Teil 11 - Diepholz, 1900-1906
Kapitel 12
Meine Ernennung für Lesum
In der Pfingstwoche endlich erhielt ich meine Ernennung für Lesum. Wir hatten am Tage zuvor Konvent gehabt, den ersten unter Beisein unseres neuen Generalsuperintendenten Remmers. Ich hatte, da die Verhandlungen darauf führten, während derselben zu Menke, der neben mir saß, leise gesagt, wir müssten auch Seelsorgebezirke haben. Er hatte mir beigestimmt und hinzugefügt, sowie er von Diepholz versetzt sei, müssten sie eingerichtet werden. Ich dachte bei mir selbst: Du ahnungsloser Engel du!
Denn dass meine Ernennung unterwegs sei, hatte ich bereits auf Umwegen gehört, hatte aber sorgfältig Schweigen beobachtet. So kam allen meine Ernennung völlig überraschend. Unsere Kinder hatten allerdings aus unseren Gesprächen allerlei herausgehört, und als ich am Morgen Elisabeth, die noch beim Anziehen war, das Eintreffen der Ernennung mitgeteilt, hatte auch Eva, die bei uns im Schlafzimmer war, die Sachlage erfasst und verfehlte nicht, sie ihrem kleinen Freunde, dem Sohn des Rechtsanwalts Winckelmann, brühwarm mitzuteilen.
In der folgenden Woche reiste ich zunächst nach Hannover zur Pfingstkonferenz, bei der ich diesmal die einleitende Ansprache (über 1. Korinther 4,1.2So soll man uns betrachten: als Diener Christi und als Verwalter von Geheimnissen Gottes. Von Verwaltern aber verlangt man, dass sie sich als treu erweisen.
[39]) zu halten hatte. Von Hannover fuhr ich zunächst nach Potsdam, wo Mutter damals bei Onkel Bernhard [Rogge] war. Ich hatte ihr natürlich meine Ernennung sofort mitgeteilt, und sie war begierig, näheres von mir zu hören. Ich verlebte in Potsdam einige hübsche Tage. Die prachtvolle Umgebung wurde nach verschiedenen Seiten zu Fuß und zu Schiff durchstreift. Ich sah nach langer Zeit meinen Vetter Martin Lang, damals Pfarrer am Militär-Waisenhaus in Potsdam, wieder, lernte seine Frau und seinen Schwager Fichtner, Mann seiner ältesten Schwester, Pastor in Peterwitz bei Breslau, kennen. Dann fuhr ich mit Mutter nach Swinemünde, wo ich noch einige Zeit blieb und wohin mir Elisabeth Briefschaften Lesum betreffend nachsandte.
Auf den dritten Sonntag nach Trinitatis, 1. Juli, war meine Aufstellungspredigt angesetzt. Elisabeth begleitete mich, um selbst sich Wohnung und Garten anzusehen. Pastor Freyer lud uns ein, bei ihm zu nächtigen. Da wir in Burg-Lesum infolge der starken Frequenz den Anschluss nicht fanden, kamen wir auf Bahnhof Lesum nicht zu der von uns angegebenen Zeit, sondern erst mit einem späteren Zuge an und fanden daher keine Abholung. Doch kamen Pastor Freyer und der Kooperator Schmeelik uns halbwegs entgegen. Die Kirche besah ich mir natürlich am Sonntagmorgen vor dem Gottesdienst. Da die Liturgie im Bremen-Verderschen von der kirchenordnungsmäßigen abwich, (Pastor Freyer sagte: Wir haben ja Gott sei Dank keine Kirchenordnung!
) hielt ich nicht den Altardienst, sondern nur die Predigt. Befremdlich war mir's freilich, dass die Kirche nur teilweise gefüllt war. Nach dem Gottesdienst wurde mir Pfarrgarten und Pfarrhaus gezeigt. Nachmittags machte Freyer mit uns eine Rundfahrt durch die Gemeinde. Den Anfang machten wir bei Frau Superintendent Rakenius, die gelähmt in ihrem Stuhl saß und mich freundlich als alten Bekannten begrüßte. Ihre jüngste Tochter, verheiratet mit dem Wirtschaftsinspektor von Sehlen in Sudweyhe, die zur Predigt herübergekommen war und deren ich mich von Buxtehude als eines kleinen Mädchens erinnerte, hatte ich schon gleich nach dem Gottesdienst bei Freyers gesehen und begrüßt. Die ganze Gegend, die ja wie ein einziger großer Park ist mit ihren zahlreichen Landhäusern, machte einen überaus freundlichen Eindruck, und Pastor Freyer konnte sich nicht genug tun in Beweisen der Aufmerksamkeit. Am Abend waren wir wieder in Diepholz.
Einspruch geschah nicht, und ich wurde nach einigen Wochen gebeten, noch einmal herüberzukommen nach Lesum. Das Konfirmandenzimmer, in dem bis dahin alle Konfirmanden der großen Gemeinde (im Durchschnitt 200!) gemeinsam unterrichtet worden waren, sollte geteilt werden, damit fortan der Unterricht in zwei Abteilungen erteilt werden könnte. Die beiden durch Errichtung einer Zwischenwand neugebildeten Zimmer mussten aber vergrößert werden, und dieser Vergrößerung musste der Pferdestall, der mit dem Konfirmandenzimmer unter einem Dach war, geopfert werden. Man wollte das jedoch nicht ohne meine Zustimmung tun und lud mich deshalb zu einer persönlichen Besichtigung ein. Da gerade die Sommerferien waren, nahm ich Gerhard mit, dem alles auch nicht wenig imponierte.
So soll man uns betrachten: als Diener Christi und als Verwalter von Geheimnissen Gottes. Von Verwaltern aber verlangt man, dass sie sich als treu erweisen.