In der Schule
„Soll das Kind wirklich schon in die Schule?“, so mag sich Mutter überlegt haben, es ist doch noch nicht sechs Jahre alt, wird erst in einem Monat sechs, ist so zart und dünn, isst schlecht, schläft schlecht.
Aber der Arzt meinte, ich sei kerngesund. Außerdem war ich geistig sicher schulreif, voll Fragen und Interessen, Lesen wollte ich lernen wie die große Schwester. Gedichte auswendig lernen konnte ich schon mit drei Jahren, wie zu Omas 70. Geburtstag. Ja, Tante Olga erzählt, ich sei mit vier Jahren im Hochsommer nur mit einem Sonnenhut bekleidet auf dem Hof herumgelaufen mit Papier und Bleistift. Auf die Frage: Willst du einen Brief schreiben?
hätte ich geantwortet: Nein, ich dichte!
Was dichtest du denn?
wurde ich gefragt. Der Herr Kater geht ins Theater
, sei die Antwort gewesen. Da dieser Reim in keinem meiner Bilderbücher vorkam, muss es wohl wirklich ein eigenes Erzeugnis gewesen sein, genau wie Ich nehme jetzt ‘n Teller und gehe in den Keller.
Wenn Onkel Fritz zu Besuch kam, machte es ihm Spaß, mir französische Vokabeln beizubringen. Alles wollte ich wissen, alles konnte ich behalten. Also war es Zeit für die Schule.
Aber dann begann das Elend, lauter fremde Kinder und vor allem ein fremder Mann als Lehrer! Ein fremder Mann, eine ganz beängstigende Gestalt! Wenn er mich aufrief, kriegte ich kaum ein Wort heraus vor Angst, etwas falsch zu machen, und fing an zu weinen. Jeden Tag kam ich mit rotgeweinten Augen nach Haus, das ganze erste Schuljahr hindurch. Aber ich erinnere mich nicht, dass ich mich gesträubt hätte, zur Schule zu gehen. Ich kannte ja Angst und Leid als Teile des Lebens. Die mussten eben durchgehalten werden. Eine Klassenkameradin sagte zur Mutter: Die Rose ist komisch. Wenn sie hinfällt und sich die Knie blutig schlägt, lacht sie, und wenn der Lehrer sie nur schief ansieht, weint sie.
Lehrer Harenberg wusste sich auch nicht mehr zu helfen und bat meine Mutter um Rat. Die konnte ihn nur um Geduld bitten. Und wirklich, im zweiten Schuljahr war der Lehrer schon gar nicht mehr so fremd. Ich konnte sagen, was ich wusste, und merkte, ich wusste oft mehr und schneller als die anderen Kinder. Lesen und schreiben konnte ich im zweiten Schuljahr schon gut, nur die Handschrift war ziemlich krakelig mit vielen Verbesserungen, weil ich oft schneller dachte als ich schreiben konnte. Kopfrechnen war ein Problem. Ich hatte zwar schnell heraus, wie das funktionierte, auch über die Zehner hinaus zusammenrechnen und abziehen, auch dass das Malnehmen eigentlich ein mehrfaches Zusammenrechnen war, aber die Rechenproben zum Einmaleins ließen keine Zeit, zum Beispiel für drei mal sechs
die Sechser dreimal zusammenzuziehen. Das sollte man auswendig wissen. Schreibt!
sagte der Lehrer, und wer dann nicht sofort die Lösung aufschrieb, musste einen Strich machen; denn die nächste Aufgabe folgte sofort. Erst in der Oberschule, als es in Mathe um Logik und Verständnis ging, merkte ich, dass hier eigentlich meine Stärke lag, aber das große Einmaleins habe ich nie auswendig gelernt.
Mit den Klassenkameradinnen kam ich schneller zurecht als mit dem Lehrer, und die wilden Jungen schreckten mich bald nicht mehr. Selbst wenn sie sich den Tornister verkehrt herum aufsetzten und damit versuchten, die Mädchen umzurennen, kreischte ich nicht wie die anderen, sondern marschierte stracks geradeaus. Und einen sah ich besonders gern. Der Hannes hatte so lustige, braune Augen, und in einer Pause erklärte er vor der ganzen Klasse: Hier auf meinem Federkasten sind zwei Rosen. Die eine ist Rose Söchting, die andere Brunhilde Müller.
Brunhilde interessierte mich nicht. Ich war gemeint, mich mochte er! Aber niemand durfte es merken, wenn ich heimlich zu ihm hinüber schielte, nicht einmal er selbst; denn wer verliebt war, wurde von allen ausgelacht. Deshalb fand ich ihn ja auch so unglaublich tapfer mit seinem Federkastenbekenntnis. Aber heimlich träumen von ihm konnte ich, und die Schule machte gleich viel mehr Freude. Dem Lehrer offen in die Augen sehen, das wagte ich aber doch nicht. Darum hatte ich immer nur eine Drei in Aufmerksamkeit. Dabei entging mir kein Wort von dem, was er sagte. Ich konnte zu Hause Mutter alles erzählen, was wir neu gelernt hatten, oft wörtlich, wie es der Lehrer gesagt hatte. So wurden die Zeugnisse immer besser, und als wir in der dritten Klasse ein großes Märchenspiel in Versen, ich glaube es war von Rückert, aufführten, durfte ich das Schneewittchen spielen, weil keine andere die langen Texte so hätte auswendig lernen können. Probleme hatte ich allerdings weiter mit den anderen Lehrern der Schule. Einmal war Herr Harenberg krank, und ein anderer Lehrer vertrat ihn. Da fing ich gleich wieder vor Angst an zu weinen, als er mich aufrief. Der wollte es ganz gut machen, holte mich nach vorn, legte den Arm um mich und sagte: Ich beiße doch nicht!
Ich dachte, ich müsste vor Scham in die Erde versinken und hasste ihn abgrundtief. Ebenso hasste ich den Musiklehrer. Den hatte ich einmal auf der Straße übersehen und darum nicht gegrüßt. Er rief mich zurück, und ich musste nochmal an ihm vorbeigehen und grüßen. Ich fühlte mich zutiefst gedemütigt und ging ihm von da an immer weit aus dem Wege.
Kurz vor meinem zehnten Geburtstag kam ich aufs Gymnasium, auf die Oberschule für Mädchen in Osterode. Das Abgangszeugnis der Grundschule war das Beste der Klasse, aber wieder musste ich lauter fremde Lehrer verkraften, und wieder ging die Heulerei los, dauerte aber diesmal nicht ganz ein Jahr, und die Lehrer reagierten verschieden: Herr Grönig, der Erdkundelehrer, konnte mich nicht leiden, seitdem ich einmal an der Landkarte in Tränen ausgebrochen war. Dr. Susebach, genannt Schmusi
, konnte ich nicht leiden. Ich fand es albern, wie er flötete: Ach, das Waldvöglein aus dem Harzerwald!
Dr. Schellenberg, genannt Schello
, aber liebte das kleine, schutzbedürftige Wesen von Herzen, sogar später noch, als ich mich eingelebt hatte und voll lustiger, dummer Streiche steckte. Das Rösken
, sagte er dann, was war es doch für ein kleines Mädchen, bei dem die großen Tränen kullerten, und nun ist es ein raubeiniger Junge geworden!
Aber er konnte mir doch nie böse sein.
Bei den Lehrerinnen war die Heulerei nicht so schlimm. Mit Frauen wusste ich besser umzugehen. Dass wir jeden Tag nach Osterode fahren mussten, mit der Kleinbahn oder mit dem Bus bis Gittelde und von da mit der Bahn nach Osterode, war mir keine Last. Im Gegenteil, die Gemeinschaft der Fahrschüler, das Spielen, Lachen und Singen in der Bahn und die Wartezeiten, in denen wir was aushecken konnten, fand ich das Beste an der ganzen Schule. In Gittelde hatten wir meist eine längere Wartezeit. Da wurde vor dem Bahnhofsgebäude Kriegen gespielt, später meist Brennball. Auf der Straße dort kam so gut wie kein Fahrzeug. Wir konnten das Feld abgrenzen. Ein Schlagstock wurde immer in den Büschen versteckt, und den kleinen Lederball nahm jeweils eine mit nach Haus, um ihn zum x-ten Mal zu nähen, denn wir hatten solche Übung in unserem Spiel, dass er mächtige Schläge aushalten musste. Wenn wir in der Turnstunde mal Brenn- oder Schlagball spielten, wollte jede Partei immer die Grundner Fahrschüler haben, weil die den Ball garantiert trafen. Im Winter amüsierten wir uns in der Bahnhofshalle mit Hüpfekasten, wozu wir die Muster ungeniert mit den Gummiabsätzen auf den Boden malten. Einmal war morgens so dicker Nebel, dass man kaum fünf Meter weit sehen konnte. Da spielten wir Kriegen auf dem verschneiten Feld gegenüber vom Bahnhof und verliefen uns dabei so hoffnungslos, dass wir gar nicht mehr wussten, wie wir den Bahnhof wiederfinden sollten. Erst das Rollen des einfahrenden Zuges und fürchterliches Geschrei der am Bahnhof zurück gebliebenen zeigten uns die Richtung, in die wir rennen mussten. Und wirklich erreichten wir den Zug noch. Im Warteraum haben wir uns nur an ganz kalten Tagen aufgehalten. Da gab es viel zu wenige Stühle für uns, und es gab dann ein Wettrennen von der Kleinbahn zum Hauptgebäude, um noch einen Stuhl zu erwischen. Ich muss etwa 13 Jahre alt gewesen sein, als sich die Jungen mal verabredeten: Wir rennen nicht. Wir kriegen auch so Sitzplätze!
Sie kamen langsam hinterher und rissen uns dann die Stühle unterm Hinterteil weg. Das gab eine regelrechte Schlacht zwischen Jungen und Mädchen, bei der einige Stühle kaputt gingen, und es ein Wunder war, dass es keine Verletzungen gab.
Seitdem durften wir nicht mehr in den Warteraum. In der Bahn suchten wir uns möglichst ein unbesetztes Abteil für Reisende mit Traglasten
, ein großes freies Viereck in der Mitte und Bänke an den Wänden entlang. Wir nannten es Affenkasten
. Da spielten wir Blinde Kuh. Die blinde Kuh
musste sich mit einer Hand ihre Mütze vor die Augen halten, mit dem anderen Arm drehte sie sich schwungvoll im Kreise, und es war in dem engen Raum schwer; nicht von ihr erwischt zu werden. Das Reizvolle war, dass der Zug dabei wackelte und um die Kurven fuhr. Da hieß es, das Gleichgewicht halten.
Nach dem Unterricht durften wir ohne Aufsicht in der Schule warten, bis es gegen drei Uhr Zeit wurde, zum Bahnhof zu gehen. Dass wir da nicht nur brav in unseren Bänken saßen, kann man sich denken. In unserer Klasse waren wir vier Fahrschülerinnen aus Bad Grund, zwei aus Herzberg und eine aus Eisdorf. Später kamen noch andere aus Gittelde und Seesen dazu, und die Eisdorferin ging ab. Die haben wir leider schlecht behandelt, wir drohten, sie aufs Klohäuschen zu sperren. Dann lief sie weg, und wir suchten sie im ganzen Städtchen. Wir fanden das ein herrliches Spiel. Weil sie Osterode gut kannte, gerieten wir auf der Suche in die verstecktesten Winkel, in die engen Gässchen an der alten Stadtmauer und die Promenaden an der Söse. Als sie schon nicht mehr bei uns war, erfuhren wir, warum sie immer so lahm und langweilig war. Sie war einfach müde, weil sie zu Haus als Älteste von sieben Geschwistern so viel helfen musste und erst abends ihre Schularbeiten machen konnte. Da tat uns unsere Lieblosigkeit leid. Später änderten sich unsere Unternehmungen, erst pflegten wir bei Regenwetter mit Hilfe der Blumenvasen Wasser auf die unten auf dem Bürgersteig entlang gehenden Regenschirme zu gießen, und wir lachten, wenn jemand darunter aufschrie. Später machten wir uns aus Bindfäden Lassos, um vorbeigehende junge Soldaten zu fangen, die sich von jungen Mädchen natürlich gern fangen ließen. Wir brachten alle Schlüssel mit, deren wir habhaft werden konnten, bis einer für das Klavier im Musikraum passte. Die Fahrschüler von der Oberschule für Jungen wurden eingeladen, Sigrid musste Walzer spielen, und wir tanzten.
Natürlich wurden wir oft erwischt, und die Eintragungen ins Klassenbuch nahmen bedenklich zu. Einmal hätten wir fast einen Feuerschaden verursacht. Wir hatten in der Adventszeit die Klasse mit Tannenzweigen hinter jedem Bild schön geschmückt. Nicht immer machten wir ja nur böse Streiche. Als wir im Januar wieder in die Schule kamen, war wie üblich nicht geputzt, und die Zweige hingen trocken und rieselnd noch, wo wir sie hingehängt hatten. Brav nahmen wir sie in der Wartezeit selbst ab und sammelten sie erst mal auf dem Pult. Da jetzt ein Streichholz dran. Das gäbe ein Feuer!
sagte eine. Au ja, wer hat eins?
eine andere. Im Nu brannte der ganze Haufen lichterloh auf dem hölzernen Pult. Zum Glück war das alte Möbelstück solide, und die Flamme sank in sich zusammen, als die Zweige verbrannt waren. Aber eine schwarz verbrannte Delle hatte es doch gegeben. Schnell holten wir Lehm vom Hof und schmierten sie zu. Noch ein bisschen Kreide drüber, so ist nichts mehr zu sehen. Als Schello am anderen Morgen die Kreide abwischen wollte, hatte er die Hand voll Lehm und Ruß. Da tobte er aber! Nur weil Rösken
beteiligt gewesen war, hat er es nicht dem Rektor gemeldet. Ich glaube, die Delle wurde ausgeschrubbt und übergestrichen. Mehr Renovierungen und Erneuerungen gab es an der alten Schule sowieso nicht. Schon vor dem Kriege hatte die Stadt kein Geld dafür. Im Kriege passierte da schon gar nichts. Die Bänke waren beschmiert und beschnitzt, die Decke der Klasse so schmutzig, dass ein weißer Kreis zu sehen war, wenn man einen Ball dagegen warf. Einmal kam sogar ein Placken Kalk herunter, als eine Lehrerin im Zorn einen Stuhl aufstampfte, aber gerade in diesen verwahrlosten Räumen konnte sich umso ungestörter unsere Unternehmungslust austoben.
Natürlich haben wir nicht nur dumme Streiche gemacht, sondern auch Schularbeiten. Aber so ganz im Sinne der Deutschlehrerin war es sicher nicht, dass wir beispielsweise sieben verschiedene Hausaufsätze zum Thema Mein Neujahrsbrief
entwarfen: Für die lustige Freundin, für die reiche Patentante, für den frommen Onkel Samuel und so weiter und dann wurde ausgelost, wer welchen Aufsatz kriegte. Mehr im Sinne des Lehrers war die Mathe-Arbeitsteilung: Schello konnte nämlich sehr schlecht erklären. Wenn was Neues drankam, rechnete er einfach auf der Tafel vor, sagte nur: Jetzt bringe ich das da rüber, jetzt teile ich das...
Dann drehte er sich zu uns um und rief: Welches Rindvieh hat’s noch nicht kapiert?
Natürlich meldete sich keine, und dann gab es Ärger, dass so viele es doch nicht verstanden hatten. Da vereinbarte ich mit Ursel, die neben mir saß: Du schreibst einfach alles mit, was er anschreibt, und ich versuche zu verstehen, warum er das so macht.
Nach dem Unterricht saßen wir dann zusammen und tüftelten die neue Rechenart heraus. Das hat uns Fahrschülern zu guten Mathezensuren verholfen. Im Kriege haben wir auch Feldpostbriefe an unbekannte Soldaten geschrieben oder an einen Jungen, den wir ärgern wollten, Liebesbriefe von ausgedachten Absenderinnen. Es ist kein Wunder, dass all diese Aktivitäten mir besser in Erinnerung geblieben sind als der Verlauf der Unterrichtsstunden. Dabei war ich nach wie vor in den Stunden vom ersten bis zum letzten Wort gespannte Aufmerksamkeit und hatte nie nötig, alles zu Haus noch im Buch nachzulesen. Stattdessen konnte ich meinen Klassenkameradinnen morgens im Zug oder in der Pause wortwörtlich erzählen, was gestern der Lehrer gesagt hatte. Wenn ich gegen vier Uhr nach Haus kam, war ich dann auch rechtschaffen müde und hatte keinen Appetit zum späten Mittagessen.
Die Fächer, die ich liebte, waren Deutsch, ich konnte mich für schöne Sprache begeistern, und mit der Deutschlehrerin, der Rimus, war ich in den höheren Klassen richtig befreundet, Biologie, bei meinem Interesse für Wald und Wiesen, Blumen und Tiere kein Wunder, Erdkunde, Chemie, Physik, das fiel aber im Kriege bald ganz aus wegen Lehrermangel. Ich habe mir dann eine Grundlage angelesen, und Mathematik. Da knobelte ich sogar noch an mathematischen Problemen, die gar nicht zum Unterricht gehörten. So hatte der Lehrer z. B. gesagt: Der große Mathematiker Gauß hat bewiesen, dass es unmöglich ist, nur mit Zirkel und Lineal ein regelmäßiges Siebeneck zu konstruieren. Das ließ mir keine Ruhe. Ich grübelte und probierte und fand wirklich eine Methode, mit der ich ein Siebeneck in einen Kreis konstruierte, dessen Seiten ausgemessen gleich lang waren. Aber rechnerisch beweisen ließ sich das nicht, und ich habe noch einen Schulkameraden, den Lehrer und später meinen Neffen und seinen Mathelehrer damit verrückt gemacht. Ungeliebtes Fach war Englisch. Im ersten Jahr entwickelte ich schnell ein Sprachgefühl für die Aussprache und Verständnis für die Grammatik. Nur mit den Vokabeln musste ich mich abmühen. Die Lehrerin Fräulein Gehrke aber bemühte sich so sehr um die Schülerinnen, die Schwierigkeiten mit der Sprache hatten, dass sie mich ein volles halbes Jahr nicht aufrief, und als sie es dann doch mal tat, hatte ich große Schwierigkeiten, den Text zu lesen und verlor die Lust. Als wir später dann statt praktisches Gebrauchsenglisch zu üben nur blöde Kriegsgeschichten von Oliver Cromwell usw. lasen, fand ich Englisch total blöde und arbeitete nicht mehr dafür, sodass ich über eine Drei im Zeugnis nicht mehr hinausgekommen bin.
Weil wir Oberschule für Mädchen
waren, gab es ab Klasse zehn das Fach Kochen. Das war mein ganzer Schrecken. Mutter hatte mich ja nie an den Herd gelassen. Ich wusste nicht mal, wie man einen Kochtopf anfasst, und die anderen konnten schon ganze Gerichte kochen. Dabei war mir Fräulein Schönfelder, die Kochlehrerin, schon deshalb zugetan, weil sie die Freundin der Rimus war. Aber das wirkte sich dann so aus, dass sie ständig hinter mir stand: Rosemarie, was machen Sie denn da schon wieder?
Rosemarie, wie fassen Sie das denn an!
Das geht doch so nicht, Rosemarie!
Ich war nach dem Kochunterricht völlig mit den Nerven fertig und schlief schon die Nacht vorher kaum vor Angst. Mutter hat mir dann zu Haus doch Manches gezeigt, und eins konnte ich gut: abschmecken. Ich schmeckte auch aus den fertigen Gerichten jedes Gewürz heraus. Aber geliebt habe ich den Kochunterricht nie.
Beim Thema Schule fallen mir noch die Wandertage ein. Wir haben damals keine Schulfahrten gemacht, aber jedes Jahr einen Wandertag. Die waren immer eine große Freude für mich. In der ersten Klasse ging es nur bis Windhausen und über die Ritterheide – Eichelbachtal zurück. Das waren etwa sieben Kilometer, genug für die kleinen Beine. Im nächsten Jahr ging es schon über die Spinne und den Galgenberg nach Wildemann und über den Iberg zurück. Das war schon fast doppelt so weit. In der dritten Klasse wanderten wir nach Silbernaal zum Bahnhof der Goslar-Altenau-Bahn, fuhren ein Stück und gelangten endlich durch die tiefen Tannenwälder des Hochharzes nach Festenburg, einem Ort, den es inzwischen nicht mehr gibt, denn er ist im Wasser des Okerstausees versunken. Die Wanderung der vierten Klasse führte über Badenhausen und die Kreidefelsen nach Osterode und von Gittelde zurück. Das waren mehr als 20 Kilometer, eine tüchtige Leistung für uns Neunjährige. Verschwitzt und mit Blasen an den Füßen kamen wir von den Wandertagen nach Haus, aber es war herrlich. Große Enttäuschung bedeutete es darum für uns Grundner, als wir von der Oberschule aus nur noch Miniwanderungen machten: fünf Kilometer zur Sösetalsperre oder nach Lerbach. Das waren doch nur Spaziergänge! Die Grundner Schule wanderte mit der siebenten Klasse 30 Kilometer nach Goslar und mit der achten Klasse 40 Kilometer bis auf den Brocken! Ich wollte so gern auch mal auf den Brocken, aber dorthin bin ich erst mit über 70 Jahren gekommen. Eine Lehrerin wollte 1944 von Osterode aus eine Brockenwanderung mit uns machen, aber das wurde wegen Fliegergefahr abgesagt.