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Wiederbegegnung mit Ostpreußen nach 42 Jahren
oder: Studienfahrt in die (k)alte Heimat 1987
Kapitel 1: Durch die DDR nach Polen

Eine Studienreise mit der Volkshochschule Quickborn brachte uns für insgesamt zehn Tage in das ehemalige Ostpreußen, das unser HeimatlandDenn hier bin ich aufgewachsen und habe meine Kindheit und Jugend verbracht. Ostpreußen existiert ja weiterhin, es hat nur durch die Willkür der Siegermächte eine polnische Regierung bekommen.

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Kindheit in Ostpreußen
ist. Die deutschen Bewohner mussten im Jahre 1945 nach russischer Eroberung des Gebietes und späterer polnischer Besetzung ihre Wohnsitze aufgeben und zwangsweise verlassen, wenn sie nicht schon vorher vor den anrückenden russischen Truppen geflüchtet waren.

Heute (1987) ist es nur möglich, den westlichen Teil Ostpreußens, der unter polnischer Verwaltung steht, zu besuchen. Der östliche Teil, von der Sowjetunion besetzt und verwaltet, ist für Besucher nicht freigegeben. Da wir, das heißt Ulla, Joachim und ich, in Osterode/Ostpreußen beheimatet waren, interessiert uns dieses Gebiet natürlich besonders.

Vor Antritt der Reise erhielten wir von unserer Reiseleiterin Frau Römelt unseren Tagesablaufplan zugesandt. Am Donnerstag, dem 21. Mai 1987 um 06.00 Uhr, treffen wir mit unserem Gepäck per Taxe vor dem Quickborner Rathaus ein, um gemeinsam mit der Studiengruppe den bereitgestellten Reisebus der Firma Numssen, Itzehoe, zu besteigen. Joachim und Anneliese haben die Sitzplätze 23 und 24, Ulla und ich 25 und 26, mit guter Sicht auf die zu durchfahrene Landschaft.

Um 06.20 Uhr fahren wir ab über die Autobahn bis zur Raststätte Harburger Berge, wo zwei Fahrgäste zusteigen. Weiter geht’s bis Lübeck-Schlutup, dort ist der Übergang zur DDR. Um 08.15 Uhr sind wir an der Grenze von Deutschland nach Deutschland. Die Abfertigung durch Grenzbeamte der DDR geht verhältnismäßig zügig vonstatten. Pass- und Gesichtskontrollen ergeben keinerlei Beanstandungen, sodass wir um 08.35 Uhr in die DDR hineinfahren können. Es geht über die Orte Dassow (08.50 Uhr), Grevesmühlen (09.05 Uhr), Wismar passieren wir um 09.25 Uhr.

Wismar, im früheren Mecklenburg gelegen, ist eine alte Hansestadt. Heute wohnen in ihr 57.000 Einwohner. Hier er folgt heute hauptsächlich die Verschiffung von inländischem Kali. Von 1648 bis 1803 war Wismar in schwedischer Hand. Das Stadtbild ist mittelalterlich. Die Marienkirche stammt aus dem 14./15. Jahrhundert. Erwähnenswert ist die stark ausgebaute Schiffswerft, die Schiffe für die UdSSR baut.

Weiter geht’s auf der Straße 105, sie ist für den Transit reserviert, in Richtung Rostock. Wir passieren Kröpelin (10.00 Uhr), Bad Doberan um 10.10 Uhr, mit seinem bekannten, schönen Münster aus dem 13./14. Jahrhundert. Sechs km nordwestlich ist das zu Bad Doberan gehörende Ostseebad Heiligendamm. Um 10.20 Uhr sind wir in Rostock, dem größten Hafen der DDR. In der alten Hansestadt sind Patrizierhäuser im gotischen Stil, das 54 m hohe Kröpeliner Tor, die Marienkirche aus dem 13./14. Jahrhundert, sehr viel Neubauten, aber auch noch Ruinen aus dem Zweiten Weltkrieg zu sehen. Die großangelegte Schiffswerft baut hauptsächlich Schiffe für die Ostblockstaaten.

Weiter geht es ohne Aufenthalt auf der ausgeschilderten Transitstrecke nach Neubrandenburg. Die Stadt wird auch Rothenburg des Nordens genannt. Bei schweren Kampfhandlungen im Zweiten Weltkrieg wurde der Stadtkern zerstört, ist jedoch wieder aufgebaut. Von der alten Stadtmauer und den Wehrtürmen stehen noch einige und ein altes Stadttor. Die Weiterfahrt geht durch die Mecklenburger Schweiz ‒ einer sehr schönen Landschaft – nach Malchin (12.40 Uhr), durch Stavenhagen, wo Fritz Reuter im Jahre 1810 geboren wurde. Er war der bedeutendste Erzähler in der niederdeutschen Sprache. Als Jenaer Burschenschaftler wurde er im Jahre 1833 in Berlin verhaftet, zum Tode verurteilt, anschließend jedoch zu Festungshaft begnadigt und nach sieben Jahren entlassen. Seine teils autobiographischen Werke sind hauptsächlich: Ut de Franzosentid (1860) Ut mine Festungstid (1863), Ut mine Stromtid (1864).

Ostroder Rathaus

Ostrode, Altes Rathaus, Neuer Markt mit dem Dreikaiserbrunnen um 1930.

Um 13.00 Uhr ist Pause am Rastplatz Dummerstorfer Mühlenstube. Es gibt heiße Würstchen, die unser freundlicher Fahrer, Herr Kliche, gegen Entgelt bereithält. Nachdem alle zufriedengestellt worden sind, fahren wir um 13.15 Uhr weiter nach Prenzlau/Uckermark, wo wir um 14.30 Uhr eintreffen. Über eine erhaltene Teilstrecke der alten Autobahn erreichen wir um 15.20 Uhr die Grenzstation DDR-Polen. Pässe werden eingesammelt, Gesichtskontrollen, Abgabe einer schriftlichen Erklärung über Devisen, Schmuckstücke aus den Ostblockländern, russisches Gold, Pelze und andere Wertsachen, die eventuell nach Polen eingeführt werden. Der DDR-Grenzbeamte nimmt die Pässe in Empfang und übergibt sie nach der Kontrolle dem hinter ihm gehenden polnischen Grenzbeamten. Zwei Stunden dauert diese Wartezeit. Endlich, um 17.20 Uhr, bekommen wir grünes Licht für die Weiterfahrt ins polnische Gebiet. Unser polnischer Reisebegleiter Adam (später auch Katastrophen-Adam genannt) steigt zu uns in den Bus. Er klärt uns über die polnische Währung auf und macht uns auf die Gefahren beim unkontrollierten Geldumtausch aufmerksam. Bei ihm tauschen wir 25 DMark um und erhalten dafür 10.000 Złoty (gesprochen Sloty). Stettin erreichen wir um 17.50 Uhr. Im Hotel Neptun der Orbis-Gruppe werden wir erwartet. Nach Einsammlung der Pässe werden die Zimmernummern bekanntgegeben. Wir erhalten das Zimmer Nr. 921 – im neunten Stockwerk – mit Blick auf das Schloss, die Kirche, den Hafen. Das Gepäck wird von Bediensteten des Hotels in die Zimmer gebracht. Das Abendessen findet unten im Speisesaal statt, wo für unsere Gruppe (GromadaUnter Gromada (dt.: Haufen) versteht man eine Einheit der dörflichen Selbstverwaltung in Polen zu verschiedenen Zeiten.Quelle: Wikipedia.org) gedeckt ist. Über die sechs Gänge, die nacheinander serviert werden, und die Qualität des Essens sind wir angenehm überrascht. Wodka ist nicht teuer, wenn man seine DMark nicht gerade bei der Bank von Polen getauscht hat. Ein Doppelglas Wodka kostet nur 200 Złoty. Auch vom Geschmack des gereichten polnischen Bieres sind wir angenehm überrascht. Die Oberkellner bieten hinter vorgehaltener Hand Geldumtausch an. Wir sind aber mit Złoty vorerst versorgt, zumal man ja in allen Intershops mit DMark oder Dollar einkaufen kann.

Ostroder Rathaus

Ostrode, Altes Rathaus, Neuer Markt mit dem Dreikaiserbrunnen um 1936.

Nach dem so reichlichen Abendessen machen wir einen kleinen Stadtbummel, der uns über den fast unbegehbaren Bauplatz vor dem Hotel, am Park entlang bis zum Schloss führt. Es ist wenig Betrieb auf den Straßen. Ein etwa zehn Jahre alter Junge mit seinem Hund folgt uns. Nein – gebettelt hat er nicht, jedoch Joachim gab ihm eine DMark – ein Vermögen für einen Polenjungen. Der normale Umtausch ist für eine DMark = 100 Złoty. das fünf- bis sechsfache jedoch wird im Schwarzhandel geboten.

Es beginnt langsam zu dämmern und wir gehen zum Hotel zurück. Die noch geplante Besichtigungsfahrt durch Stettin findet nicht mehr statt, weil wir an der polnischen Grenze zu lange haben warten müssen. Vielleicht ist es noch interessant niederzuschreiben, was es am Abend alles zu essen gab: als Vorspeise Leberpastete mit Sauce, Salatteller, Kotelett mit Sauce, Pastete mit Kartoffeln, ein Sahnestück und Kaffee.


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