Kairo 1961-1966,
Kapitel 1
Auf nach Kairo
In meinem Elternhaus gab es das unausgesprochene und selbstverständliche Bildungsideal, dass man Abitur machte. In Jerusalem, wo ich im Schuljahr 1960/61 die englische St. George's SchoolSiehe auch: Jerusalem 1960 - 1965, Kapitel 8: Mein Alltag in Jerusalem
besuchte, bestand dazu keine Möglichkeit. So begann für mich im September 1961 ein neuer Lebensabschnitt als Schüler der Deutschen Auslandsschule in Kairo, der Deutschen Evangelischen Oberschule, der bis zum Abitur im Mai 1966 dauerte.
Die Altstadt Jerusalems (damals noch Jordanien) und Kairo liegen etwa 400 km Luftlinie voneinander entfernt. Aber während meiner Kairoer Schulzeit gab es keine Möglichkeit, auf dem Landweg von Jerusalem nach Kairo zu kommen, denn dazwischen lag Israel. Diplomatische Beziehungen zwischen den verfeindeten Ländern gab es nicht, natürlich auch keinen Transitverkehr. So blieb nur die Reise mit dem Flugzeug.
Jerusalem hatte damals einen ganz kleinen Flugplatz in Kalandia. Er lag nördlich der Altstadt auf halber Strecke nach Ramallah. Die Straße nach Ramallah führte über die einzige Flughafenpiste. Wenn ein Flugzeug landete oder startete, wurde die Straße mit einer Schranke gesperrt. Einen Zubringerbus zwischen dem Abfertigungsgebäude und der DC-6 der Jordan Airways oder der Middle East Airlines gab es nicht, man ging die 300 m zu Fuß. Zum Glück kam es nur selten vor, dass der Flug um Stunden verschoben werden musste, weil über der Judäischen Wüste ein Sandsturm tobte, der durch den Chamsin, einem heißen und trockenen Wüstenwind, ausgelöst wurde. Dann konnte kein Flugzeug in Jerusalem starten oder landen.
Die Flugstrecke verlief nach Osten über das Tote Meer und das Moabitergebirge, das östlich des Jordangrabens verläuft, dann in südlicher Richtung. Rechter Hand lag das Gebirge mit dem Talkessel von Petra, dahinter das Wadi Araba, kurz darauf linker Hand das Wadi Ramm. Dann überflogen wir Aqaba und den Golf von Aqaba. Von dort ging es wieder nach Westen über die Sinai-Halbinsel und den Suezkanal nach Kairo. Die alten Propellermaschinen waren noch sehr anfällig für Luftlöcher. Es kam nicht selten vor, dass die Maschine bei Turbulenzen durchsackte, was der Magen nicht sehr angenehm fand. Aber der Flug dauerte nur etwa eineinhalb Stunden, dann landeten wir auf dem Cairo Airport. Von dort aus nahm ich ein Taxi, das mich durch die Viermillionenstadt (heute hat die Metropolregion 16 Mio. Einwohner) zum Schülerheim nach Zamalek brachte.
Zamalek, der Stadtteil, in dem damals Schule und Schülerheim lagen, ist ein Viertel der Oberschicht. Zur Britischen Mandatszeit war es ein reines Europäerviertel. Es liegt im nördlichen Teil der etwa 8 km langen und 1 km breiten Nil-Insel GeziraGezira (arab. für Insel) ist Kairos größte Nilinsel. Sie liegt im Stadtzentrum und wird an der 26.-Juli-Straße in zwei Wohnviertel unterteilt.Quelle: Wikipedia.org, was nichts anderes als Insel
bedeutet. Zamalek ist bebaut mit alten Villen und sechs- bis achtstöckigen Hochhäusern, durchsetzt mit Parks und Grünanlagen. Hier sind die meisten Botschaften angesiedelt, damals auch die Handelsvertretung der DDR, die aber die Funktionen einer normalen Botschaft ausübte. Die Hochhäuser haben große komfortable Wohnungen, und vor jedem Hauseingang steht mindestens ein Bawwab (Türhüter).
Im mittleren Teil der Insel liegt der Gezira Sporting ClubDer Gezira Sporting Club ist das größte Freizeitgelände Ägyptens.Quelle: Wikipedia.org, der älteste und exklusivste Sportclub Ägyptens. Er wurde in der Kolonialzeit für die British Army angelegt und 1952 unter Gamal Abdel Nasser verstaatlicht und der Allgemeinheit zugänglich gemacht. Die Höhe der Mitgliedsbeiträge sorgte aber dafür, dass die Reichen und Schönen
unter sich blieben. Südlich des Clubgeländes hatte man gerade rechtzeitig zu meiner Ankunft den 187 m hohen Kairoer Fernsehturm gebaut, dessen durchbrochene Fassade an eine Lotusblüte erinnert.