Teil 7 - Loccum, 1875-1877
Kapitel 9
Vaters Besuch, Gretchens Konfirmation
Ein besonderer Festtag für mich war im ersten Loccumer Halbjahr Vaters Besuch. Da er bei seiner sonstigen kräftigen Konstitution doch immer noch zu Rheumatismus neigte, hatte ihm der Arzt eine Kur in Teplitz geraten. Er hatte aber keine Lust dazu. Wenn's noch Rehburg wäre
, so schrieb er mir, da könnte ich dich doch in Loccum sehen.
Das hätte natürlich keinen Zweck gehabt. Da hatte der Arzt ihm als einen Ausweg Oeynhausen empfohlen, und dazu hatte er sich entschlossen. Eine Postkarte aus Hannover mit dem Stichwort: Heut sind wir ihm vorbeigereist
teilte mir das mit. Ich erhielt sie gerade am Sonnabend vor meiner ersten Zensurpredigt und konnte vor freudiger Aufregung fast die ganze Nacht nicht schlafen. Wir
schrieb er. Denn GretchenSchwester Margarethe [43] begleitete ihn. Diese, damals 16 Jahre alt und in ihrer körperlichen Entwicklung etwas zurückgeblieben, darum damals ein Gegenstand der Sorge für die Eltern, sollte wenigstens die gute Luft zu ihrer Kräftigung gebrauchen. Außerdem wollte Vater nicht gern den Konfirmandenunterricht mit ihr unterbrechen, den er ihr erteilte, weil damals das früher erwähnte Zerwürfnis mit Zahn war. Ich besuchte nun beide zunächst zwei Sonntage hindurch in Oeynhausen. Schuster bewilligte mir das erste Mal sogar unaufgefordert noch Urlaub für den Montag, was einige Eifersucht bei den andern erregte. Ich lernte bei dieser Gelegenheit also zum ersten Mal das westfälische Land kennen. Wir besuchten von Oeynhausen aus auch den WittekindDer Wittekindsberg. Er schließt das Wiehengebirge nach Osten ab und istzugleich die westliche Begrenzung des Weserdurchbruchs Porta Westfalica. Auf seinem Osthang steht seit 1896 das Kaiser-Wilhelm-Denkmal.Siehe Wikipedia.org [44] auf dem damals das Denkmal noch nicht stand. Sonntags hörte ich jedes Mal eine wackere Predigt von Möller, der später Brauers Nachfolger am Gymnasium von Gütersloh wurde. Zum dritten Sonntag aber kam Vater mit Gretchen herüber nach Loccum. Sonnabends kamen beide an, gerade noch zur Hora zurecht. Am Sonntag musste ich gerade die Zensurdiakonalien halten. Steinmetz hatte die Predigt. Vater bezeichnete sie mir nach Jahren noch als die bedeutendste, die er in der letzten Zeit gehört. Nach der Kirche Besuch bei Schusters, die zum Kaffee einluden. Zu Abend hatte Steinmetz schon in der Kirche mich mit meinem Besuch eingeladen. Nach dem Kaffee bei Schusters saßen wir unter den Eichen am Teich und kahnten auf demselben. Es war wieder ein märchenschöner Sommertag
. Superintendent Sievers aus Groß-Berkel, der mit seiner Tochter, Cromes Braut, zur Kur in Rehburg weilte, war auch da, und die beiden Herren kamen in eifriges Gespräch. Der alte Sievers versicherte mir nach Jahren noch, wenn er mich sah, wie sehr ihn die Bekanntschaft meines Vaters interessiert hätte. Ich fuhr währenddessen mit Gretchen auf dem Teich herum, wobei meine beiden Blätter
Ehrenfeuchter und Wagner sich uns anschlossen. Die Frau Obermedizinalrätin Bergmann, Redepennings Schwiegermutter, die damals mit ihren beiden Töchtern auf längere Zeit in Loccum weilte, nahm auch an der Kahnpartie teil und entsetzte sich über Gretchens übermut, mit dem dieselbe verschiedentlich versuchte zu schaukeln. Als die alte Dame endlich den Kahn verlassen, tat sich Gretchen darin noch Genüge und Ehrenfeuchter und Wagner unterstützten sie dabei. Ein Spaziergang durch den Sündern, bei dem auch Schuster uns begleitete, schloss sich an. Abends dann gemütlich bei Steinmetz. Gretchen, die damals reizend aussah, machte besonders mit ihrem frischen, munteren Wesen förmlich Furore. Ehrenfeuchter sagte mir hinterher: Auf deine Schwester kannst du stolz sein.
Auch Frau Pastor Steinmetz meinte, sie hätte immer wieder an sie denken müssen. Sie war auch mit den Kindern sehr niedlich gewesen.
Gretchens Konfirmation erfolgte dann am Michaelissonntage in Sorenbohmheute: Sarbinowo (Mielno), ein Bauerndorf und Ostseebad in der Landgemeinde Großmöllen im Powiat Koszalinski (Kösliner Kreis).Siehe Wikipedia.org [45]. An dem Tage gingen die Loccumer Ferien, die im September lagen, gerade zu Ende. Es hatte deshalb einige Schwierigkeit für mich, daran teilzunehmen. Nicht nur wegen des Wiederbeginns der Kollegien am Montag darauf, sondern noch aus einem andern Grunde. Die gottesdienstlichen Verpflichtungen des Hospizes, der Sonntagsdienst und der tägliche Horadienst, quiesziertenDie Aufgaben ruhten nicht
(von lat. quiescere = ruhen) [46] auch in den Ferien nicht, und ein Hospes musste je eine Woche Feriendienst übernehmen. Da Ostern zwei Wochen, Michaelis vier Wochen Ferien waren, - zwischen Weihnachten und Neujahr erlitt der Betrieb keine Unterbrechung - kam in zwei Jahren jeder einmal zum Feriendienst dran, wenn das Hospiz voll besetzt war. Die Jüngsten mussten natürlich zuerst dran, und auch in den großen Ferien hatten die relativ älteren Hospites das Recht, sich die ihnen genehmsten Wochen, also die Eckwochen, bei deren Besetzung ihnen die Ferien relativ am wenigsten beschnitten wurden, für sich zu wählen. Als der vorjüngste Hospes hätte ich eine der beiden mittleren Wochen nehmen müssen, was bei der Weite der Reise für mich besonders bitter gewesen wäre. Da trat dann Wagner großherzig für mich ein, so dass mir der Feriendienst für die vorkommende Osterzeit, wo ich ja doch unter keinen Umständen hätte nach Hause reisen können, gestundet wurde und ich also die volle Ferienzeit zu Hause zubringen durfte. Schuster beurlaubte mich dann auch noch für den ersten Tag des neuen Semesters.
[44] Der Wittekindsberg. Er schließt das Wiehengebirge nach Osten ab und istzugleich die westliche Begrenzung des Weserdurchbruchs Porta Westfalica. Auf seinem Osthang steht seit 1896 das Kaiser-Wilhelm-Denkmal.
[45] heute: Sarbinowo (Mielno), ein Bauerndorf und Ostseebad in der Landgemeinde Großmöllen im Powiat Koszalinski (Kösliner Kreis).
[46]
Die Aufgaben ruhten nicht(von lat. quiescere = ruhen)