Teil 10 - Barskamp, 1889-1900
Kapitel 5
Besoldung und Schulinspektion
Eine Gelegenheit, der Gemeinde näher zu kommen, waren die sogenannten Pflichttouren um Michaelis jedes Jahres. Jedes konfirmierte Gemeindeglied hatte mir eine Kopfsteuer von zehn DukatenIm Urtext steht ein kleines d.
, was Dukaten bedeuten könnte. Ab 1818 entsprach der Dukaten einem Taler, 23 Gutegroschen und einem Pfennig. [6] im Jahre, das sogenannte Quartalsopfer, zu entrichten. Dazu kam für jeden Hof ein ganzes, für jede Kätnerstelle ein halbes Pfund Flachs nebst einem Flachsschilling von sechs Dukaten. Die Bauern in Viehle und Gülstorf waren außerdem zu einer Roggenlieferung verpflichtet. In Barskamp gab jeder Hofbesitzer eine Garbe Roggen, in Stiepelse, aber nur als Geschenk, eine Schale Weizen. Diese Gaben wurden nun um Michaelis eingesammelt. Die Barskamper brachten sie mir ins Haus. Aus den Außendörfern mussten sie abgeholt werden. Den einen Tag fuhr man nach vorheriger Abkündigung in die Dörfer Neu-Garge, Viehle und Gülstorf, einen Tag darauf in die zu den Schulgemeinden Walmsburg und Tosterglope gehörigen. Die angenehmere Fahrt war die über die Elbe. Bis zur Elbe hatten wir selbst für unsern Weg zu sorgen. Vom jenseitigen Ufer der Elbe holte der Gemeindevorsteher von Neu-Garge uns mit dem Wagen ab - uns, sage ich, denn der Küster fuhr mit mir, um auch seine GefälleDas Gefälle ist im Steuerwesen des Mittelalters und der frühen Neuzeit der Name für verschiedene obrigkeitliche, kirchliche oder gerichtliche Erträge, Einkünfte oder Abgaben.Siehe Wikipedia.org [7] abzuholen. In Neu-Garge wurde uns vom Vorsteher ein Frühstück gegeben. Dann kamen die Leute und brachten ihre Abgaben. Was etwa restierte, legte der Vorsteher aus. Dann fuhr er uns nach Viehle, wo beim Gemeindevorsteher ein Mittagessen unser wartete. War hier das Geschäftliche erledigt, so wartete schon der Wagen des Vorstehers von Gülstorf, der uns zum Kaffee abholte. Derselbe fuhr uns auch, nachdem die Lieferungen eingegangen waren, nach dem hart an der Elbe gelegenen Viehle zurück und die Viehler Bauern beförderten uns mit unsern Habseligkeiten über die Elbe, an die wir einen Wagen bestellt hatten, der sie von da zu uns brachte. Diese Tour über die Elbe war stets ein Festtag. Die Leute freuten sich auch, wenn jemand aus der Familie mitkam. Die Fahrt diesseits der Elbe war nicht so angenehm und angreifender, weil wir da keine ordentliche Mittagsmahlzeit erhielten. In Stipelse fand die Pflichtsammlung gelegentlich des letzten Kapellengottesdienstes statt. Auf dem Rückwege wurde Alt-Garge gleich mitgenommen. In dem nahe gelegenen Göddingen lud uns der Vorsteher auf einen Abend ein. Da kamen dann die Bauern dazu, und man saß den ganzen Abend gemütlich beisammen.
Da Catemin das entfernteste und zugleich verwahrlosteste Dorf der Gemeinde war, richtete ich dort eine Bibelstunde ein, die im Winter viermal stattfand. Der solideste der Bauern, der zugleich eine Gastwirtschaft hatte, gab seine geräumige Gaststube dazu her und bewirtete mich sogar jedes Mal bei der Gelegenheit umsonst. Der Besuch war zufriedenstellend.
Die Passionsgottesdienste fanden im ersten Winter noch vormittags statt. Außer den Konfirmanden, die im Anschluss daran Unterricht hatten, waren, wie man mir sagte, sonst nur sehr wenig Leute dazu gekommen. Der Reiz der Neuheit führte in meinem ersten Winter eine etwas größere Zahl herbei. In den folgenden Jahren wurden sie auf den Abend verlegt. Die Vakanzkasse hatte einen kleinen Überschuss ergeben, und es wurden zwei Kronleuchter für die Kirche, später noch ein dritter, angeschafft, außerdem Wandleuchter, die eine genügende Erleuchtung der Kirche ermöglichten. Der Besuch der Passionsgottesdienste war seitdem recht gut und blieb wenig hinter dem der Sonntagsgottesdienste zurück.
Die Ortsschulinspektion hatte ich wie erwähnt auch, und sie beanspruchte einen weit größeren Teil meiner Zeit und Kraft als in Moisburg. Hatte ich doch nicht weniger als acht Schulen unter mir, fünf (Barskamp, Walmsburg, Tosterglope, Göddingen und Alt-Garge) diesseits, drei (Stiepelse, Neu-Garge, Viehle) jenseits der Elbe. Außer Barskamp und Walmsburg waren sie allerdings nur klein, einige wirkliche Zwergschulen. Die Schulen wurden fleißig besucht, Konferenzen mit den Lehrern gehalten. Recht hübsch waren die jährlichen Schulprüfungen, an denen sämtliche Lehrer teilnahmen und durch die es so ermöglicht wurde, dass die Lehrer sich und ihre Unterrichtsweise gegenseitig kennen lernten und den Stand ihrer Schulen miteinander verglichen. Damit infolgedessen nicht zu viele Schultage für die einzelnen Schulen ausfielen, wurden jedes Mal zwei, einmal sogar drei Schulen an einem Tage erledigt. Einmal kam aber gerade der Schulrat zu einer derartigen Schulprüfung und meinte, dass doch der durch diese Art der Schulprüfungen erzielte Gewinn in keinem Verhältnis stände zu dem Ausfall an Schultagen. So wurde das abgestellt, und fortan begleitete mich nur der Lehrer, dessen Schule an dem Tage schon geprüft war, zu der zweiten an dem Tage noch zu prüfenden.
Mein Verhältnis zu den Lehrern ist stets ein gutes gewesen. Zwei von den Lehrern, Hogrefe in Barskamp und Bock in Viehle, waren schon über 60 Jahre, als ich in die Gemeinde kam, Bock bereits etwas eingerostet, Hogrefe beweglicher, weshalb seine Schule anfangs noch auf einem ziemlich guten Stande sich befand, doch war von Jahr zu Jahr eine Abnahme zu spüren. Der drittälteste Lehrer, Grimm in Stiepelse, war schwer leidend und starb, als ich etwas über ein Jahr da war. Die übrigen Lehrer waren sämtlich unter 30, einige von ihnen recht tüchtig. Der tüchtigste war wohl Brohmann in Tosterglope, dessen ganze Unterrichtsweise etwas ungemein Sorgfältiges und Sauberes hatte, was sich schon in seiner Handschrift zu erkennen gab. Seine Tabellen sahen aus wie gestochen. Ein sehr regsamer und eifriger Lehrer war auch Henke in Walmsburg. Doch fehlte ihm Brohmanns Akkuratesse. Bei den andern war er nicht beliebt, er galt als Aufspieler. Ein frischer und dabei liebenswürdiger Mensch war Wiese in Göddingen. Etwas anspruchsvoll in seinem Auftreten war Wulfes, der als Grimms Nachfolger nach Stiepelse kam. Er wollte sich auf die Mittelschullehrerprüfung vorbereiten, stand aber schließlich davon ab. Übrigens war er auch durchaus willig und hob seine Schule. Da er keine Häuslichkeit hatte, haben wir ihn zuweilen zu Mittag eingeladen. Von dem Lehrer Hübotter in Neu-Garge habe ich schon gesprochen. Am meisten Angriffsfläche bot der Kritik unter den jüngeren Lehrern wohl Börstling in Alt-Garge dar, da er dahin neigte, sich gehen zu lassen. Doch habe ich auch aus seiner Schule sehr tüchtige Konfirmanden gehabt, und er war ein aufrichtiger Mensch.
Einen näheren geselligen Verkehr hatten wir mit den Lehrern und ihren Familien nicht. Am nächsten hätte das ja bei Hogrefe gelegen. Aber gerade dort verwehrten es die wenig erquicklichen Familienverhältnisse. Hogrefe war zum zweiten Mal verheiratet und verstand sich mit seiner zweiten Frau nicht recht. Er war ein freundlicher, gefälliger Mann, mit jedem gut Freund, ein rechter Hans in allen Hägen, hatte aber von Natur etwas Leichtes. Sie dagegen hatte etwas Schweres. Sie war eine streng rechtlich denkende Frau. Wie sie aber wohl niemals Liebe in ihrem Leben erfahren hatte, so hatte auch sie etwas hartes, liebloses. Die Kinder aus ihres Mannes erster Ehe existierten für sie eigentlich nicht. Umgekehrt konnte sie sich so stellen, als ginge ihr einziges eigenes Kind, ein Mädchen, das ich im zweiten Jahr konfirmierte, ihren Mann nichts an. Ich habe ziemliche Auseinandersetzungen mit ihr gehabt, durch die ich es ziemlich mit ihr verschüttete. Ebenso verschüttete es meine Frau mit ihr in bester Absicht. Sie wollte ihre Tochter, ein liebes Kind, in ein anderes Haus haben nach ihrer Konfirmation. Da meine Schwägerin Wilhelmine [Borchers], die nicht lange vor unserer Versetzung mit ihrem Mann nach Misselwarden im Lande Wursten übergesiedelt war, sich bereit erklärte, das Kind ins Haus zu nehmen, vermittelte meine Frau es und Frau Hogrefe war anfangs ganz einverstanden, nahm es ihr aber bitter übel, als sie hinterher gewahr wurde, dass ihr Linchen durch Vermittelung meiner Frau auch in ein näheres Haus hätte kommen können. Es war ja ein wahres Glück, dass sie nicht zu nah bei der Mutter blieb. Die wäre ja fortwährend dort ins Haus gelaufen und hätte das Kind mit ihrer unverständigen Liebe gepeinigt. Sie tat es ohnehin durch ihre Briefe. Linchen lernte später einen Beruf, und sie entwickelte sich günstig. Hogrefe sprach mir einst seine Freude darüber aus mit der bezeichnenden Hinzufügung: Sie ist ganz anders als ihre Mutter.
d., was Dukaten bedeuten könnte. Ab 1818 entsprach der Dukaten einem Taler, 23 Gutegroschen und einem Pfennig.
[7] Das Gefälle ist im Steuerwesen des Mittelalters und der frühen Neuzeit der Name für verschiedene obrigkeitliche, kirchliche oder gerichtliche Erträge, Einkünfte oder Abgaben.