Lebenserinnerungen und Kriegserlebnisse
Kapitel 2
Schulzeit und Fliegerausbildung
Wir wohnten ungefähr eineinhalb Kilometer vom Dorf entfernt, auf dem sogenannten Abbau. Unser Schulweg führte über unsere Wiese, entlang einem Graben, über Bielinzkis Berg. Es war eine Abkürzung. Hatten wir es eilig, liefen wir über die Wiesen unserer Nachbarn. Es waren ganz kleine Landwirte, die zwei Pferde und vier Kühe besaßen. Wurden wir erblickt, schimpfte besonders der zweite Nachbar und ließ seinen Hund los. Davor hatten wir Angst, und alles musste sehr schnell gehen. Nicht gern denke ich an einen Spaß
, der den ältesten Sohn unseres Nachbarn beinahe das Leben gekostet hat. Wir spielten auf der Wiese in der Nähe eines frisch ausgestochenen Torfbruchs, der sehr tief war. Bruno Paga, so hieß der Junge, er war vier Jahre älter als ich, saß am Torfbruchrand, ließ die Beine im Wasser baumeln und erzählte uns kleineren Kindern, was für ein toller Schwimmer er sei. Ich gab ihm einen Stoß, und er fiel vornüber ins Wasser. Er schrie laut um Hilfe und strampelte mit Händen und Füßen. Ich rannte nach Hause und versteckte mich. Der zweite Nachbar, der mit der Sense Gras mähte, eilte herbei, reichte den Sensenstiel, an dem sich der kühne Schwimmer
festhalten konnte, und zog ihn aus dem Wasser. Mir war klar, dass das nicht damit erledigt war. Als ich mich dann am Abend unschuldig dem gedeckten Abendbrotstisch näherte, spürte ich auch schon den Siebenzagel
Eine Klopfpeitsche mit sieben Lederriemen, die sonst zum Ausklopfen von Staub aus den Textilien diente, wurde in Ostpreußen Siebenzagel
genannt, Zagel=Schwanz, also eine siebenschwänzige Peitsche. meiner Mutter. Am nächsten Tag auf dem Schulweg rächte sich der Schwimmer
an mir. Ich erhielt Fausthiebe und eine blutige Nase.
Auf dem Hof spielte immer eine große Kinderschar, denn wir waren sieben, und unser Schweizer und der Deputant hatten auch sieben und acht Kinder. Ich war der Älteste, und so wurde unter meinem Kommando so mancher Kinderstreich ausgeheckt. Darauf möchte ich nicht weiter eingehen, es war so manches gefährliche Spiel dabei.
War im Winter der Schnee zu hoch und waren die Wege zugeschneit, wurden wir mit dem Schlitten zur Schule gefahren. Klingende Glöckchen am Geschirr der Pferde begleiteten uns. Oft waren es 25 bis 30 Grad Frost. Eisiger Wind pfiff über die Felder und fegte uns den Schnee ins Gesicht. Nach der Schule ging es eilig nach Hause, und dann spielten wir draußen: mit Schlittschuhen auf dem freigeschaufelten Teich, mit Tonnenbrettern den Hang hinunter. Es war ein großer Spaß. Durchgefroren und nass kamen wir wieder nach Hause. In der Küche und in den Stuben bullerte und krachte das Holz in den Kachelöfen. Sie verströmten eine wohlige Wärme durch das ganze Haus. Die nassen Sachen wurden an die Ofenleine zum Trocknen gehängt, die Schuhe am Ofen abgestellt. Dann ging es an die Schularbeiten. Um den großen Tisch bei Petroleumbeleuchtung saßen die Geschwister. Gegenseitig halfen wir uns, die Hausaufgaben zu erledigen. Nur bei Unstimmigkeiten
wurde meine Mutter eingeschaltet.
Aus mir sollte auch was werden, und so kam ich nach bestandener Aufnahmeprüfung nach SensburgMrągowo [mrɔŋˈgɔvɔ] (1945–1947 Ządźbork, deutsch Sensburg, masurisch Ządźbork) ist eine Stadt in der Woiwodschaft Ermland-Masuren in Polen. Die Stadt liegt etwa 60 Kilometer östlich der Stadt Allenstein (Olsztyn) am Rand der Masurischen Seenplatte im früheren Ostpreußen. auf die Horst-Wessel-Oberschule. Ich wohnte bei meinem Onkel in StangenwaldeStangenwalde, bis 1928 Polschendorf, Kreis Sensburg, Ostpreußen, seit 1945: Polska Wieś (Mrągowo), Dorf im Powiat Mrągowski, Woiwodschaft Ermland-Masuren, Polen, der dort Lehrer war, und fuhr mit dem Fahrrad zur Schule, es waren ungefähr drei Kilometer. Die Ferien verbrachte ich dann zu Hause in Steintal.
Schon 1940, ich war in der zweiten Klasse der Oberschule, wurde mein Onkel eingezogen. Meine Tante zog daraufhin zurück zu ihren Eltern nach Seefrieden bei Lyck. So brachte mich mein Vater in einer kleinen Schülerpension bei der Försterswitwe Frau Schmidt unter. Hier wohnte ich mit noch vier Schülern aus unserer Schule. Am Wochenende blieb ich meistens allein, die anderen Kinder fuhren nach Hause oder wurden von den Eltern abgeholt. Es kam auch vor, dass mich die Eltern zweier Mitschüler unserer Pension einluden. So fuhr ich dann nach Groß Jauer mit und verbrachte dort das Wochenende. Am Montag früh wurden wir dann wieder abgeliefert.
Da schon viele Klassenkameraden dem Jungvolk beigetreten waren, wurde auch ich Mitglied bei den Pimpfen im Bann 151. Meine Begeisterung kannte keine Grenzen, und so dauerte es auch nicht lange, und ich wurde zum Jungenschaftsführer befördert. Schon mit 16 Jahren war ich Fähnleinführer des Fliegerfähnleins, später Gefolgschaftsführer der Flieger-Hitler-Jugend (HJ). Schon als kleiner Junge war es immer mein Wunsch, Fliegeroffizier zu werden. In Sensburg bot sich die Gelegenheit, auf der Halbinsel Vierwinden im Schoß-See, wo eine neue Segelflugschule gebaut wurde, in den Segelflugbetrieb einzutreten. Hier wurde ich in Wochenendschulungen in die Geheimnisse des Segelfliegens eingewiesen und machte mehrere Starts mit dem Schulgleiter SG38Der Schulgleiter SG 38 ist das meistgebaute Flugzeug der Alleinflugausbildung der 1940er-Jahre. Dieses Gleitflugzeug wurde ab 1936 entwickelt und ab 1938 in großer Stückzahl sowohl im Amateur- als auch im Industriebau hergestellt. Der SG 38 wurde hauptsächlich zur Anfängerschulung eingesetzt. Die Abkürzung SG
bezieht sich ursächlich nicht auf die Bezeichnung Schulgleiter, sondern auf Schneider
in Grunau
. 38
steht für das Einführungsjahr 1938.. Schon im selben Jahr 1943, in den Sommerferien, wurden wir in ein Lager für Segelflieger am Schelment-See
gebracht. Dort flog ich am Hang die A-Prüfung. Kurz darauf wurde die erste Gruppe nach bestandener A-Prüfung nach Nidden gebracht, und mit dem SG 38 wurde weiter geschult. Ich meldete mich freiwillig zur Luftwaffe, und schon im Spätherbst bekam ich eine Einberufung zu einem Test für Offiziersbewerber nach Breslau. Diesen Test bestand ich und musste mich in Königsberg zur Fliegertauglichkeitsprüfung vorstellen. Diese Prüfung dauerte zwei Tage. Nach Wochen wurde mir mitgeteilt, dass ich auch diese Prüfung bestanden hatte und dass ich als Offiziersbewerber der Luftwaffe angenommen werde, Voraussetzung dafür war allerdings eine Endausbildung als Segelflieger mit dem Ziel des Luftfahrscheins Klasse I (L I).
Im Mai 1944 wurde ich aus nichtigen, für mich bis heute unerklärlichen Gründen von der Oberschule in Sensburg verwiesen. Da schon damals immer mehr russische Flugzeuge Ostpreußen überflogen, wurden während der Nacht Feuerwachen eingerichtet, so auch in unserer Schule in Sensburg. Im Bodengeschoss wurde dafür ein Raum bereitgestellt. In ihm befanden sich zwei Holzpritschen und ein Tisch, aber keine Stühle. Auf dem Tisch stand ein Kurbeltelefon, das mit der Feuerwache verbunden war. Bei Feuer war über Telefon sofort Meldung an die Einsatzleitung der Feuerwehr zu machen. Die Schüler der oberen Klassen wurden zu zweit dafür abgestellt. Ein Klassenkamerad und ich wurden für diesen Dienst eingeteilt und bezogen ab 18 Uhr den Bodenraum. Auf dem zur Schule angrenzenden Sportplatz trainierten die Mädchen unserer Klasse. Ich kann im Nachhinein keinen Grund erkennen, warum die 15-jährige Tochter des Hausmeisters zu uns in den Bodenraum kam. Wir kannten uns alle. Sie setzte sich auf eine Pritsche und wir beiden Jungen auf die andere und unterhielten uns. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Mädchen aus der Klassentrainingsgruppe, darunter auch die Tochter des Direktors, schauten kurz rein, warfen die Tür zu und liefen die Treppen hinunter. Am nächsten Tag bei Schulbeginn mussten der Kamerad und ich uns beim Direktor melden. Dieser saß in Uniform an seinem Schreibtisch, blickte uns böse an und sprach einen sofortigen Schulausschluss aus. Er erklärte weiter, dass die Eltern nun benachrichtigt werden. Fassungslos standen wir da, holten unsere Büchertaschen und gingen nach Hause. Was das damals für mich bedeutete, hat mich seelisch stark belastet. Die Enttäuschung meiner Eltern war sehr groß. Es nützte auch keine Aussprache mit dem Direktor oder mit einem Parteimann. Für mich war die Schule zunächst zu Ende.