Harzwinter - Advent und Weihnachtszeit
Große und kleine Tiere litten in den Harzwintern ziemlich Not, wenn sie nicht im tiefen Winterschlaf lagen. Die Förster schleppten Heu, Eicheln und Kastanien zu den Wildfütterungen im Wald, und die Rehe und Hasen kamen bis ins Tal hinunter. Mutter brachte immer Apfel- und Kartoffelschalen, trockenes Brot usw. für die Rehe an den Eichelberg beim alten Friedhof, später an den Voßhai. Da kam zwei Winter hindurch ein Reh, das auf drei Beinen humpele. Es hatte wohl einen Verkehrsunfall gehabt. Aber auch die kleinen Tiere hatten es im Winter schwer. Sigrid fand beim Skifahren ein Mäuschen hilflos im Schnee hockend. Das wärmte sie in ihrem Fausthandschuh auf und brachte es darin mit nach Haus. Besonders Oma war entsetzt, dass sie Ungeziefer
ins Haus brachte, obgleich sie es doch nur
in den Stall setzen wollte.
Das Schönste am Winter war natürlich das Weihnachtsfest und die Adventszeit. Einen Adventskranz hatten wir nicht, sondern ein Adventsbäumchen. Am Waldrand, wo die Fichten sich in Massen ausgesamt hatten, wählten wir uns solch einen Miniweihnachtsbaum aus, der nur vier ganz kleine Kerzen tragen konnte. Aber er leuchtete uns, wenn wir in der Dämmerstunde beisammensaßen und all die alten Lieder sangen. Ein Lied, das sonst niemand kannte, hatte Mutter aus ihrer Pensionatszeit mitgebracht: Schweigt, ihr ernsten Glocken, schweiget! Menschenkinder, betet an! ...
Das liebte ich besonders. Eine Lackbilder-Krippe zeigte uns, was da in Bethlehem geschehen war. Bald kriegten wir auch ein richtiges Krippenhaus mit Figuren. Der Adventskalender wurde jedes Jahr wieder benutzt. Er war noch ohne Süßigkeiten, nur mit Bildern hinter den Türchen. Dann kam der Tag, wo der Weihnachtsbaum vom Forstamt gekauft wurde. Er musste mit dem Stern an der Spitze bis zur Decke reichen und wurde mit viel Lametta, bunten Schokoladenkringeln und Holzfigürchen geschmückt, die man bei den Winterhilfe
-SammlungenNot- und Brotgemeinschaft
Mit der Parole Kampf gegen Hunger und Kälte
hat Adolf Hitler am 13. September 1933 das erste Winterhilfswerk eröffnet. Es sollte die materielle Not großer Teile der Bevölkerung lindern und auf diese Weise zur inneren Stabilisierung des NS-Regimes beitragen. Zugleich diente es dem Ziel des totalitären Staates, das Zusammengehörigkeitsgefühl in der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ zu stärken.Siehe Zeittafel der Machtübernahme [Klick ...] für eine Spende erhielt, und natürlich mit echten Kerzen besteckt. Als Kinder bekamen wir ihn so erst am Heiligen Abend zu sehen. Später bestand ich darauf, den Baum zu schmücken, denn Mutter pflegte aus Sparsamkeit das Lametta jedes Jahr herunter zu raufen und in eine Tüte zu knüllen. Im nächsten Jahr kriegte sie es dann nicht mehr auseinander und warf ganze Klumpen in die Zweige. Das störte mich zu sehr.
Zur Christvesper gingen wir als Kinder nicht. Mutter fand das lange Warten zu grausam. So wurde schon im ersten Dämmern beschert. Wir saßen bei Oma in der Stube, bis das Glöckchen bimmelte, und wurden dann von ihr in die Weihnachtsstube geführt. Da leuchtete der Baum, da lagen die Geschenke auf dem Tisch, und unterm Tisch stand ein Fußbänkchen mit Keksen und Wurstscheiben, der Weihnachtstisch für Dackel Waldi. Nur ein Lied wurde vor der Bescherung gesungen. Das brachten wir vor Lachen schon kaum zu Ende, denn Waldi sang in den schönsten Jaultönen mit und ging erst dann an seinen Tisch, wenn wir sagten: Nimms!
Ich erinnere mich nicht an besondere Geschenke, freute mich nur jedes Jahr über neue Tiere für meinen Zoo, als ich lesen konnte, auch über Tierbücher. Dann kam auch schon bald die Kriegszeit, in der schon ein Paar Handschuhe große Freude bereiteten.
Auch als junges Mädchen bin ich nicht gern zur Christvesper gegangen, weil da der Pastor immer krampfhaft versuchte, volkstümlich zu predigen, meist mit einer Beispielgeschichte anfing, die dann nicht zur Aussage des Textes passte. Aber ich ging doch wegen der Lieder und wegen des Weges hinterher. Da ging ich nämlich nicht gleich nach Haus sondern stieg den Gittelder Berg hinauf, sah durch die verschneiten Bäume auf Kirche und Häuser hinab, während die Weihnachtsglocken übers Tal klangen. Die Abgunst hinunter und durch die Osteroder Straße aufwärts ging es nach Haus. Als es keine Verdunklung mehr gab, konnte ich da die Weihnachtsbäume durch die Fenster leuchten sehen. So lange wir noch keine Ausgebombten aufnehmen mussten, wohnten wir vom Heiligen Abend bis Neujahr in der Weihnachtsstube, in den Möbeln, die früher zu Vaters Arbeitszimmer gehörten. Ich holte dann die Kästen mit meinen Zootieren und baute sie mit den neuen Tieren zusammen auf, zum langen Zug der Tiere zur Arche Noah. Wenn dann der Baum geplündert wurde, durften wir viele Schokoladenkringel essen. An den Tagen davor hatten wir schon mal probiert. Der Winter dauerte nach Weihnachten noch lange, aber endlich kam das Tauwetter. In der Schule und zu Haus wurden wir gewarnt vor Dachlawinen, denn der Schnee auf den dick verschneiten Dächern kam ins Rutschen. Wir lernten: Wenn es über uns rumpelt, müssen wir schnell an die Hauswand springen. Dann saust die Lawine über uns hinweg. Vom Magistrat wurde bekannt gegeben: Die Gossen sind frei zu machen, damit die Fußwege nicht überschwemmen!
Das war nun eine große Arbeit, denn der Schneepflug hatte seine Wälle auf die Gossen geschoben. Die mussten erst mal weggeschaufelt werden, und unten war oft das blanke Eis, das jede Nacht wieder einfror, wenn tags das Tauwasser sich gesammelt hatte. Ohne Spitzhacke kriegte man das gar nicht frei. Mutter war froh, als wir groß genug waren, sie da mal abzulösen.
Endlich war es Frühling, aber ein bisschen Harzwinter wurde aufgehoben: Das Iberger Kaffeehaus bunkerte Schnee in einem tiefen Erdloch, und es war eine Attraktion für die Gäste, dass im Sommer jede Woche ein Schneemann gebaut wurde. Ein Mann spielte den Scharfrichter, hielt immer dieselbe witzige Rede, warum der Delinquent zum Tode verurteilt sei, und schlug dem Schneemann den Kopf ab. Dann gab es eine muntere Schneeballschlacht unter den Gästen. Wenn ich an die langen Winterabende denke, fallen mir auch unsere Spiele ein. Wenn Mutter oben bei Oma saß, kamen oft Edith und Meta, Sigrids Freundinnen. Wir spielten Fischlein im Dunkeln
. Dazu musste Eine rausgehen, und die Anderen versteckten sich. Dann wurde das Licht ausgemacht und die Sucherin musste im Stockdunklen suchen. Wen sie zuerst fand, die war nächste Sucherin. Einmal hatte ich mich so unter das niedrige Sofa gequetscht, dass ich im Dunkeln Platzangst bekam und meinte, ersticken zu müssen. Ich konnte aber schnell noch herauskrabbeln. Das Spiel Geisterstunde
war von Edith erfunden. Eine war der Gast, musste von draußen kommen und im Gasthaus um Quartier bitten. Ihr wurde dann Sofa, Sessel, Stühle oder Teppich zugewiesen. Das Licht wurde ausgemacht, eine imitierte die zwölf Schläge der Uhr, und schon passierte etwas mit dem Gast
. Sie wurde gerumpelt, mit Kissen beworfen, an den Haaren geziept, bespritzt. Immer wusste man, dass in der Geisterstunde etwas mit dem Gast passieren würde, aber er wusste nie, was. Das war unheimlich spannend.
Wenn ich allein war, habe ich im Winter auch manchmal aus Decken und Kissen ganze Landschaften in der Stube gebaut und meinen Zoo dort aufgebaut. Die Tiere waren so lebensecht, dass ich einmal selbst Angst vor der Schlange bekam und schnell die Treppe hinauf zur Oma lief, aber verraten habe ich es nicht, warum ich kam, um nicht ausgelacht zu werden. Karten- oder Brettspiele haben wir kaum gemacht. Wir hatten ein Mensch ärgere dich nicht
Spiel und ein Spitz pass auf
, aber Mutter spielte nie mit uns, und auch wir mochten die anderen Spiele lieber.