Kairo 1961-1966,
Kapitel 8
Mein erstes Schuljahr auf der DEO
1960 begann in Hamburg das Schuljahr noch zu Ostern. Erst mit dem Hamburger AbkommenDas Hamburger Abkommen ist eine Vereinbarung der Ministerpräsidenten der einzelnen Bundesländer mit dem Ziel, das allgemeinbildende Schulwesen in der Bundesrepublik Deutschland zu vereinheitlichen. Es wurde von der Kultusministerkonferenz (KMK) erarbeitet und am 28. Oktober 1964 verabschiedet. Es ist mit mehreren nachträglichen Ergänzungen bis heute eine wesentliche Grundlage der gemeinsamen Grundstruktur des deutschen Bildungswesens.Siehe Wikipedia.org von 1964 legte man in Deutschland den Beginn des Schuljahres einheitlich auf den Herbst. In Jerusalem und Kairo begann das Schuljahr aber schon nach den Sommerferien und war damit an internationale Konventionen angepasst.
Ostern 1960 wurde ich in Hamburg in die 9. Klasse versetzt. Im Herbst 1960 kam ich in Jerusalem in die Secondary IIISiehe auch: Jerusalem 1960 — 1965
Kapitel 8:
Mein Alltag in Jerusalem der St. Georges School, und als ich ein Jahr später nach Kairo auf die Deutsche Evangelische Oberschule (DEO) wechselte, kam ich in die Klasse 10a. Damit hatte ich zwar ein halbes Jahr verloren, aber eine Menge an Lebenserfahrung gewonnen.
In meiner Hamburger Schule war Englisch die erste und Latein die zweite Fremdsprache. In der Schule in Jerusalem sprachen wir nur Englisch, und von Französisch hatte ich, bis auf ein paar Brocken, keine Ahnung. Das passte überhaupt nicht mit den Anforderungen der DEO zusammen, denn meine Mitschüler hatten bereits ab der 7. Klasse Französisch als zweite Fremdsprache. Deshalb bekam ich bereits in Jerusalem vorsorglich Französisch-Stunden. Das reichte aber bei weitem nicht aus, um auf das Niveau meiner Mitschüler zu kommen, sodass ich in Kairo weiterhin Nachhilfe bekam, und zwar durch meinen Klassenlehrer Herrn Harder. Er war zwar nicht richtig gut in Französisch, aber für mich reichte es locker. Er unterrichtete auch Englisch, aber mein subjektiver Eindruck war, dass ich das ebenso gut konnte.
So ließ mich das Französische vorläufig nicht aus seinen Klauen, obwohl mir schon klar war, dass ich in der Oberstufe den mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig wählen und damit eine Sprache abwählen würde. Für mich stand schon fest, dass das bestimmt nicht Latein sein würde, die dritte Fremdsprache, die ab der 10. Klasse unterrichtet wurde, denn Latein hatte ich schon in Hamburg gehabt.
Statt Latein konnte man als deutscher Schüler übrigens auch Arabisch wählen. Mir ist aber nur ein deutscher Schüler bekannt, der sich so entschieden hat. Ich habe von dieser Möglichkeit erst erfahren, als der Zug für mich abgefahren war. Ob ich sonst Arabisch statt Latein gewählt hätte? Ich weiß es nicht.
In allen anderen Unterrichtsfächern hatte ich keine Schwierigkeiten. In Physik beispielsweise nahmen wir das Thema Optik
durch, das ich gerade in Englisch auf der St. Georges School in Jerusalem durchgemacht hatte. Beim Schwimmen allerdings zeigte sich mein Defizit. Ein Jahr Jerusalem ohne die Möglichkeit zu schwimmen hatte mich völlig aus der Übung gebracht. Nur eine einzige Gelegenheit hatten wir bei einem Urlaub in Aqaba. Aber die vielfältige Unterwasserwelt dort ließ mich nicht aus ihrem Bann, und so schwamm ich nur um zu schnorcheln. – Deshalb wunderte ich mich nicht über meine Ergebnisse beim Schwimmfest in Kairo im Oktober 1961: Ich benötigte über eine Minute für 50 m und tauchte nur 20 m. Ein älterer Schüler tauchte und tauchte, wendete nach 50 m Beckenlänge und schwamm wieder zurück. Nach 64,5 m, – Schulrekord! –, tauchte er schließlich auf, direkt vor meinen Füßen. Dann sackte er zusammen. Ich sprang sofort rein, um seinen Kopf über Wasser zu halten. Aber da war er auch schon wieder bei Bewusstsein. Dann waren da sehr schnell viele helfende Hände, die ihm aus dem Becken halfen. Nein, er hat keine bleibenden Schäden davongetragen.
In meiner Klasse waren 25 Schüler, 13 Mädchen und zwölf Jungen. 20 Schüler waren Deutsche, drei Ägypter, dazu ein Österreicher und ein Holländer. Ein Teil der europäischen Jungen legte ein halbstarkes und proletenhaftes Gehabe an den Tag, das ich von Hamburg und Jerusalem so nicht kannte. Ihre Väter, Ingenieure, Firmenvertreter und Diplomaten, arbeiteten oft schon mehrere Jahre im Ausland, nicht nur in Ägypten, brachten Knowhow in die Entwicklungsländer und hatten damit automatisch einen herausragenden Stand. Wie sich die Väter in ihren Berufen verhielten, entzog sich meiner Kenntnis. Aber Kinder sind bekanntlich oft das Spiegelbild ihrer Eltern. Und bei einigen Kindern, die auf eine gewisse Art heimatlos
und entwurzelt wirkten, saß wohl die Prägung des kolonialistischen Herrenmenschenverhaltens
aus dem 19. Jahrhundert gegenüber den Einheimischen recht tief.
Möglicherweise lässt sich mit diesem Verhalten der folgende Vorfall erklären, der sehr viel diplomatischen Staub aufwirbelte, den man aber in den Annalen der Schule totschwieg. In die Erinnerung meiner Schülergeneration prägte sich der Vorfall unter dem Schlagwort Ficker-Affäre
ein. Wir Schüler bekamen nur über Mundpropaganda etwas von der Affäre mit. Er soll sich etwa so zugetragen haben: Einige ältere Schüler sollen zwei ägyptische, angeblich käufliche Mädchen in ein väterliches Auto eingeladen haben. Dann sollen sie in die Wüste zu den Pyramiden gefahren sein, die beiden Mädchen dort vernascht und sie auf der Rückfahrt ohne Bezahlung aus dem Auto geworfen haben. Vermutlich hatten sich die Mädchen das amtliche Kennzeichen gemerkt, sodass die Täter ermittelt werden konnten und die Schule davon informiert wurde. Schnell weitete sich der Vorfall zum Skandal aus. In der Folge gab es etliche investigative Verhöre in der Schule, um den Sachverhalt aufzuklären, was uns einige Freistunden bescherte. Schließlich flogen die Haupttäter von der Schule, ein schwacher Versuch, den Image-Schaden zu kompensieren, der der Schule und dem deutschen Ansehen entstanden war.
Abwechslung bot das Schuljahr durch Klassenfahrten ans Rote Meer, die ähnlich wie die Zeltfahrten verliefen, die wir mit dem Schülerheim machten. Das Schülerheim sorgte auch auf den Klassenfahrten für die Verpflegung. Für uns Heimschüler war sie kostenlos, die anderen Schüler bzw. deren Eltern mussten dafür zahlen.
Aber noch interessanter als die Klassenfahrten fand ich den Tanzkurs, den die Schule anbot. Er wurde von der Lehrerin Fräulein Preisser ins Leben gerufen, die zusammen mit mir im Schuljahr 1961/62 an die DEO kam. Ja, damals sagte man noch Fräulein
zu unverheirateten Frauen, man machte sich darüber keine Gedanken. Aber diese selbstbewusste Frau war alles andere als ein Fräulein
, die auf einen Mann wartete. Sie war für die damalige Zeit äußerst emanzipiert, ohne es aber herauszukehren.
Am Tanzkurs konnten Jungen und Mädchen ab 16 Jahren teilnehmen. Ich war sofort begeistert. Und auch fast alle anderen Heimschüler nahmen daran teil. Der Tanzkurs fand in der Aula einer arabischen Schule auf Zamalek statt, denn die DEO hatte keinen passenden Raum. Die Schule lag auf der anderen Seite der Fuad
, das war die Hauptstraße, die den Stadtteil Zamalek teilte, und die wir auch auf unserem SchulwegSiehe auch: Kairo 1961-1966
Kapitel 5:
Die Deutsche Evangelische Oberschule überqueren mussten.
Der Tanzkurs bot uns alle Tänze an, die damals so üblich waren, vom Rock 'n' Roll bis zur Samba. Mein Favorit war der Quickstepp, weil man damit so schön übers Parkett fegen und sich drehen konnte, und am langweiligsten fand ich den Cha-Cha-Cha. – Etwa zur Halbzeit des Kurses fand ein Tanztee im Semiramis-Hotel statt. Und zum Abschluss kam der Abtanzball im Hilton-Hotel, zu dem auch alle Eltern geladen waren. Wir Herren
wurden aufgefordert, den Damen
, unseren Tanzpartnerinnen, zum Abtanzball einen Blumenstrauß mitzubringen, aber bitte kein Biedermeierstrauß
, so hieß es. Bevor wir unsere Damen
mit ihren toupierten Hochfrisuren abholten, ging es dann an die Fuad
zum Schuhputzer, um die Schuhe auf Hochglanz polieren zu lassen, und dann in den Blumenladen. Die Ansage mit dem Blumenstrauß war wohl von einigen Schülern missverstanden worden, denn sie erschienen dann doch mit einem Biedermeierstrauß.