Mit dem Fernbus durch den Vorderen Orient
Über das Schwarze Meer nach Istanbul
Trabzon (deutsch: Trapezuntbekannt durch Jaques Offenbachs Die Prinzessin von Trapezunt
Siehe Wikipedia.org) erinnert stark an Deutschland, denn es vereinigt die Schönheit und Würde alter deutscher Kleinstädte in sich. Das stellen wir einstimmig fest, als wir am nächsten Morgen einen Rundgang durchs Städtchen machen. Die Stadt wird durch einen Bergrücken, der senkrecht zur Küste verläuft und bis an das Meer reicht, in zwei Teile geteilt. Westlich des Rückens liegt der Hauptteil der Stadt, der noch von mehreren parallel zum Bergrücken verlaufenden Tälern durchzogen ist. Darüber erhebt sich die Ruine der Zitadelle, und zwei weißleuchtende Bleistiftminaretts heben sich krass von dem dunkelblauen Himmel ab. Hätten die Romantiker Trapezunt gekannt, sie hätten es sich in Deutschland aufbauen lassen oder es zur Pilgerstätte erkoren. – Östlich des Bergrückens liegt der kleinere Teil der Stadt und zu ihren Füßen eine Bucht, die durch eine 700 Meter lange Mole zum Hafen wurde. In diesem Hafen liegt ein Schiff, die M/S Trabzon". Da wir wieder am Meer sind, lassen wir es uns nicht nehmen, an der Spitze der Hafenmole zu baden. Dabei stellen wir fest, dass das Schwarze Meer salziger als das Kaspische ist.
In Trabzon sehen wir viele Opel mit deutschen Autokennzeichen. Sie gehören türkischen Fremdarbeitern – so hießen sie damals. Gebrauchte Opel gehörten in Deutschland damals zu den Autos, die für einen Fremdarbeiter noch erschwinglich waren. Wenn wir deren Besitzer ansprechen, müssen wir aber feststellen, dass deren Deutschkenntnisse mangelhaft sind. Sie können oft nicht mehr als guten Tag!
und wieviel kostet?
sagen, wobei sie uns am Pullover zupfen.
Irgendwie hat die M/S Trabzon" im Hafen unser Interesse geweckt und unsere Gedanken angeregt. Wir erkundigen uns am Hafen, wohin das Schiff wohl fahren würde. Wir erfahren, dass es zuerst den östlich gelegenen Hafen von Rize anlaufen, dann aber wieder zurückkommen würde, um anschließend nach Istanbul zu fahren. Das ist doch eine willkommene Abwechslung zum Busfahren! Der Preis für einen Deckspassagier mit Studentenermäßigung ist mehr als erschwinglich: 21,5 Türkische Lira, acht DM. Wir entscheiden uns für die Schiffsreise.
Nachdem wir einen vollen Tag in Trabzon verbracht haben, verlässt uns der ältere Jürgen am 16. Juli in aller Frühe. Er fährt mit dem Bus nach Süden, denn er will noch einige Tage in Jerusalem sein, bevor er die Rückreise nach Deutschland antreten muss. Jetzt sind wir nur noch zu viert. Um 10 Uhr läuft das Schiff wieder ein und am selben Nachmittag um 15 Uhr schwimmt es mit uns Richtung Istanbul davon.
Wir sind nicht die einzigen Deckspassagiere. Mit uns reisen viele junge Männer, die sich selbst als Studenten
bezeichnen. Ihr Ziel ist Istanbul. Dort sollen sie antreten und zum Militär eingezogen werden.
Um uns die Zeit zu vertreiben, setzen wir uns auf die Ladeluke und kloppen Skat oder nehmen ein Sonnenbad. Wenn wir Briefe schreiben oder lesen, gucken uns die jungen Studenten ganz ungeniert über die Schulter. Wir empfinden es als störend und penetrant. Offensichtlich haben sie eine andere Hemmschwelle als wir.
Auf Schleichwegen gelangen wir auf das Deck der Ersten Klasse, nicht nur, um den Studenten zu entfliehen, denn dort ist es viel gemütlicher. Es dauert nicht lange, bis uns ein hochrangiges Besatzungsmitglied fragt: missjöh, lee tikkee?!
, worauf wir ihm erstens klar machen, dass wir kein Französisch sprechen würden, und zweitens, dass unsere Tickets unten im Gepäck seien. Zum Glück bleibt es bei diesem einen Kontrollversuch.
Aber schlafen müssen wir an Deck. Als Deckspassagiere müssen wir uns damit begnügen, auf den kalten Planken zu liegen. Das ist schon ein hartes Los, besonders deshalb, weil jeder von uns nur eine Wolldecke mit hat. Wir frieren trotz unserer Pullover. Im Bus schliefen wir wenigstens in einem geschlossenen Raum. Aber hier an Deck ist es immer windig. Wir suchen uns ein einigermaßen windgeschütztes Plätzchen und rücken eng aneinander, ähnlich wie es die Sardinen in der Dose tun. Aber da wir tagsüber Sonne tanken oder Erste-Klasse-Passagiere
sein können, lässt es sich aushalten.
Am nächsten Morgen um 8.30 Uhr legt das Schiff in Samsun an, und wir können unseren Vorrat an Brotfladen und grünen Gurken, unsere Hauptnahrungsmittel zu der Zeit, auffrischen. Gegen Abend kommt dann Sinop in Sicht, aber dort bleibt das Schiff auf Reede und entlädt sich auf Schuten, sodass wir nicht an Land gehen können.
20. Reisetag, 18.Juli, 14 Uhr. Ein weiterer Höhepunkt unserer Reise kündigt sich an. Bisher war der Küstenstreifen in mäßiger Entfernung neben uns her gezogen, aber jetzt fahren wir auf den Bosporus zu. Das Ufer kommt näher, von Weinhängen begrenzt, dazwischen ein Strandhotel, wie man es in Deutschland nur auf Prospekten sieht. Die letzten Kilometer der 1500 km langen Schiffsreise sind noch zu bewältigen. Allmählich werden wir mit der Strömung in das von Burgruinen bekränzte Portal des Bosporus hineingesaugt. Das Schiff schlängelt sich durch eine Minensperre, die man von oben gut sieht. Die Küste hat tiefe Buchten, sodass wir uns überraschen lassen, wo es wohl weitergeht. Dann öffnet sich der Blick. Zu unserer Rechten liegt Istanbul, die goldene Stadt am Bosporus mit ihren vielen Moscheen und deren bleistiftspitzen Minaretten. Ja, das ist wirklich der erste Eindruck, den wir von Istanbul haben. Istanbul ist auf den ersten Blick so, wie wir es uns vorgestellt haben.
Um 15.30 Uhr läuft das Schiff in den Hafen
von Istanbul ein. Wir sind etwas enttäuscht von seiner Größe, die nicht im Verhältnis zu einer Weltstadt wie Istanbul steht. Aber wir registrieren, dass wir wieder in Europa sind, denn wir kommen fahrplanmäßig an. Ein Taxi bringt uns zum YMCA, und wir belegen unsere Betten. Und am Abend machen wir noch einen Spaziergang ans Marmarameer.
Der nächste Morgen beginnt mit einer bösen Überraschung: Bettwanzen! Wir haben diese charakteristischen, in einer Reihe angeordneten Stiche. Das ist wenig erfreulich, aber auch wenig vermeidbar. Wenigstens können wir das Zimmer wechseln. Dann machen wir uns auf, um uns die Hauptsehenswürdigkeiten Istanbuls anzusehen. Zuerst ist die Hagia Sofia dran. Sie erschlägt uns mit ihren Dimensionen. Erstaunlich, dass man im 6. Jahrhundert schon so bauen konnte! Dann die Sultan-Ahmed-Moschee, die mir am meisten imponiert. Schon von außen fallen die vielen in sich verschränkten Kuppeln ins Auge. Sie ist von sechs bleistiftspitzen Minaretten gesäumt. Und wenn man seine Schuhe abgestreift hat und sie betritt, dann weiß man auch, warum sie die Blaue Moschee heißt. Das gedämpfte blaue Licht kommt von den blauen Glasfenstern und den blauen Fliesen der Kuppeln. – Und schließlich der Topkapi-Serail, jetzt ein Museum. Natürlich kommt uns der Film Topkapi sofort in den Sinn, diese herrliche Gaunerkomödie mit Melina Mercouri, Maximilian Schell und Peter Ustinov.
In den nächsten beiden Tagen bummeln wir noch einmal durch das weitläufige Topkapi-Areal, den Großen Basar, und ansonsten ohne konkretes Ziel durch die Istanbuler Altstadt. Wir haben sogar Muße, ins Kino zu gehen. Aber an den Film können wir uns bald nicht mehr erinnern. Er wird überlagert von den vielen Eindrücken dieser beeindruckenden Stadt.