Nachkriegskindheit in Ost-Berlin
Kapitel 3
Der Kochlöffel als „Erziehungshilfe“
Ein Kochlöffel kam meinem Vater zu Hilfe, wenn ihm seine Hand nicht genügte.
Wieder ein Sonntag im warmen Juni, wir wollten wie so oft zu Tante Gerda nach Kreuzberg fahren. Wir liefen von der Grünstraße durch Alt-Köpenick, wir wollten zur Tramstation in der Lindenstraße. Es war wie immer staubig und heiß und ich wollte ein Eis. Hatte überhaupt keine Lust so weit zu laufen. „Ich will ein Eis“, sagte ich, obwohl ich eigentlich wusste, dass es dort nichts gab, erst war ja noch eine Brücke, die wir überqueren mussten. Aber da gab es auch noch in Alt-Köpenick ein Restaurant mit Klaviermusik, die ich liebte. Dort wollte ich nun eine Bockwurst essen, denn Eis gab es ja nicht draußen, aber im Restaurant, so waren wohl meine Gedanken. Ein Gaststättenbesuch stand nun aber nicht auf dem Plan meiner Eltern. Sie wollten Tante Gerda und Onkel Alex besuchen. Als wir über die Brücke gingen und ich nicht aufhörte zu weinen, drehte mein Vater um und ging mit mir zurück nach Hause, meine Mutter immer hinterher. Nun weinte ich noch mehr, zurück wollte ich ja auch nicht. Angekommen in der Wohnung griff mein Vater zum Kochlöffel, zog mir die Unterhose aus und klopfte mich wie einen Teppich aus. Da ich nicht aufhörte zu weinen, denn nun wollte ich wissen, wer der Stärkere sein würde, klopfte er mich mehrere Male aus, bis der Kochlöffel zerbrach.
Danach war ich dann so erschöpft, dass ich einschlief. Als ich nach zwei, drei Stunden wieder erwachte, bekam ich von meiner Mutter nur zu hören: „Wenn du gleich aufgehört hättest zu heulen wäre dir das erspart geblieben“. Ich fühlte mich in diesem Moment sogar als Sieger, für die Erschöpfung konnte ich ja nichts, das war die Schuld meines Vaters. So sah ich die Sache damals und heute auch nicht anders. Die Geschichte war damit noch nicht zu Ende, sie ging in die Fortsetzung, als meine Mutter am Montag zu Frau N. ging und ihr und Hildchen S. meinen blauen Hintern zeigte. Ich konnte eine Woche lang nicht richtig sitzen und wurde wie ein Papagei herumgezeigt. Auch diese Erinnerung liegt jederzeit zum Abruf bereit im Erinnerungskästchen in meinem Gehirn, wo auch noch die nachfolgend hier aufgeschriebenen Erlebnisse auf Abruf liegen.


