Seefahrtszeiten …
Kapitel VII
Seemann ohne Schiff
Silbern klingt und springt die Heuer, hatte ich doch dank meiner Reederei, welche die Hälfte meiner Heuer auf ein Sparbuch eingezahlt hatte, jetzt die Taschen voller Geld. 14 Tage Urlaub und für jeden Sonntag, den ich auf See verbracht hatte, noch mal einen bezahlten Urlaubstag. Leider kannte ich den Unterschied zwischen Urlaub machen und Abmustern noch nicht! Ich habe in Hamburg dann abgemustert, also bei der Reederei gekündigt. Auf zu den früheren Kumpels, die armen Landratten waren zum Teil schon verheiratet oder hatten sonstige Verpflichtungen und keine Mark in der Tasche. Also Wirt, noch eine Runde für meine Freunde! So allmählich wurden die Scheinchen immer weniger, bis eines Morgens nur noch ein Fünfziger zum Vorschein kam. Nun aber los, hatte sowieso genug vom Landleben, fahr ich eben wieder. In der Admiralitätsstraße war die Heuerstelle für Nautiker und Maschinisten. Ja mein Jung, sieht schlecht aus in nächster Zeit mit einem Schiff für dich
war die Auskunft.
Konnte mich doch nicht schrecken, machte ich mich eben selber auf die Suche. Trepp' auf, Trepp' ab bei allen Hamburger Reedereien zur Zeit nur für Stammpersonal
hieß es überall. Wat nu Seemann
? hatte sich doch mein letzter Fünfziger auch schon aufgelöst. Fischdampfer
— fiel mir ein. Fischdampfer brauchen immer Leute! Wo gibt es Fischdampfer? In Cuxhaven bei der Reederei Nordsee! Aber erst mal hinkommen, ohne Fahrschein aber mit Seesack war das eine recht nervige Eisenbahnfahrt. Ohne erwischt zu werden, bin ich in Cuxhaven angekommen und hier sollte ich weiter Glück haben. Vom Deich aus konnte ich die Friedjoff
einlaufen sehen. Die Fridjoff war ein Fischereischutzboot, deren Aufgabe es war, den Fischdampfern vor Grönland in technischen und medizinischen Angelegenheiten Hilfe zu leisten. Auf diesem Schiff war mein Patenonkel leitender Ingenieur. Onkel Alfred war ein riesiger Mann, mit Händen wie Kohlenschaufeln, wie meine Mutter immer sagte. Er hat mich schon als Kleinkind gefüttert und meinem Bruder das Fläschchen gekocht.
Er war der beste Freund meines Vaters, hatte er ihm doch das Leben gerettet. Mein Vater hatte als Seemann in Rotterdam Flugblätter zum Widerstand gegen Hitler verteilt und wurde dafür in Hamburg zum Tode verurteilt. Da die Marine aber dringend Seeleute für den Nachschub ihrer Truppen brauchte, wurde er in eine Strafeinheit zum Transport von Munition nach Norwegen abkommandiert. Hier war Alfred sein Vorgesetzter. Beim Klarmachen der Dampfmaschine hat mein Vater dann wohl einmal einen Zylinder nicht richtig entwässert, sodass ein Sicherheitsventil platzte und somit das Auslaufen des Schiffes verzögert wurde. Das wäre ihm als schwere Sabotage ausgelegt worden und er wäre sofort erschossen worden. Alfred hat dann die Schuld auf sich genommen und geschworen, dass er schuld war. Die beiden sind dann auch zusammen bei den Engländern in Gefangenschaft gekommen und mussten im Hamburger Hafen für die Engländer Schiffe wieder instand setzen. Die Seeleute bekamen abwechselnd einen Tag in der Woche frei, durften aber Hamburg nicht verlassen. Da Alfreds Familie aber in Niedersachsen wohnte, kam er an seinem freien Tag zu uns und brachte die herrlichsten Sachen wie Feuerholz, Margarine, Haferflocken, Mehl und Marmelade mit. Meine Mutter konnte dann beruhigt stundenlang anstehen, wenn es irgendwo Milch oder Obst gab. Bei Onkel Alfred waren wir gut aufgehoben. Manchmal nahm mich mein Vater auch mit auf die Schiffe, auf denen sie gerade arbeiteten. Ich war ja erst fünf Jahre alt und brauchte noch nicht zur Schule und auf den Schiffen gab es genug zu essen, sodass meine Mutter meine Essenmarken mit für meinen Bruder hatte.
Also auf zur Fridjoff
und Onkel Alfred, da bekam ich sicher ein warmes Essen, eine Koje für die Nacht und das eine oder andere Bier. Es wurde dann auch eine lange Nacht mit viel erzählen und etlichen Bieren. Am nächsten Morgen zeigte Onkel Alfred dann nur auf meinen Seesack und ging voran, aber nicht zur Reederei Nordsee sondern zum Bahnhof. Was soll das denn? Er kaufte mir eine Fahrkarte, nahm mich plötzlich am Hemd und schüttelte mich wenn du dich hier noch mal sehen lässt oder auf einem Fischdampfer anheuerst, gibt es was in die Wäsche
! Als der Zug anfuhr gab er mir noch einen Zehner in die Hand. Ich bin Onkel Alfred bis heute dankbar! Nun war ich also wieder in Hamburg. Eine Möglichkeit gab es noch, um auf ein Schiff zu kommen. Am Baumwall war der sogenannte Stall
, hier war die Heuerstelle für Mannschaften. Hier regierte der weltberühmte Max
. Eventuell bekam ich hier einen Job als Reiniger oder Schmierer. Die Heuerstelle von Max bestand aus einem ungefähr 30 Quadratmeter großen Raum mit abgetretenem Holzfußboden, an drei Seiten mit Holzbänken und Tischen versehen. Es stank nach Schweiß und war blau vom Pfeifentabak. Max saß hinter einer Schiebelucke, wo man sein Seefahrtsbuch abgeben musste. In dem Raum waren immer so zwanzig bis dreißig Seemänner, die auf Schangs
warteten. Wenn Max von einer Reederei eine Anfrage nach Seeleuten bekam, dann wurde ausgerufen: Zwei Matrosen für Reederei Stinnes, Nordatlantik
oder ein Reiniger für Wöhrmann, Afrika
. Wer Interesse hatte, ging an den Schalter, waren es mehrere Interessenten, bekam derjenige das Schiff, dessen Seefahrtsbuch zu unters lag. Bei Max gab ich also mein Seefahrtsbuch ab, er musterte mich von oben bis unten und machte seine Klappe zu. Eine viertel Stunde später ging die Klappe wieder auf Herzog komm mal her, ich hab da was für dich als Assi; »Emil Berger«MS-Emil Berger in Hamburg, Trampfahrt 712 Tonnen, liegt in Harburg
. War schon recht ungewöhnlich, so schnell und dann noch als Assi, war Max doch gar nicht für zuständig.
Mit der Straßenbahn, mal wieder schwarz, zur Endstation, dann zu Fuß weiter bis zu einem kleinen Werfthafen. Schock, das sollte ja wohl kein Schiff sein! Ein Schrotthaufen, auf dem stand Emil Berger
. Das war ein Schiff! Wie ich später erfuhr, eine umgebaute russische Wolgaschute, mittschiffs hatte man eine schmale Brücke aufgebaut mit Unterkünften für Kapitän und Nautiker, alle anderen Unterkünfte und die Maschine waren achtern, ebenfalls Aufbauten von versunkenen Schiffen. Kein Mensch an Deck, keine Bordwache an der Gangway, wie ich es kannte. In den hinteren Aufbauten fand ich dann eine Kammer, an der Leitender Ingenieur
stand. Nach meinem Klopfen öffnete ein Männchen und freute sich in ostpreußischem Dialekt mächtig über mein Erscheinen. Es war der Chief und er wollte mir auch gleich alles zeigen. Zuerst ging es in die Unterkünfte, er öffnete eine Tür zu einem ungefähr zwölf Quadratmeter großen Raum in dem zwei eiserne Etagenbetten standen und mich sechs verständnislos, ängstliche Augen anstarrten. Da sollte ich mit rein. Im Leben nicht! Lieber verhungern und verdursten. Nun musste ich pokern! Warum hatte der Alte mich so freundlich begrüßt? Und siehe da, es gab noch eine Kammer von rund 15 Quadratmeter für mich ganz alleine. Später kam ich dann auch dahinter, warum er mich unbedingt brauchte. Ich war nämlich der einzige befahrene Assi an Bord und musste die dritte Wache für ihn alleine gehen. Die Heuer für den dritten Ingenieur, der gar nicht an Bord war, hat er sich mit dem zweiten Ingenieur geteilt. Die anderen drei Assis kamen alle aus dem Binnenland, einer sogar aus der Schweiz und waren noch nie auf See. Soll ich oder soll ich nicht auf den Schrottkahn? Es gab weder Cola oder Bier an Bord, aber nachdem ich schon einige Tage auf dem Trockenen gesessen hatte, musste ich unbedingt noch mal an Land. Also Vorschuss auf die Heuer holen. Vorschuss gibt es nicht
gab der erste Offizier mir Bescheid. Zurück zum Chief und dem klar gemacht, dass ich noch Arbeitszeug brauche. Nun klappte es auch mit dem Vorschuss. Nächsten Morgen — ab in die Maschine, was für ein Trümmerhaufen.
Die Hauptmaschinen waren zwei Viertakt-U-Bootsdiesel, die acht Jahre unter Wasser gelegen hatten. Zur Stromerzeugung gab es einen Glühkopfmotor, der mit einer Handkurbel angeschmissen wurde. Ein Relikt aus Vorkriegszeiten. Nirgends Farbe, nur rostige Pumpen und Rohre. Zu allem Überfluss noch einen Dampfkessel für die zusammengewürfelten Dampfwinschen an Deck. Auslaufen konnten wir nicht, bei der Backbordmaschine mussten neu ausgegossene Kurbellager eingepasst werden. Das bedeutete, die mit einer Bleilegierung ausgegossenen Lagerschalen werden auf die mit blauer Farbe eingestrichener Kurbelwelle montiert. Dann wird die Kurbelwelle gedreht, die Lagerschalen wieder abgebaut und die blauen Stellen abgeschabt, bis die Farbe gleichmäßig verteilt ist. Erst dann sitzt das Lager richtig auf der Kurbelwelle. Dieser Vorgang muss ungefähr fünf- bis achtmal wiederholt werden und das bei acht Lagern. So eine Lagerunterschale wiegt rund acht Kilo zum Einsetzen, Montieren und zur Bearbeitung raus- und reinreichen geht es am besten, wenn sich einer in die Kurbelwanne legt und diese Arbeiten ausführt. Um das in der Kurbelwanne eines U-Boot Diesels auszuführen, muss man schon sehr schlank sein und darf keine Platzangst haben. Natürlich war ich der Glückliche, dem diese Aufgabe zufiel. Nach vier Tagen mit jeweils zehn Stunden in der Kurbelwanne war ich von den Haaren bis unter die Fußnägel so verdreckt, dass die beiden Mädels im Büro am Liegeplatz bis in die äußerste Ecke des Büros flüchteten, als ich darum bat, mal telefonieren zu dürfen.