stiere, Löwen, Kamele, Pferde, aber auch Bäume. Ich konnte mich daran gar nicht sattsehen.
Oben auf dem Plateau stehen noch einige Tore und Mauern, auch sie sind mit Reliefs übersät. Die riesigen Tore bestehen aus zwei monumentalen geflügelten Stiergestalten mit menschlichen Köpfen, sogenannten LamassuLamassu (auch šedu, Schedu) ist die Bezeichnung für einen babylonischen Schutzdämon mit Stierkörper, Flügeln und menschlichem Kopf.Siehe Wikipedia.org, mit der stattlichen Größe von mindestens zehn Metern Höhe. Ihre lockigen Bärte sehen so aus wie die Frisuren der Soldaten an der Treppe.
Archäologisch ist wenig getan. In den 1930er Jahren haben deutsche Archäologen dort gegraben, aber das ist 30 Jahre her, und so sieht alles etwas vernachlässigt aus. Wir erfahren aber, dass bald wieder mit Ausgrabungen und Restaurierungen begonnen werden soll.
Die Besiedelung um dieses Tempelplateau soll eine Ausdehnung von neun mal neun Kilometern gehabt haben. Aber davon ist nichts ausgegraben außer den KönigsgräbernNaqsch-e Rostam (persisch نقش رستم, DMG Muster von Rostam, ‚Darstellung des Rostam') selten auch (persisch تخته رستم, ‚Tafel des Rostam') ist eine archäologische Stätte in der iranischen Provinz Fars, sechs Kilometer nördlich von Persepolis bei Schiras. Hier befinden sich vier Gräber achämenidischer Großkönige sowie eine Reihe sassanidischer Felsreliefs.Siehe Wikipedia.org, die etwa sechs Kilometer nördlich von Persepolis am Taleingang liegen.
Für den Aufenthalt in Persepolis haben wir acht Stunden eingeplant, sodass wir nicht durch die Ruinen hetzen müssen. Nach der Besichtigung setzen wir uns in ein persisches Restaurant, um etwas zu essen und Tee zu trinken. Dort sitzen schon zwei deutsche Tramper. Die beiden Teutonen haben lange, gepflegte blonde Haare, die sie mit Würde tragen. Einer hat einen rotblonden Bart. Ihre Kleidung ist weniger gepflegt. Ihr sieht man an, dass sie über den Landweg nach Persien gekommen sind. Beide tragen ein Messer am Gürtel, das länger ist als ihre kurzen Jeans. Sie reisen ohne Geld. – Ist der Notstands-Paragraph schon angenommen worden?
, ist die erste Frage, die sie uns stellen. Aber das können wir ihnen auch nicht beantworten, denn unser Informationsstand über die deutsche Politik ist genauso schlecht.
Der Bus holt uns pünktlich um 22 Uhr ab, und am nächsten Mittag sind wir wieder in Teheran.