Rituale und Traditionen in meiner Kindheit
Ich habe meine Kindheit und Jugendzeit in der Eifel verbracht. Zu Kriegsbeginn 1939 bin ich in Eicherscheid im Kreis Monschau geboren. 1944 mussten wir unsere Heimat verlassen. Der Krieg war nun auch bis zu uns vorgedrungen, von der belgischen Grenze bis zur Eifel reichte das Kampfgebiet.
Erst im Mai 1945 kehrten wir in unsere Heimat zurück. Darüber habe ich ja schon in anderen KapitelnLesen Sie auch:
Start ins Leben 1939
von Kathy Dreysel [Klick …] geschrieben.
Erinnerungen an besondere Feste oder Jahreszeiten habe ich nie vergessen.
Am 1. Januar jedes Jahres mussten wir Kinder unsere Paten besuchen. Ich hatte Glück, mein Pate, Onkel Josef, wohnte bei uns im Haus. Meine Geschwister mussten durch den hohen Schnee stapfen, um ihre Paten zu besuchen. Es gab immer ein Geschenk und wir Kinder mussten ein Gedicht aufsagen. Auf Plattdeutsch, das wohl heute keiner mehr versteht. Deshalb übersetze ich es auch auf Hochdeutsch.
Glöcksölsch neu Johr
De Kopp voll Hoor
Der Monk voller Zänk
Bös hönge ane Engd
Bliev jesonkt, bös em neuje Johr.
Ein glückliches neues Jahr,
den Kopf voll Haar,
den Mund voller Zähne,
bis hinten ans Ende.
Bleibt gesund, bis nächstes Jahr.
Damit war der offizielle Teil erledigt, es gab noch ein Plätzchen für den Heimweg, dann hieß es Tschüß!
Der 6. Januar
Die Heiligen Drei Könige wurden in der Krippe aufgestellt. Sie waren in der Kirche angekommen und brachten dem Jesuskind die Geschenke dar. Auch wir Kinder lieferten ein Geldgeschenk ab, wie bereits am Weihnachtstag. Die Sparbüchse mit dem kleinen Negerlein stand immer noch am gleichen Platz und nickte bei einem Einwurf eines Groschen mit dem Kopf. Das Geld wurde für Afrika gesammelt.
Anfang Februar gab es den Blasiussegen[1]. Jedes Kind wurde einzeln am Altar vom Pfarrer gesegnet. Er hielt zwei brennende Kerzen über Kreuz in der Hand und sprach den Blasiussegen. Der Heilige Blasius schützt vor Halskrankheiten. Mich muss er regelmäßig vergessen haben, ich bekam in jedem Jahr eine heftige Angina.
Aschermittwoch, nach Karneval, mussten wir uns alle in der Kirche das Aschenkreuz abholen. Mit geweihter Asche hat uns der Pfarrer ein Aschenkreuz auf die Stirne gezeichnet, als Zeichen der Buße. Wofür weiß ich nicht, was hatten wir denn schon gemacht. Anschließend ging es gemeinsam zur Schule. Dort saßen wir alle in der Klasse mit einem schwarzen Kreuz auf der Stirn. An der weißen Stirn waren die Drückeberger zu erkennen, die später vom Pfarrer ermahnt wurden.
In der langen Fastenzeit, 40 Tage, gab es keine Süßigkeiten. Freitags gab es nie Fleisch und Samstag war Suppentag.
Palmsonntag, am Sonntag vor Ostern, gingen wir Kinder mit Palmenzweigen in die Kirche. Wir hatten Weidenkätzchen gepflückt und Mutter hat sie mit Buchsbaum zu Sträußchen gebunden. In der Kirche wurden die Zweige gesegnet und im Haus und in den Stallungen verteilt. Es sollte Segen ins Haus bringen und alle vor Krankheiten schützen. Diese Rituale haben uns Kindern immer Sicherheit gegeben. Vom Krieg hatten wir immer noch Albträume. Bei Gewitter, die hatten wir sehr oft, heftig und lange, hat Oma immer einen Palmenzweig ins Feuer gelegt, damit der Blitz nicht bei uns einschlägt.
Endlich kam Ostern. Vorbei die Fastenzeit. Wieder mussten wir unsere Paten besuchen und bunt gefärbte Ostereier abholen. Ein Gedicht brauchten wir allerdings nicht aufsagen.
Im Monat Mai haben wir Kinder auf den Wiesen immer Blumen gepflückt, Schlüsselblumen, Wiesenschaumkraut, Teufelskralle und Hahnenfuß zu einem Strauß gebunden. Den haben wir Mutter geschenkt und sie stellte ihn auf den Schrank mit einer Figur der Mutter Maria. Das war der Maialtar und blieb den ganzen Monat über stehen. Unsere Aufgabe war es, immer für frische Blumen zu sorgen.
Drei Tage im Monat Mai wurde eine Bittprozession durch die Felder abgehalten, ein Ritual um für eine gute Ernte zu bitten. Morgens um sechs ging es von der Kirche aus los für eine Stunde. Dann machte sich jeder wieder an seine tägliche Arbeit.
Johanni
Im Juni, in der Johannisnacht, zogen die jungen Burschen durch das Dorf und stellten geschmückte Ahornzweige auf. Jeder brachte für seine Freundin am Haus gut sichtbar den Zweig an. Auch ich bekam mit 16 Jahren einen Zweig an unser Fachwerkhaus genagelt. Die Burschen habe ich nachts klopfen gehört, hatte aber keine Ahnung, wer mir einen Zweig anbrachte. Einen Freund hatte ich zu der Zeit nicht. Am nächsten Morgen war aber kein Zweig zu sehen. Hatte ich das geträumt?
Es stellte sich heraus, dass mein Vater noch vor Sonnenaufgang den Zweig entfernt hatte. Was sollten denn die Leute denken, wenn seine Tochter, noch nicht mal volljährig, einen Freund hat?
Viel später habe ich erfahren, wer der Verehrer war. Den mochte ich aber nicht und ich war froh, dass mein Vater so gehandelt hatte.
Im Juli war Erntezeit und das Heu für unsere Kühe wurde in die Scheunen gebracht. Für die lange Winterzeit wurde vorgesorgt.
Am ersten Wochenende im August wurde drei Tage lang die Dorfkirmes gefeiert. Die Vorbereitungen gingen schon Tage vorher los. Wir erwarteten immer viele Gäste. Verwandte und Freunde aus den umliegenden Dörfern. Viele Personen waren immer anwesend und alle hatten guten Appetit. Tagelang wurden Braten und Kuchen hergestellt. Abends ging es auf den einzigen Tanzboden in unserem Dorf. Mit 18 Jahren durfte ich auch mit meinen Freundinnen zum Tanzvergnügen gehen. Mit neuem Tanzkleid und neuen Schuhen ging es aufgeregt los. Um Mitternacht musste ich zu Hause sein. Barfuß bin ich den Weg geschlichen, an den Füßen hatten sich in den neuen Schuhen Blasen gebildet. Am nächsten Tag fand ein großer Umzug mit geschmückten Wagen statt, der durch das Dorf zog. Das ganze Dorf und viele Gäste zogen gut gelaunt in Begleitung der Blaskapelle zum Kirmesplatz. Dort stand der bunt geschmückte Kirmesbaum und alles versammelte sich dort für Spiele und zum Essen und Trinken. Leider waren die schönen Tage auch für uns Kinder bald vorüber. Urlaub kannten wir nicht und deshalb auch nicht vermisst.
Manchmal kamen aus der Stadt Wanderer bei uns vorbei und machten wohl Urlaub. Ich habe das nicht verstanden, warum gingen die hier spazieren, hatten die keine Arbeit?
Im Oktober wurde Erntedank gefeiert. Obst und Getreide wurde in die Kirche gebracht, natürlich in kleinen Mengen, und gesegnet. Eine Dankmesse bildete dann den Abschluss und jeder nahm seine Sachen wieder mit. Vor den gemeinsamen Mahlzeiten wurde immer ein Tischgebet gesprochen, erst danach wurde gemeinsam gegessen. Nach dem Essen wurde für die Speisen gedankt und wir Kinder durften den Tisch verlassen. Jedes Brot wurde von Mutter auf der Rückseite mit einem Kreuz, das sie mit dem Brotmesser zeichnete, gesegnet.
November Allerheiligen
Die Gräber der Verstorbenen wurden geschmückt und eine Gedenkstunde in der Kirche abgehalten. Anschließend traf man sich im Familienkreis bei Kaffee und Kuchen. Einige kamen nur einmal im Jahr aus diesem Anlass vorbei und tauschten Neuigkeiten aus.
Am 11. November war Sankt Martin. Wir Kinder bastelten uns eine Laterne und versammelten uns an der Schule zum Martinszug. Mein Vater im Bischofskostüm, hoch auf einem Pferd, ritt voraus. Wieder begleitet von der Blaskapelle Eifelklänge
. Wir Kinder, stolz mit der Laterne in der Hand, liefen hinterher und sangen dabei Martinslieder. Auf einer Wiese brannte ein großes Martinsfeuer und wir standen alle singend drum herum. Anschließend ging es zum Saal Hilgers. Manche Tränen sind geflossen, wenn eine Fackel in Flammen aufging. Aber spätestens, wenn jedes Kind vom Sankt Martin den WeckmannAls Weck(en)mann, Dambedei, Grättimaa, Grittibänz, Hefekerl, Klausenmann, Martinsmännchen, Krampus oder Stutenkerl wird ein Gebäck in Form eines stilisierten Mannes aus Hefeteig, häufig mit Rosinen, bezeichnet. bekam, war alles wieder gut.
In der Advents- und Weihnachtszeit geht das Jahr dem Ende zu. Wir Kinder haben in der Zeit oft gebastelt und Brettspiele gespielt. Unseren großen Eichentisch hatte ein Schreiner gemacht, daran wurden viele Spiele gespielt. Der Tisch hat so manche Delle bekommen von Spitz pass auf
und manche Kartenspiele mussten erneuert werden.
Diese Rituale und Traditionen haben uns geprägt und Halt gegeben, auch gegen manche Ängste. Die Ängste des letzten Krieges waren noch nicht vergessen, aber es wurde langsam besser.
Überliefertes Brauchtum
[1] Blasius von Sebaste war der Überlieferung zufolge Bischof von Sebaste in Kleinasien und erlitt 316 das Martyrium. Der Heilige zählt zu den vierzehn Nothelfern. Die bekannteste Erzählung über Blasius berichtet, wie er während seiner Gefangenschaft in einem römischen Gefängnis einem jungen Mann, der an einer Fischgräte zu ersticken drohte, das Leben rettete. Deshalb erteilt die Kirche den Blasiussegen zum Schutz gegen Halskrankheiten.
Die Spendung des Blasiussegens erfolgt durch einen Priester oder Diakon. Dabei werden vor dem Gläubigen zwei gekreuzte brennende Kerzen auf der Höhe des Halses gehalten. Der Segen aus dem Benediktionale lautet:
Auf die Fürsprache des heiligen Blasius bewahre dich der Herr vor Halskrankheit und allem Bösen. Es segne dich Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.
oder:
Der allmächtige Gott schenke dir Gesundheit und Heil. Er segne dich auf die Fürsprache des heiligen Blasius durch Christus, unsern Herrn. Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Blasiussegen
[2] Hahnenköppen (auch Hahneköppen oder Hahnenschlagen) ist ein alter Brauch, der vor allem im Bergischen Land, in der Eifel, in der Gegend um Köln, im Jülicher Land und im Raum Neuss gepflegt wird.
Zu Kirmessen (Volksfest), Erntedank- oder Oktoberfesten gibt es einen öffentlichen Wettbewerb, bei dem es gilt, einem vorher geschlachteten und kopfüber in einem Korb aufgehängten Hahn den Kopf abzuschlagen. Wem der entscheidende Schlag gelingt, wird damit für ein Jahr Hahnenkönig eines Dorfes, einer Hofschaft oder eines Vereins. Die Bewerber um die Königswürde führen mit verbundenen Augen, einem stumpfen Säbel oder Degen jeweils einen Schlag aus und werden dabei durch Zurufe des Publikums gesteuert. Die Zeremonie kann in wenigen Minuten erledigt sein, durchaus aber auch eine Stunde oder länger dauern.
Seit dem 16. Jahrhundert Brauchtum, wobei der Hahn als Symbol des bösen und schädigenden Erntegeistes gilt, der sich in die letzte Garbe des geernteten Korns flüchtet. Dieser Geist wird durch Köpfen getötet.
Eine andere Version stammt aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts, als Deutschland von den Truppen Napoleons besetzt war. Der gallische Hahn gilt als Symbol für Frankreich und durch das Hahneköppen sollen die Deutschen deutlich gemacht haben, dass sie sich eigentlich nicht unterwerfen wollten. Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Hahnenköppen