Wiederbegegnung mit Ostpreußen nach 42 Jahren
oder: Studienfahrt in die (k)alte Heimat
1987
Kapitel 7: Zurück durch die Kaschubische Schweiz
Am 29. Mai 1987 um 09.00 Uhr fahren wir aus Danzig ab. Die Koffer wurden vorher eingeladen, Pässe werden eingesteckt, damit wir das freundliche Land Polen auch wieder verlassen können. Es geht über Langfuhr, Oliva, Zoppot nach Gdingen. Die Wellenhäuser, die ich eigentlich noch fotografieren wollte, sehen wir nur aus der Ferne, da wir eine andere Strecke fahren als am Vortage. Gdingen, polnisch Gdynia, war vor 1920 noch ein kleines unbedeutendes Fischerdorf, von Kaschuben bewohnt. Es wurde von Polen nach Übernahme des Korridors im Jahre 1926 zum Handels- und Kriegshafen ausgebaut. Nach dem Polenfeldzug 1939 (bis 1945) wurde Gdingen in Gotenhafen umbenannt und als Kriegshafen genutzt und weiter ausgebaut. Als im Jahre 1945 Ostpreußen von russischen Truppen besetzt wurde, drängte der Flüchtlingsstrom auch zur Küste. Gotenhafen war für viele Flüchtlinge der letzte Zufluchtsort, um mit Schiffen in den Westen gefahren zu werden. In den Jahren 1941-1945 lag unter vielen anderen Schiffen das KdF-Schiff Wilhelm Gustloff
als Wohnschiff für die U-Boots-Lehrdivision und das U-Boots-Erprobungskommando am Kai von Oxhöft, an der anderen Seite des Hafenbeckens. Hier war ich auch 1940 mit dem Kreuzer Nürnberg
, mit dem U-Tender Isar
und der italienischen U-Gruppe, U-Boot Giuliani
(Kommandant Giovanini), dem U-Begleitschiff Wilhelm Bauer
, wenn wir zu taktischen Übungen in die Ostsee hinein fuhren und ein wenig Pause machten. Erinnerungen an so manchen Landgang werden wach, wo wir im Kaffee Berlin
noch Grog pur getrunken haben. Grog pur, war heißer Rum mit Zucker. Zu viel davon erzeugte Seegang
. – In der damals staatlichen Bernsteinmanufaktur in der Nähe des Bahnhofs konnte man herrliche Bernsteinprodukte kaufen. Doch das Geld war knapp. Die ganze Stadt wurde damals nach deutschen Vorstellungen umgebaut. Seit dieser Zeit sind 42 Jahre vergangen. Nur die Erinnerung an die damalige Zeit ist geblieben.
Wir fahren durch Gdingen zum Hafen. Polen hat hier eine Vorzeige-Großstadt
gebaut. Im Hafen, den man als Musterhafen bezeichnen könnte, liegt an der Pier das polnische Segelschulschiff Dar Pomorza
, 1912 in Kiel gebaut und ein russisches Passagierschiff. Alle früheren Gleisanlagen sind verschwunden, es ist eine Hafenpromenade entstanden. Aber die Pier, die Mole und Oxhöft auf der anderen Seite des Beckens sind geblieben. Im weiter zurückliegenden Teil befindet sich wohl der eigentliche Handelshafen, weil dort Kräne zu sehen sind. Es ist windig und sehr kühl, aber der Regen hat endlich aufgehört. Um 10.00 Uhr fahren wir in Richtung Neustadt weiter. Es geht durch die Kaschubische Schweiz. – Die im früheren Westpreußen und dem östlichen Pommern wohnenden Kaschuben, auch Slowinzen genannt, sind ein slawischer Volksstamm mit katholischer Religion. Die Kaschuben unterscheiden sich auch von den Polen durch ihr eigenes Brauchtum und die eigenwillige Tracht. Bis weit hinter Gdingen sehen wir noch gewaltige Wohnbauten, bis zu zwölfstöckig, beidseitig der Straße. Adam sagt: Schlafstadt für Gdingen
. Die Küste bleibt hinter uns, jedoch bis Lauenburg fahren wir immer noch in Küstennähe. Diese Fahrtroute war die kürzere, um von Danzig ins alte Reichsgebiet zu gelangen. Früher, seit 1920, war der Fluss und Ort Leba die Reichsgrenze am Korridor. Um 11.40 Uhr erreichen wir Stolp. Ein kurzer Aufenthalt reicht für einen Stadtbummel und einen Kaffee am Markt. Die Stadt mit ihren historischen Bauten scheint noch gut erhalten zu sein. Nur bei den Straßen und Gehwegen ist Vorsicht geboten. In Brot- und Fleischereigeschäften wird Schlange gestanden. Gemüse wird auf der Straße zum Kauf angeboten. Es stammt zum Teil aus eigener Produktion. Am Bus angekommen lallt ein Betrunkener auf Deutsch, er wolle uns die Stadt zeigen. Jungen und Mädchen umlagern den Bus, hoffen auf DMark und Kaugummi. Sie werden von einigen Erwachsenen auf Polnisch zurechtgewiesen. Vielleicht haben auch die Touristen an dieser Bettelei der Kinder eine Mitschuld. Ich habe beobachtet, dass Kinder von angebotenen Kugelschreibern erschreckt zurückgewichen sind. Vielleicht wurden sie gewarnt vor Sprengladungen in westlichen Kugelschreibern? – Es geht um 13.00 Uhr weiter über Schlawe, Köslin, Belgard, Stargard nach Stettin. In dem schon bekannten Hotel Neptun erhalten wir das Zimmer 626. Das Hotel ist heute voll belegt, so dass zwei an sich fremde Personen unserer Studiengruppe mit einem Doppelzimmer vorlieb nehmen müssen. Im Intershop, unten im Hotel, kaufen wir unsere Ration polnischen Wodka und Zigaretten. Die letzten Złoty werden ausgegeben. Eine 0,7-Liter-Flasche 50prozentiger Wodka kostet zwei Dollar. Eine 0,5-Liter-Flasche 40prozentiger Wodka nur ein Dollar. Eine Stange Zigaretten HB oder Krone kaufen wir für 6,50 Dollar. Wenn mit DMark abgerechnet wird, ist der Tageskurs zugrunde gelegt.
Am Abend des 29. Mai 1987 sind wir in einem Raum neben der Bar zu einer zünftigen Abschlussfeier versammelt. Russischer Sekt wird ausgeschenkt. Der polnische Reiseführer Adam – wir nannten ihn auch Adamski – und der Busfahrer Herr Kliche sind natürlich auch anwesend. Beiden wird von Frau Römelt, auch in unser aller Namen, für die gute Betreuung und die gute Fahrweise herzlich gedankt. Ein Geldgeschenk, vorher im Bus gesammelt, wird beiden Herren überreicht.
Frau Eva Ratzlaff dankt nun im Namen der Studiengruppe unserer Leiterin Frau Römelt für die gut organisierte Reise, die für uns zum Erlebnis wurde. Ein von allen Gruppenmitgliedern gestifteter, in Silber gefasster Bernsteinanhänger, wird ihr überreicht. Adam wird bereits von uns verabschiedet. Er wird morgen an der Grenze bei Pommerellen unsere Gruppe verlassen und in seine Heimatstadt Warschau zurückkehren. Beruflich ist er dort als Lehrer tätig.
Am 30. Mai 1987 sind die Koffer bereits vor dem Frühstück im Bus verstaut. Wie üblich ist das Frühstück sehr gut. Um 08.20 Uhr sagen wir der Stadt Stettin Lebewohl und fahren zur DDR-Grenze Pommerellen, die wir um 09.05 Uhr erreichen. Es dauert alles seine Zeit. Die übliche Passkontrolle verläuft ohne Beanstandung. Ulla hat die Listennummer 12, ich Nr.13. Wir mussten noch erklären, keine Złoty mehr zu besitzen. Um 10.45 Uhr geht es weiter über Neubrandenburg und Stavenhagen bis zur Raststätte Dummerstorfer Mühlenstuben
wo wir wieder unsere Pause einlegen. Es gibt noch einmal heiße Würstchen. Wir kaufen von Herrn Kliche drei Flaschen russischen Sekt zu 9,- DMark die Flasche. Er ist aber mit Krimsekt nicht vergleichbar. Am Rapsfeld wird noch eine letzte Aufnahme von uns vieren gemacht und um 14.35 Uhr geht’s dann weiter Richtung Rostock. Wir fahren über die Seestadt Wismar (15.00 Uhr) an die Grenzstation der DDR in Schlutup. Ab Dassow fahren wir unmittelbar neben einer Betonmauer im Sperrgebiet, die die schöne Seeaussicht auf die Lübecker Bucht versperrt. Dahinter ist ja der übliche Todesstreifen
und hinter dem Stacheldrahtzaun ist der See, der schon zur Bundesrepublik gehört. Überall Stacheldrahtzäune und Todesstreifen, je näher wir der Grenzstation kommen. Man kommt sich eingeengt vor, wie in einem Gefangenenlager. Aber um 15.45 Uhr haben wir die Grenzstation der DDR in Schlutup erreicht. Wir treten alle aus dem Bus. Die übliche Pass- und Gesichtskontrolle erfolgt. Der Grenzer ist freundlich, fragt nach Waffen, Patronen und Funkgeräten. Da die Frage von uns allen verneint wird, dürfen wir unsere Fahrt um 17.20 Uhr fortsetzen und die DDR verlassen.
Der Zöllner in der Bundesrepublik verzichtet auf weitere Kontrollen. Zügig geht es nun auf guter Autobahn bis nach Quickborn. Nach geöffnetem Schlagbaum war der Albdruck von uns gewichen. Als wir um 19.30 Uhr Quickborn erreichen, zeigt der Bus-Kilometerzähler 3.186 km an. Wir haben sie in 10 Tagen auf unserer Studienreise durch Ostpreußen zurückgelegt.