Teil 5 - Göttingen, 1873 bis 1874
Kapitel 7
Ausflüge
Zu Rocholls kam ich aber nicht nur an den offenen Abenden. Auch ganz zwanglos kam ich einmal zu ihnen, oder Frau Superintendent ließ mich gegen Abend fragen, ob ich nicht eine Kartoffelsuppe mit ihnen essen wollte. Einmal lud er mich zu einem Nachmittagsspaziergang nach der Plesse ein, die einen der schönsten Punkte in der näheren Umgebung Göttingens bildet. Rocholls hatten sich eine ganze kleine Gesellschaft Jugend dazu eingeladen. So war Hoppe dabei, auch Thekla Schöberlein. Oben war ein Gewitter, und wir regneten fest und vertrieben uns die Zeit mit allerlei Gesellschaftsspielen. Auch als wir dann abends den Rückweg antraten, kam das Gewitter wieder mit tüchtigen Regenschauern. Mit jedem Schritt legten sich uns die Kleider mehr an den Körper, und die Füße wurden von dem schweren Göttinger Lehmboden schwerer. Aber wir sangen unentwegt. Besonders amüsierte sich Rocholl über den von mir vorgeschlagenen Kanon: Himmel und Erde werden vergehen, aber die Musici werde bestehen.
In der ganzen Nacht noch war mir's im Traum, als ginge ich über Sturzacker.
Dass wir auch sonst die schönen Punkte der Umgegend Göttingens kennen zu lernen suchten, kann man sich denken. So machte ich am Himmelfahrtstage, an den studierenden Gesangverein mich anschließend, eine Spritze nach dem Hanstein. Hier machte ich eine interessante Entdeckung. Als ich nämlich das Fremdenbuch einsah und durchblätterte, stieß ich im Jahre 1808 auf den Namen August NeanderAugust Neander (1789-1850) alias David Mendel war ein evangelischer Theologe und Professor für Kirchengeschichte. Seinerzeit war er ein bekannter Gelehrter.Siehe Wikipedia.org [26], stud. theol. aus Hamburg
und Valentin Anton Noth
, der ja bekanntlich auf der Universität Neanders Mentor war.
Die Pfingsttage aber benutzte ich, mit verschiedenen der Leipziger Freunde ein Wiedersehen im Harz zu feiern. Freitagnachmittag fuhr ich ab und traf mich mit ihnen in Heudeber-Danstedt. Es waren Wagner, die beiden Schnedermanns und drei andere. Wir fuhren zunächst auf der Zweigbahn nach Wernigerode und gingen von da vorbei an Drübeck mit seiner alten Klosterkirche nach Ilsenburg, wo wir übernachteten. Am andern Morgen durch das Ilsetal, wo wir am Ilsenstein kurze Rast machten, hinauf nach dem Brocken. Da die Tage vorher trübes, regnerisches Wetter gebracht hatten, waren wir etwas besorgt, ob der alte Herr auch gut gelaunt sein würde. Wo wir unterwegs freien Ausblick nach ihm hatten, zeigte sich sein Haupt auch mit einer Nebelkappe umhüllt. Aber als wir dann nach manchem Hin und Her den Gipfel erreichten, hatte er sie doch abgetan und gestattete uns eine Aussicht, die zwar etwas verschleiert war, aber uns immerhin einen Gesamteindruck gewährte. Die Städte Halberstadt und Quedlinburg z. B. konnten wir deutlich erkennen. Dann ging's über den Renneckenberg und die Steinerne Renne nach Elbingerode, wo wir übernachteten. Von da ging's am Pfingstmorgen nach Rübeland, wo wir uns die Baumannshöhle zeigen ließen, und von da nach Hüttenrode, wo wir gerade zum Gottesdienst zu Recht kamen. Wir hörten aber eine entsetzliche Predigt: Phrasen von dem Geist des Schönen, Wahren und Guten.
Auch die ganze Haltung des Geistlichen war wenig würdig. Von da gingen wir auf die Teufelskanzel und dann hinab nach dem Bodetal, das wir bei Altenbrak erreichten. Eine Abendwanderung brachte uns nach Treseburg, dem Ziel des Tages. Am andern Morgen bei köstlichem Wetter durch das großartige Bodetal nach der Roßtrappe. Mittag machten wir in Thale. Von da ging's nach dem Eingang des Bodetals zurück. Vom Waldkater klommen wir die 1130 Stufen zum Tanzplatz hinauf. Als wir in der dortigen Wirtschaft einkehrten, trafen wir unvermutet Professor Leip. Derselbe brach aber gerade mit seiner Gesellschaft auf, so dass wir uns nur eben begrüßten. Wir hatten dann noch eine schöne Wanderung über die Viktorshöhe nach Mägdesprung, im lieblichen Selketale. Dort fand sich im Gasthaus hoch oben ein Zimmer mit allseitigem Ausblick, das gerade für uns Sieben reichte. Das belegten wir für die Nacht. Am andern Morgen wanderten wir durch das Selketal am Falkenstein vorbei nach Ballenstedt. Von da ging's wieder heimwärts, sie nach Leipzig, ich nach Göttingen.