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Meine Kindheit, ein Leidensweg
1949 bis 1995
Erziehung bei Tisch

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  1. Prolog – Meine Kindheit, ein Leidensweg
  2. Fahrt nach Helgoland 1953
  3. Erziehung bei Tisch
  4. Ein parkendes Auto
  5. Ein norddeutsches „Moin“
  6. Klassenspiegel und blauer Brief
  7. Entnazifizierung der „Nazi-Kinder“
  8. Krankheit als Versagen
  9. Meine innere Flucht
  10. Ausbruch und Flucht vor der Familie
  11. Mein selbstbestimmtes Leben
  12. Sehnsucht – Bitte melde dich

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Wolfram Stratmann

Erziehung bei Tisch gemäß Dr. Haarers Ratgeber

Meine Eltern waren Flüchtlinge und hatten ihren Platz in der Welt noch nicht gefunden. Ein Elternteil konnte mit Arbeit nicht genug Geld für das tägliche Leben herbeischaffen. Deshalb versuchten beide Eltern, zu arbeiten. Das galt jedoch im westdeutschen politisch korrekten Familienmodell als asozial, weil es für Männer und Frauen bestimmte Rollen vorsah. Die Frau war für Haushalt und Kindererziehung zuständig. Der Mann war der Ernährer und erarbeitete das Geld. Sogar die Gesetzeslage schrieb vor, dass eine Frau nur mit der schriftlichen Zustimmung ihres Ehemannes arbeiten gehen dürfe. Bei unverheirateten Frauen musste der Vater schriftlich zustimmen. Das war bis Ende der 1960er-Jahre Einstellungsvoraussetzung für arbeitende Frauen in der BRD. Dieses politische Gesellschaftsbild konnte die Erwerbstätigkeit unverheirateter Frauen gerade noch akzeptieren. Aber im Berufsleben stehende verheiratete Frauen galten als anrüchig, weil sie ihre Pflichten bei der Versorgung von Familie und Haushalt vernachlässigten. Ein Nachhall der NS-Ideologie. Mutter wollte durch Arbeit zum Lebensunterhalt der kleinen Familie beitragen. Das klappte jedoch nicht und der Grund dafür lag nicht bei ihr.

Es gab Probleme bei der Kinderbetreuung. Während der üblichen Arbeitszeiten wurde ich in einem Kindergarten aufbewahrt. Vermutlich ein Ganztagskindergarten. Der war in einer Baracke. Es herrschte hier jedoch Zucht und Ordnung mit Befehlston und keine liebevolle Kinderbetreuung,wie ich sie aus der „Kinderkrippe“ kannte. Jetzt konnte ich nicht spielen. Wenn ich mit Spielen anfangen wollte, dann kamen Befehle für etwas anderes. Das ärgerte mich.

Gegessen wurde gemeinsam. Alle Kinder hatten eine kleine Umhängetasche mit Frühstücksbrot drin. Auch ich. Wir saßen an einem großen, viel zu hohen Tisch oder mussten uns irgendwo im Raum hinsetzen und essen. Die anderen Kinder hatten Butterbrote mit Wurst oder Käse drauf. Mein Proviant war Knäckebrot mit weißer Margarine, vermutlich aus Kokosfett, selten mit Salatblatt. Das ungewürzte Zeug schmeckte mir überhaupt nicht. Das harte und sehr saugfähige Knäckebrot klebte an meinem Gaumen. Davor ekelte ich mich und deshalb aß ich es nicht. Ein Getränk hatte ich nicht.

Nicht spielen können, immer das tun, was angesagt wird und mein schlechtes Essen ließen mich aufgeregt und mutlos zugleich werden. Das passte nicht zu den Ruhezeiten nach dem Essen. Dazu mussten wir uns auf den Fußboden auf dünne Decken legen. Ruhig bleiben, nicht bewegen und schlafen. Das konnte ich nicht. Auch weil mir von der täglichen, zwangsweisen Fingernägel-Reinigung die Finger weh taten. Alle Kinder mussten sich in einer Reihe aufstellen, die Hände ausstrecken, und eine Erzieherin reinigte mit demselben spitzen Schaber die Nägel aller Kinderhände. Davor hatte ich Angst. Die Erzieherinnen nahmen das als Unwillen wahr. Das einzige rothaarige Kind fällt eben auf.

Wenn ich das Knäckebrot, in meiner Sparsamkeitsnaivität, wieder mit nach Hause brachte, gab es Ärger mit Mutter. Die Verpflegung musste ich jetzt essen. Sie gab mir nichts anderes. Das war ein Prinzip von Mutter. So befolgte sie den Haarer-NS-Erziehungsratgeber. Es gab einen weiteren Grund, der noch vom Kriegshungergeprägte Zeitgeist sagte, man wirft Essen nicht weg und es wird immer alles aufgegessen.

Die schlechte Situation im Kindergarten steigerte sich allmählich. Am nächsten Tag legte mir Mutter wieder so eine eklige Proviantmischung in die kleine Tasche. Wenn ich protestierte, dann bekam ich nichts zu essen mit. Meine so geäußerte kindliche Bitte nach genießbarem Proviant verstand sie, konform mit dem NS-Erziehungsratgeber, als Nahrungsverweigerung und gab mir kein Essen mit. Deshalb hungerte ich oft.

Vater erfuhr von meinem Essensproblem. Den an mir ausgeübten und bis abends dauernden Knäckebrot-Esszwang missbilligte er. Weil Mutter mir nichts anderes zu essen geben wollte, begann er, mir nach seiner feierabendlichen Rückkehr „Hasenbrot“ zu geben: „Das konnte ich an der Arbeit nicht essen, jetzt kannst du es haben, wir müssten es sonst wegtun.“ Es war sein Proviant für die Arbeitszeit. Dieser bestand aus zwei Scheiben normalem Brot mit Butter bestrichen und mit Wurst und Käse belegt. Mutter protestierte zwar, beugte sich dann aber dem Ansinnen von Vater, weil der das „Hasenbrot“ sonst demonstrativ wegwarf. Zum Ärger für Mutter unterlief Vater mit seiner Fütterungsaktion Mutters Erziehungsprinzipien. Nach ihrem lehrbuchmäßigen Ansatz hatte ein Kind bei den Essenszeiten das zu essen, was es bekam und sonst nichts. Weigert sich das Kind, dann muss es zum Essen gezwungen werden, auch mit Ohrfeigen, oder hungern. Aktionen, wie Vaters „Hasenbrot-Angebot“ waren nach Lehrmeinung absolut verboten. Entsprechend verärgert war meine lehrmeinungstreue Mutter. Der NS-Erziehungsratgeber gab dieses mütterliche Verhalten vor.

Mein Verhalten sahen die Erzieherinnen im Kindergarten auf ihre Weise. Sie waren der Meinung, das Kind ist für den Kindergarten nicht geeignet, es ordnet sich nicht unter. Nach einiger Zeit erklärte mir Mutter, ich brauche nicht mehr in den Kindergarten zu gehen. Darüber war ich froh, obwohl es zuhause eher schlechter war, denn im Kindergarten war ich nicht Mutters Druck ausgesetzt.

Es mag sein, dass ich für ein Kollektiv wie einen Kindergarten nicht geeignet war, weil ich als tatsächlich einsames Kind einen eigenen Lebensrhythmus entwickelte und keine Erfahrung im Umgang mit anderen Kindern und Erwachsenen hatte.

Für Mutter war mein Rauswurf aus dem Kindergarten eine doppelte Katastrophe, sie musste ihre Arbeit aufgeben und ich hatte genau die Unzulänglichkeit und Böswilligkeit bewiesen, die sie bei mir, „haarertreu“, schon lange vermutete. Einmal abgesehen von weniger weiblicher Selbstbestimmung und Haushaltsgeld. Diese Mutter folgerte: Das Problemkind stoppte ihre berufliche Karriere böswillig. Das ließ sie mich von da an spüren.


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  • Autor: Wolfram Stratmann, im März 1995
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