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Wiederbegegnung mit Ostpreußen nach 42 Jahren
oder: Studienfahrt in die (k)alte Heimat 1987
Kapitel 5: Marienburg, Elbing, Dirschau

Am 27. Mai 1987 wird schon um 07.15 Uhr das Gepäck in den Bus verladen und nach gutem Frühstück geht die Fahrt eine Stunde später in Richtung Marienburg los. Wir fahren an Dietrichswalde vorbei. Adam erzählt, dass jeder zweite Einwohner deutschstämmig sei. Sicherlich haben sich schon viele der Nachkommen mit hier ansässigen Polen vermischt und werden in weiteren Generationen das Deutschtum vergessen haben. Es erscheint aussichtslos zu glauben, dass die deutsche Art und das deutsche Recht noch einmal hier walten werden. Jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Die polnische Wirtschaft ist anders, wir haben sie gesehen. Ob jemals ein Friedensvertrag in der Lage sein wird, die Zugehörigkeit dieses Landes zu bestimmen? Jetzt hat jedenfalls Polen das ostpreußische Land fest in der Hand, und sorgt dafür, dass es mit polnischen Staatsangehörigen bevölkert wird, was die vielen Neubauten ja auch beweisen. Sicherlich ist das Land für die Menschen, die hier in zweiter und dritter Generation geboren wurden, zur Heimat geworden, wie es für uns auch Heimat war, ehe wir gewaltsam vertrieben wurden. Wer sichert ein Recht auf Heimat zu? Für uns Touristen ist Ostpreußen heute zwar noch die schöne Landschaft, doch ohne die Menschen, die einst diesem Land die Seele verliehen haben. Alles, was noch an deutsche Vergangenheit erinnern könnte, ist fortgeschafft, vernichtet oder verändert mit der Behauptung, es sei früher alles polnisches Gebiet gewesen. Diese Behauptung wird von der neuen Generation Polens geglaubt – Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Wenigen, die es besser wissen, dürfen öffentlich nichts dergleichen äußern.

Die Gedanken während der Busfahrt lassen die Zeit nicht lang erscheinen. Da kommt eine Schafherde in Sicht und Adam äußert zur allgemeinen Belustigung: Das sind Pulloverschweine! Um 08.50 Uhr geht es nun doch noch einmal an Osterode vorbei. Zum letzten Mal sehen wir unser Haus. Pillauken, Liebemühl huschen vorüber. Um 09.30 Uhr sind wir durch Preußisch Holland gefahren. Der Drausensee grüßt aus der Ferne noch einmal herüber.

Weit an Elbing vorbei geht’s nun über den Elbingfluss. In der Ferne sieht man das Stadtbild oder das, was davon übrig geblieben ist. Wir durchfahren die Weichselniederung und erreichen um 10.20 Uhr Marienburg (polnisch: Malbork). Von der anderen Nogatseite kann die Burg fotografiert werden. Dann fahren wir vor das Burgtor und verlassen den Bus, der zum nahen Parkplatz fährt, um auf uns zu warten. Herr Walewski übernimmt für unsere Gruppe die Burgführung in deutscher Sprache. Er kommt aus Graudenz, wo sein Vater als Bahnschaffner tätig war. Er erklärt die Burg innen und außen sehr sachlich. Bis auf wenige Gebäude war die Burg während der schweren Kämpfe von Februar und März 1945 völlig zerstört worden. Marinesoldaten hatten sich in der Burg verschanzt. 5000 Deutsche und 6000 Sowjetrussen sollen hier gefallen sein. Von den Polen wurde die Marienburg angeblich nach alten Plänen des Deutschordens wieder aufgebaut und restauriert. Erhalten ist der Remter, der Brunnen und einige der Nogatseite zugekehrte Gebäudeteile, die jedoch alle schweren Sachschaden erlitten haben. Das Marienbild mit dem Kinde (Wahrzeichen der Marienburg) ist dem Artilleriebeschuss zum Opfer gefallen und restlos vernichtet. Die äußere Hülle stimmt, jedoch dienen die neu geschaffenen Räume heute Ausstellungszwecken und haben nicht mehr ihr altes Aussehen. Trotzdem muss man sagen: Hut ab vor dieser Arbeit, die polnische Restaurateure für Europa geleistet haben. Die Marienburg gehört nun mal zum Kulturgut Europas, das auch der Nachwelt gehört. Leider ist zurzeit der große RemterRemter oder Rempter: eingedeutschte Form des lat. Wortes Refectorium, dt. Speisesaal im Mittelschloss nicht zur Besichtigung freigegeben. Angeblich hat man alte Fresken entdeckt, die restauriert werden. Vielleicht sollen Beweise für die Theorie Polens freigelegt werden? In Wirklichkeit hat die Marienburg nie unter polnischer Verwaltung gestanden. Die polnische Geschichte sieht es eben polnischer. Auf dem Parkplatz beim Bus sind die Würstchen heiß. Wir setzen uns auf Steine und verzehren sie bei herrlichem Sonnenschein. Das Wetter meint es wirklich gut mit uns. Um 13.45 Uhr geht die Fahrt weiter nach Danzig. Auf einer Wiese in der Weichselniederung zählen wir 26 Störche, eine richtige Adebarversammlung!

Marienburg

Die Marienburg an der Nogat, von den Polen nach dem Krieg wieder aufgebaut nach alten Zeichnungen und Plänen des deutschen Ordens. Foto: Gunter Bergknecht 2006
Großer Remter

Ordensburg Marienburg - Großer Remter im Mittelschloss.
Quelle: By Dawid Galus (Own work) [CC BY-SA 3.0 pl (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/pl/deed.en)], via Wikimedia Commons

Dirschau an der Weichsel kommt in Sicht. Seit 1920 lag Dirschau im sogenannten polnischen Korridor und war bis 1939, dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, Grenzstadt in Polen zum Freistaat Danzig. Die Zugverbindung von Ostpreußen ins alte Reichsgebiet durch den polnischen Korridor ging von Marienburg durch den Freistaat Danzig nach Dirschau. Hier war die Weichsel Grenze zwischen dem Freistaat Danzig und Polen. Ab Dirschau mussten alle Fenster geschlossen bleiben und die Vorhänge zugezogen sein. Wer heimlich hinausschaute, tat es verbotenerweise. Erst nach dem Erreichen der deutschen Reichsgrenze im entsprechenden Grenzbahnhof durften die Vorhänge wieder entfernt werden. Die Weichselbrücken wurden im Rahmen der Kampfhandlungen im Januar 1945 gesprengt. Heute führt eine Betonbrücke als Straßenbrücke über die Weichsel. In der Ferne sieht man die wieder aufgebaute Eisenbahnbrücke. Sie ähnelt mit den Bogen der alten Brücke. Um 14.15 Uhr erreichen wir Dirschau, polnisch Tczew. Mitglieder unserer Gruppe, die hier einmal beheimatet waren, möchten fotografieren. Die Altstadt ist noch gut erhalten. Das stellen wir auf der Weiterfahrt durch Dirschau fest. Um 15.15 Uhr erreichen wir die Vororte von Danzig. Um 16.00 Uhr sind wir im Nowotel Orbis, das auf der ehemaligen Speicherinsel in der Mottlau gebaut worden ist. Wir erhalten das Zimmer 338 und sind damit sehr zufrieden. Der Blick aus dem Zimmerfenster geht über die Mottlau auf viele Neubauten. Aber auch noch viele Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg sind nicht zu übersehen. Von den vielen zerstörten Brücken über die Mottlau sind nur wenige wieder hergerichtet. Die Ufer und Kaianlagen sind in schlechtem Zustand. Da die Sonne immer noch scheint, wagen wir einen ersten Besichtigungsalleingang durch die Altstadt.


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