Teil 11 - Diepholz, 1900-1906
Kapitel 3
Pastor Bethlage und Pastor Lamprecht
Am meisten Verkehr hatten wir wohl mit Bentlage in Mariendrebber, dessen Pfarre uns am nächsten lag und von uns zu Fuß erreicht werden konnte. Eines Bauern Sohn hatte er etwas robustes, war nicht gerade sehr geistreich, aber praktisch und stand in gutem Ansehen bei seiner Gemeinde. Seine freundliche, bewegliche Frau hieß uns stets gastlich willkommen, wenn wir hinkamen. Seine beiden Kinder, ein Sohn und eine Tochter, passten im Alter zu Gerhard und Irmgard. Eine feinere Natur als Bentlage war sein nächster Nachbar Hollmann in Jacobidrebber, während dessen Frau einen unfreundlichen Eindruck machte. Er kam nach zwei Jahren ins Göttingsche, und sein Nachfolger wurde Haltenhoff. Verhältnismäßig viel kamen wir auch mit Pätzmann-Wagenfeld zusammen, obgleich oder vielleicht weil seine Pfarre die entlegenste war und ich deshalb regelmäßig, wenn der Dienst mich dahin führte, einen Wagen benötigte und daher Familienmitglieder mitnehmen konnte. Auch er hatte Kinder in dem Alter der meinen, und was mich ihm näher brachte, war der Umstand, dass er aus der Gemeinde Barskamp stammte. Er war eines Bauern Sohn aus Tosterglope, nicht ohne die Empfindlichkeit und das Misstrauische seines Standes, aber ehrlich und ein treuer Seelsorger. Seine frische, praktische und tatkräftige Frau ergänzte ihn aufs glücklichste.
Eine biedere, grundehrliche Seele war auch Währmann in Burlage, unverheiratet und von seiner damals bereits siebzigjährigen Mutter, einer zarten, aber zähen Frau, und von seiner etwas altjüngferlichen, aber gutmütigen Schwester betreut.
Der ausgeprägteste Charakterkopf unter den Geistlichen war Lamprecht in Barnstorf, ein Pastor mehr nach der alten Schablone, der sich von seiner Gemeinde mehr suchen ließ als dass er sie suchte, Geschäftsmann, daher Synodal-Rechnungsführer und Verwalter verschiedener Kassen und Stiftungen voll vorbildlicher Ordnungsliebe und Pünktlichkeit, weshalb bei seinem plötzlichen Tode alles in tadelloser Ordnung sich fand, nicht immer bequem, daher bei der Behörde nicht eben beliebt, aber gerade und aufrecht. Er war kinderlos. Seine Frau war zart und vielfach leidend, auch am Gemüt, so dass sie zeitweilig in eine Nervenheilanstalt gebracht werden musste. Er war äußerlich derber, aber im Herzen nicht intakt, so dass er wiederholt das Bad Nauheim aufsuchen musste, auch zur Winterzeit, so dass ich, da ich in Diepholz in dem Jahr keinen Konfirmandenunterricht hatte, Konfirmandenunterricht und Konfirmation für ihn übernahm. Im Jahre 1904 wurde auf seine Anregung die Restaurierung seiner schönen aber inwendig verbauten Kirche unternommen. Die Arbeiten zogen sich bis in den Winter, da alle Malereien in der Kirche aufgedeckt wurden, die die Zuziehung des Provinzial-Konservators erforderlich machten. Der Gottesdienst musste während dessen auf der geräumigen Pfarrdiele gehalten werden. Als ich ihn im Dezember zu einer Schulrevision abholte, sprach er mir unterwegs seine Freude aus darüber, dass er zum Weihnachtsfest seine Kirche wieder beziehen könne, am letzten Sonntag hätte es ihm auf der Diele doch kalt über den Kopf gezogen. Im Gehen nach dem sieben Kilometer entfernten Schulort fragte er mich noch, ob er mir auch nicht zu schnell ginge. Ich erwiderte ihm, zu schnell könne er mir nicht leicht gehen. Da antwortete er, er hätte sich doch neulich über die Kräftigung seines Herzens gefreut. Vor acht Tagen hätte er sich, als er zur Sitzung des Bezirkssynodal-Ausschusses bei mir gewesen, ein wenig bei mir verspätet. Als er um die Ecke bei der zweiten Pfarre gekommen, habe er den Zug bereits pfeifen hören und hätte die noch ziemlich große Wegstrecke im Galopp zurücklegen müssen, um zum Zuge zurechtzukommen, und hätte doch nichts vom Herzen gefühlt. Am Tage darauf, als ich zufällig auf der Post etwas zu tun habe, werde ich ans Telefon gerufen. Kantor Köhr aus Barnstorf teilt mir mit, Pastor Lamprecht sei gestorben. Ich glaubte, er meinte Frau Pastor, deren Kränklichkeit mir bekannt war. Nein
, erwiderte er, Herr Pastor.
Vor den Schranken des Amtsgerichts in Osnabrück, vor das er als Zeuge in einer Privatklagesache geladen war, war er plötzlich vom Schlage getroffen zusammengesunken und sofort tot gewesen. Am Weihnachtsabend stand sein Sarg vor dem Altar seiner Kirche, deren Kanzel er am Tage darauf wieder zu betreten gehofft hatte. Es war eine ergreifende Kirchweihe. Meiner Rede legte ich das Wort Haggai 2,10Im zweiten Jahr des Darius erging am vierundzwanzigsten Tag des neunten Monats dieses Wort des HERRN an den Propheten Haggai.
[7] zu Grunde, nachdem wir zuvor gesungen: Er ist auf Erden kommen arm, dass er unser sich erbarm und in dem Himmel mache reich und seinen lieben Engeln gleich.
Die Spezial-Vikarie übernahm ich, da ich den Winter wieder keinen Konfirmandenunterricht hatte. Ich habe mit dem Kirchenvorstand gern zusammengearbeitet, der in einer seiner ersten Sitzungen mit Einstimmigkeit Pastor Richter aus Rehden wählte, den begabtesten, regsamsten und wissenschaftlich tüchtigsten Geistlichen der Inspektion, der auch Lamprecht innerlich nahe gestanden hatte und dessen Nachfolger in Rehden wieder sein jüngerer Bruder wurde.
Ein nicht minder erschütternder Todesfall unter den Geistlichen war ein Vierteljahr vorher gewesen. Im Frühjahr 1904 war Pastor Brandt aus Brockum auf eine Stelle in der Nähe von Goslar versetzt worden. Bestimmend für seinen Wunsch, von Brockum fortzukommen, war nicht nur die Rücksicht auf seine heranwachsenden Söhne, denen er eine bessere Schulbildung vermitteln wollte, sondern auch der Umstand, dass in seiner Familie mehrmals hintereinander Typhusfälle vorgefallen waren, die übrigens sämtlich gutartig verliefen, die aber auf einen Brunnen in der Pfarre zurückgeführt wurden. Gewählt wurde an seiner Statt ein Ostfriese, Pastor Taaks, der Ende Juli mit seiner jungen, ihm eben angetrauten Frau einzog. Aber schon wenige Tage nach seiner Einführung erkrankte er an Typhus, seine Frau, von ihm angesteckt, kurz darauf auch. Ich benutzte eine Fahrt zu einer Gustav-Adolf-Festpredigt in Georgs-Marienhütte, um in Lemförde einen Zug überschlagend die Kranken zu besuchen und fand sie nebeneinander in ihren Betten liegen. Bei dem Mann trat eine Lungenentzündung hinzu, der er erlag, und genau sechs Wochen, nachdem ich ihn eingeführt, stand ich an derselben Stätte, um ihm die Leichenrede zu halten. Die arme junge Frau fragte von ihrem Krankenbett aus: Warum scheint eigentlich die Sonne?
Glücklicherweise konnte ich ihr und ihren Angehörigen die beruhigende Versicherung geben, dass wenigstens ihre äußere Lage - sie hatte ihre Stelle als Lehrerin in Kassel aufgegeben - gesichert sei, da bei der Stelle ein einträgliches WittumWittum ist ein Begriff aus der mittelalterlichen Rechtssprache. Das Wort leitet sich von her widmen
. Wittum bezeichnet also ein gewidmetes Gut
. Im mittelalterlichen Recht wurde damit auch die Witwenversorgung aus dem Nachlass genannt.Klick hier für Wikipedia [8] war. Nach Brockum kam dann ein fast blinder Pastor.
Im zweiten Jahr des Darius erging am vierundzwanzigsten Tag des neunten Monats dieses Wort des HERRN an den Propheten Haggai.
[8] Wittum ist ein Begriff aus der mittelalterlichen Rechtssprache. Das Wort leitet sich von her
widmen. Wittum bezeichnet also ein
gewidmetes Gut. Im mittelalterlichen Recht wurde damit auch die Witwenversorgung aus dem Nachlass genannt.