Kairo 1961-1966,
Kapitel 3
Das Schülerheim der Deutschen Evangelischen Oberschule
Das Schülerheim war ein Angebot der Deutschen Evangelischen Oberschule (DEO), deutschen Schülern, deren Eltern nicht in Kairo, sondern in anderen ägyptischen Städten oder in den umliegenden Ländern wohnten, die Möglichkeit zu bieten, eine deutsche Schule zu besuchen. Ihre Eltern hatten die unterschiedlichsten Berufe. Während meiner fünf Jahre wohnten im Schülerheim Botschafts- und Konsulatskinder aus Alexandrien, Amman, Damaskus und Karatschi, Ingenieurskinder aus Ismailia, Assuan, Abu Simbel, Khartum und Kuwait, Kinder, deren Eltern für NGOsEine Nichtregierungsorganisation (NRO bzw. aus dem Englischen NGO) oder auch nichtstaatliche Organisation ist ein zivilgesellschaftlich zustande gekommener Interessenverband.Quelle: Wikipedia.org[1] in Alexandrien, Amman und Ramallah arbeiteten und Lotsenkinder aus Ismailia. Die Eltern zweier Lotsenkinder waren Bürger der DDR. Ihr Vater war schon lange vor dem Berliner Mauerbau Kanallotse auf dem Suezkanal geworden. Nach Beendigung seines Vertrags wechselte die Familie die Staatsangehörigkeit und zog nach Hamburg.
Schülerheim und Schule befanden sich damals auf der Nil-Insel Gezira im Stadtteil Zamalek. Die Postanschrift lautete: 1, Sharia Dr. Mahmud Azmi, Cairo-Zamalek, VAR. Nicht Ägypten
sondern VAR
, das war die Abkürzung für die Vereinigte Arabische RepublikDie von 1958 bis 1961 bestehende Vereinigte Arabische Republik (VAR; arabisch الجمهورية العربية المتحدة, DMG al-Ǧumhūrīya al-ʿarabīya al-muttaḥida) war ein Zusammenschluss der arabischen Staaten Ägypten und Syrien.Quelle: Wikipedia.org
[2], die 1958 von Ägypten und Syrien gegründet wurde. Sie zerbrach bereits nach dreieinhalb Jahren. Trotzdem gab es am Vereinigungstag
weiterhin schulfrei. Ägypten hielt an der Bezeichnung VAR
noch bis 1972 fest.
Natürlich war das Heim nicht vergleichbar mit einem deutschen Internat. Es hatte eher einen familiären Charakter. In meinem ersten Schuljahr 1961/62 wohnten dort 26 deutsche Schüler zwischen neun und 20 Jahren, darunter sieben Mädchen. Die Leitung des Heims hatte ein Heimelternpaar, das mit im Haus wohnte.
Das Gebäude war eine damals etwa 50 Jahre alte, dreigeschossige Villa aus der Kolonialzeit. Von außen machte sie einen etwas heruntergekommenen Eindruck, hervorgerufen durch das alte, in die Jahre gekommene Holzgeländer des Balkons. Aber dieser Eindruck traf auf die Innenräume nicht zu.
Im Tiefparterre lagen die Wirtschaftsräume, die Küche und der Essraum. Dort führte Frau Weber das Regiment. Es blieb für mich immer ein Geheimnis, was sie nach Ägypten verschlagen hatte. Im Tiefparterre der Nachbarvilla hatte sie eine eigene Wohnung. Sie war die Wirtschafterin des Heims und regierte über eine männliche Dienerschaft von vier Dienern.
Der Begriff Diener
, der in Deutschland einen Beigeschmack hat, ist in Ägypten für Hausangestellte gebräuchlich. Er stammt sicherlich noch aus der Kolonialzeit. Wenn eine deutsche Familie, die einen verlässlichen Diener hatte, wieder nach Deutschland zurückkehrte, wurde dieser gern per Mundpropaganda weitervermittelt, bevor man den Arbeitsmarkt bemühte.
Die Diener trugen die traditionelle Tracht, die GallabijaDie Dschallabija (جلابية), ägyptisch meist Gallabija ausgesprochen, ist ein traditionelles Gewand im Nahen Osten, besonders in Ägypten und dem Sudan, das heute hauptsächlich noch in den ländlichen Gegenden westlich des Nils getragen wird. Die Galabija ist ein langes, hemdartiges Gewand mit weiten Ärmeln und sehr weitem Rockteil, hat einen Brustschlitz und traditionell keinen Kragen.Quelle: Wikipedia.org[3], die sehr an ein bodenlanges Nachthemd erinnert. Jede besser situierte Familie in Zamalek hatte Diener, die für den Haushalt, das Haus und die Garage zuständig waren. Außerdem hatten die größeren Mehrparteien-Wohnhäuser einen Bawwab (Türhüter). Der Vergleich mit einem Concierge trifft es in etwa.
Einer der Heimschüler brachte mal das Gerücht auf, dass der ägyptische Geheimdienst ausgewählte Diener in der Sprache ihrer Herrschaft
schulten, sodass sie die Sprache verstehen, nicht aber sprechen sollten, um auf diese Weise an Informationen zu kommen. Aber das war nur ein Gerücht, unbeweisbar, und irgendwann verschwand es auch wieder. Abgesehen davon konnte man bei uns Heimschülern bestimmt keine geheimdienstlich relevanten Informationen abgreifen.
Die Diener des Schülerheims hatten die Aufgabe, das Haus sauber zu halten, das Essen zu machen und die Wäsche zu waschen und zu bügeln. Gebügelt wurde mit alten PlätteisenSo sahen die Plätteisen aus:Bildquelle: By Harke (Own work) und By Tamorlan (Own work) [CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), die nur aus einem spitz zulaufenden Metallkörper mit Griff bestanden. Sie wurden im Wechsel auf einem Petroleumkocher heiß gemacht und dann vor dem Plätten auf einem Stück Stoff abgerieben, um den Ruß zu entfernen.
Wenn man die Treppe zum Hochparterre heraufkam und das Gebäude durch die Eingangstür betrat, öffnete sich ein großer, sehr breiter, gefliester Flur. Dahinter schloss sich das großzügige Treppenhaus an, dessen Stufen aus Marmor waren. Hochparterre und erste Etage hatten den gleichen Grundriss. Vom Flur gingen sechs bis acht großzügige Zimmer ab, in denen die Heimschüler zu zweit, die kleinen auch mal zu dritt wohnten. Die Abiturienten hatten, wenn es der Platz erlaubte, ein Einzelzimmer. Fast alle Zimmer hatten einen Balkon. Auf der Südseite erstreckte sich ein etwa 2 m tiefer Balkon mit einem massiven Holzgeländer über die ganze Breite des Hauses. An ihm konnte man gut von außen hochklettern, wenn man mal später als erlaubt zurückkam.
Außerdem gab es auf der Dachebene noch eine zweite Etage mit zwei weiteren Zimmern, die aber nicht die volle Fläche der Villa einnahm.
[1] Eine Nichtregierungsorganisation (NRO bzw. aus dem Englischen NGO) oder auch nichtstaatliche Organisation ist ein zivilgesellschaftlich zustande gekommener Interessenverband.
[2] Die von 1958 bis 1961 bestehende Vereinigte Arabische Republik (VAR; arabisch الجمهورية العربية المتحدة, DMG al-Ǧumhūrīya al-ʿarabīya al-muttaḥida) war ein Zusammenschluss der arabischen Staaten Ägypten und Syrien.
[3] Die Dschallabija (جلابية), ägyptisch meist Gallabija ausgesprochen, ist ein traditionelles Gewand im Nahen Osten, besonders in Ägypten und dem Sudan, das heute hauptsächlich noch in den ländlichen Gegenden westlich des Nils getragen wird. Die Galabija ist ein langes, hemdartiges Gewand mit weiten Ärmeln und sehr weitem Rockteil, hat einen Brustschlitz und traditionell keinen Kragen.