Kairo 1961-1966,
Kapitel 2
Land und Leute
Wenn man als Hamburger nach Bayern kommt, braucht man einige Zeit, um sich in den ungewohnten Dialekt reinzuhören. So ähnlich fühlte ich mich, als ich nach Kairo kam. Den mir vertrauten palästinensischen Dialekt, der in Jerusalem gesprochen wurde, empfand ich als näher am klangvollen Hocharabischen und deshalb als schöner. Aber die Ägypter waren einfach nicht bereit, palästinensisch zu sprechen, und so musste ich umlernen.
Trotz dieses Nachteils war ich mit meinen Palästinensisch-GrundkenntnissenLesen Sie auch: Jerusalem 1960 — 1965, mein Alltag in Jerusalem
aus Jerusalem im Vergleich zu den meisten deutschen Schülern der Deutschen Evangelischen Oberschule (DEO) im Vorteil. Interessanterweise zeigten die deutschen Schüler wenig Interesse daran, richtig Arabisch zu lernen.
Auch die Währung war neu für mich. In Jordanien gab es den Jordanischen Dinar, hier in Kairo galt das ägyptische Pfund (Livre Égyptienne, abgekürzt LE
), das in 100 Piaster und in 1000 Millim unterteilt wird. In den 1960er Jahren kostete 1 LE etwa 10 DM. Heute (2015) hat sich das Verhältnis umgekehrt: 1 LE entspricht jetzt etwa 10 Euro-Cent.
Mit dem Kleingeld in Jordanien war es einfach, denn für jeden Nennwert gab es eine Münze. Aber in Ägypten war damals eine Vielfalt von Münzen im Umlauf. Jede Epoche hatte ihre eigenen Münzen, und innerhalb einer Epoche gab es sogar unterschiedliche Münzen desselben Nennwerts. Und alle waren noch gültig. Die ältesten waren Lochmünzen von 1917, also aus der Regierungszeit des Sultans Hussein Kamil. Die konnte man sich noch an einer Schnur um den Hals hängen. Dann gab es Münzen aus der Regierungszeit von König Fuad I. (1917-1936) mit seinem Porträt, und aus der Zeit von König Faruq I. (1936-1952) auch noch sechseckige Münzen und Kupfermünzen mit gewelltem Rand. Danach kamen noch die Münzen der Republik und der Vereinigten Arabischen Republik mit Syrien. Ich habe mindestens acht verschiedene Ein-Piaster-Münzen in Erinnerung.
Der Besuch der DEO war natürlich nicht kostenlos, wie wir es aus Deutschland kannten. Wir mussten Schulgeld zahlen. Es betrug pro Schüler und Monat 4,5 LE. Die monatlichen Kosten für die Unterbringung im angegliederten Schülerheim beliefen sich auf 26 LE. Aber die Schule war eine kirchliche Institution, und das Amt unseres Vaters war ein kirchliches Amt. So bekamen wir Ermäßigung. Für mich und meinen Bruder Thomas, der ein Jahr nach mir auch an die DEO kam, kostete die Schule monatlich nur je 2,5 LE, der Heimplatz je 15 LE. Das war genau der monatliche Satz, den wir auch gegenüber den ägyptischen Behörden nachweisen mussten, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Sie wurde aber nur für ein Jahr ausgestellt, nicht für unterjährige Zeiträume. Deshalb musste unser Vater das Geld für zwei Söhne für ein Schuljahr auf einmal zahlen.
In den ersten drei Jahren musste ich das Schul- und Heimgeld noch in der Schule bei Herrn Kretschmann, dem Verwaltungschef der Schule, bar bezahlen. Später war auch die Überweisung aus Deutschland möglich. Aber der offizielle Wechselkurs, den man in Ägypten für DM oder US-Dollar bekam, war miserabel. In Jordanien hingegen bekam man das ägyptische Pfund erheblich günstiger. Und so deckten uns unsere Eltern mit ägyptischen Pfunden ein, die sie in Jerusalem bei den Geldwechslern eingekauft hatten. Das dicke Geldbündel meist fettiger und abgenutzter Scheine steckte ich dann in meine Gesäßtasche, denn die Einfuhr des Geldes war strikt untersagt, und transportierte es so über die Grenze. Ich bin nie gefilzt worden.
Aus der Korrespondenz zwischen meinen Eltern und uns Söhnen wird eine recht klare Rollenverteilung zwischen meinem Bruder und mir deutlich. Ich kümmerte mich mehr um das Organisatorische wie Finanzen, Ferienplanung, Flugkarten. Thomas lieferte dafür sehr detaillierte Beschreibungen und Analysen von unserem Leben in Kairo.
Apropos: Der Briefverkehr zwischen Jerusalem und Kairo dauerte drei bis zwölf Tage. Wir kamen schnell darauf, die Briefe durchzunummerieren und registered
, also per Einschreiben zu schicken, weil nicht eingeschriebene Briefe regelmäßig verschwanden. Die meisten Briefe wiesen Klebespuren auf, die nur den Schluss zuließen, dass der ägyptische und / oder der jordanische Geheimdienst mitlas. Einige Briefe wurden auch offiziell vom Zoll geöffnet, sie hatten dann auf der Rückseite einen Zoll-Aufkleber. Eine Zeitlang habe ich die Briefe sogar mit echtem Siegellack versiegelt, in den ich einen Siegelring drückte. Finanzielle Dinge (Informationen zum Schulgeld oder Heimgeld) verschlüsselten wir.
Außerdem nutzten wir jede Gelegenheit, uns bekannte Personen, meist Touristen oder kirchliche Personen, die von Jerusalem nach Kairo oder umgekehrt reisten, als Kuriere zu nutzen. Das kam recht häufig vor. Briefe kamen auf diese Weise schneller und sicherer an. Gelegentlich erfolgten auch finanzielle Transaktionen auf diesem Wege. Und wir bekamen von unseren Eltern immer mal kleine Fresspakete
mit Leckereien, die sie bei Gelegenheit aus Deutschland mitgebracht bekamen. An erster Stelle auf unseren Wunschlisten stand Schokolade, dann Kakaopulver, Tütensuppen und Hühnerbrühe. Auch Dauerwurst und Rollmöpse im Glas waren gefragt.
Als Gegenleistung
für die Fresspakete fuhr ich gelegentlich in die Muski, ein Basarviertel der Kairoer Altstadt, in der es SuqsEin Suq ist ein kommerzielles Viertel in einer arabischen Stadt.Quelle: Wikipedia.org für Goldschmiede, für Kupferwaren, für Lederwaren und so weiter gab. Dort besorgte ich auf Bestellung von Freunden und Bekannten touristische Souvenirs wie lederne Sitzkissen (auch Puffs
genannt), Kamelhocker, Sandalen, gehämmerte Kupfertabletts, Wasserpfeifen und ähnliches und ließ sie nach Jerusalem mitnehmen oder nach Deutschland verschicken. Das übernahmen dann auf sehr zuverlässige Weise die Händler der Muski.
Als Ausländer konnten wir komplikationslos in die Muski fahren oder durch die Innenstadt laufen. Das galt genauso für die Mädchen. Die Muski, den Flughafen oder die Pyramiden in Gizeh erreichte man gut mit einem Taxi, das unser Standard-Verkehrsmittel für längere Strecken war. Die Metro gab es damals noch nicht. Taxifahrten waren recht preiswert. Die Taxis besaßen ein Taxameter, aber man musste darauf achten, dass es auch eingeschaltet wurde. Das besorgten wir meist selbst mit einem Griff durch das immer offene Beifahrerfenster, weil das Gerät außen auf der Beifahrerseite angebracht war. Gelegentlich fuhren wir auch mit dem Bus. Aber das Busfahren war abenteuerlich. Meistens waren die Busse so überfüllt, dass Menschentrauben an den offenen Türen hingen. Wenn ich mit dem Bus gefahren war, hatte ich mir jedes Mal mindestens einen Floh eingefangen.


In die Wohnstraßen des reichen Stadtteils Zamalek kamen gelegentlich fliegende Teppichhändler, die aufgerollte Teppiche über der Schulter trugen. Wenn sie uns auf dem Balkon entdeckten, entrollten sie einen der Teppiche und boten ihn uns an mit den Worten Tippisch nix teuer
. Sie verdienten sich damit ihren Lebensunterhalt. Aber darüber dachten wir Heimschüler damals nicht nach, sondern amüsierten uns über sie und ihre Aussprache. Oft sahen wir Straßenjungen, die Zigarettenkippen aufsammelten. Sie verdienten sich damit ein paar Piaster. Es war allgemein bekannt, dass es eine Zigarettenmarke gab, die aus diesen Kippen hergestellt wurde.