Meine Kriegserlebnisse 1940 - 1945
Kapitel 13
August-Oktober 1943 — Lazarett Landshut
Das Kloster ist gut eingerichtet, die Schwestern sind großartig und die Verpflegung gut und reichlich. Es gibt fünf Mahlzeiten täglich, darunter am Vormittag eine bayrische Brotzeit mit Brötchen, Wurst und Bier. Mein Vater kommt, mich zu besuchen, sowie er Nachricht von mir hat. In der ersten Zeit schlafe ich viel, spiele mit meinem Bettnachbarn Schach oder langweile mich. Schließlich mache ich in einer geborgten Ogfr.-Uniform mit weißen Spiegeln (Div. Hermann Göring) meine ersten Ausflüge in die Stadt. Als Bettkranker
habe ich ja noch keine Uniform. Da in der nächsten Straße eine Leihbücherei ist, werde ich, zusammen mit einem Unteroffizier der Heeresflak, dort Stammkunde. Wir lesen jeder etwa drei Bücher in zwei Tagen und tauschen dann unter uns aus.
Jeden Monat kommt die Partei mit Geschenken. Da wir nur drei Zigaretten täglich auf unsere Raucherkarte bekommen, haben wir alle die Karte schon für zwei Monate im Voraus abgekauft. Schließlich bekommen wir nichts mehr und ich schicke an alle Bekannten und Verwandten Brandbriefe, mit dem Ergebnis, dass bald fast täglich ein Päckchen mit Rauchwaren eintrifft.
Dann zahlt man mir auch noch den ganzen rückständigen Wehrsold samt Springerzulage aus, sodass ich zur Not auskomme.
Inzwischen darf ich auch offiziell ausgehen. Als ich das erste Mal meine richtige
Uniform anziehe, gratuliert mir alles zur Beförderung
.
Es gibt in der Stadt eine Menge netter Lokale, auch noch Wein, allerdings sündhaft teuer, sodass das Geld bald alle ist. Obwohl die Ausgangsbestimmungen auf dem Papier recht streng sind, kann man in Wahrheit kommen und gehen, wann man will. In der Konditorei bekomme ich regelmäßig meinen Kuchen ohne Marken, eine wertvolle und außergewöhnliche Bevorzugung.
Einmal fahre ich nach München, um in der Universitäts-Augenklinik nochmals untersucht zu werden. Da an dem Auge nichts mehr zu retten ist, werde ich schließlich im November aus dem Lazarett entlassen und zwar gleich für 14 Tage Erholungsurlaub nach Hause. Erst nach dem Urlaub muss ich mich beim Fallsch.-Ersatz-Btl. melden.
Oktober 43-Juni 44 — Fallschirmjäger-Ersatzbataillon Aschersleben:
Ich sage Landshut ade und fahre los, Richtung Heimat. Nach endloser Eisenbahnfahrt lande ich, mit einer Unterbrechung von ein paar Stunden in Marktredwitz bei meinen Eltern in Kolin.
Nach zehn schönen Urlaubstagen fahre ich noch für vier Tage nach Reichenberg und Morchenstern. Schließlich sind meine 14 Tage abgelaufen und ich muss mich verabschieden. Über Leipzig und Stendal fahre ich nach Aschersleben, wo unser Fallsch.-Ersatz-Bataillon in den dortigen Flakkasernen untergebracht ist. Ich komme zur 4. Kompanie, die von Hauptfeldwebel Koßmann, dem Löwen von Aschersleben
, regiert wird. Ich werde, wie hier üblich, sofort als UvD (Unteroffizier vom Dienst) eingeteilt, worauf ich mich in den nächsten Tagen mehr oder weniger erfolgreich vom Arbeitsdienst drücke.
Das Ersatzbataillon ist über 3.000 Mann stark, stärker als jedes Regiment der 1. Division. Die Stimmung der Soldaten, alles alte Frontsoldaten, die aus den Lazaretten kommen, ist erbärmlich. Ausgang gibt es nicht, dafür im Dienst viele Schikanen, obwohl die meisten Leute noch an den Folgen von Verletzungen leiden. Glücklicherweise gelingt es mir, nochmals 14 Tage Erholungsurlaub zu bekommen. So kann ich schon am 16.12. wieder losfahren und Weihnachten sehr schön mit meinen Eltern in Kolin verbringen. Leider muss ich ausgerechnet am 31.12. um 24 Uhr wieder in Aschersleben sein. Dort komme ich gerade rechtzeitig wieder an, um in trübseliger Gesellschaft den Silvesterpunsch leeren zu helfen.
Einige Tage später treten die Dauernd gvH
(garnisonsverwendungsfähig Heimat) geschriebenen Leute des Bataillons an, um zum Arbeiteinsatz, meist in Rüstungsbetrieben, abkommandiert zu werden. Vorher geht der gefürchtete Adjutant, Oblt. Hedtke, die Front ab und sucht sich geeignete Leute für seine Stabskompanie heraus. Ich bin natürlich auch dabei.
So ziehe ich in das Stabsgebäude um, in eine große Stube, zusammen mit den Oberjägern Behmann, Liebner, Ganz und Stauch, alles nette Kerle.
Ich komme zur Dienststelle 2B, der Personalabteilung, die Fw. Ettner, ein ruhiger Mensch, leitet. Nach kurzer Einarbeitung muss ich Stärkemeldungen, Soldbücher und Erkennungsmarken bearbeiten. Abgesehen von den Stärkemeldungen ist das eine ganz ruhige Angelegenheit. Die Stärkemeldungen, die erst um 1700 Uhr von den Kompanien kommen, kosten mich jedoch viele Stunden meiner Freizeit, während ich oft in den Dienststunden nichts zu tun habe. Sie müssen bis 0800 Uhr morgens fertig sein. Da sie außerdem jeden Monat ans OKL nach Berlin gehen, unterschrieben vom Kommandeur, Fw. Ettner und mir, steht der arme Feldwebel schwere Seelenqualen aus, denn ich muss oft ziemlich kühn mit den Zahlen jonglieren, um ein wenigstens auf den ersten Blick richtiges Ergebnis zu erzielen.
Am Schreibtisch gegenüber sitzt Obj. Jochen Rakel, ausgerechnet auch aus Reichenberg, der eine Schulkollegin von mir geheiratet hat. Wir verstehen uns sehr gut und fahren häufig zusammen auf Kurzurlaub nach Reichenberg, obwohl es ziemlich vieler List und Tücke bedarf, bis man zwei, drei oder vier Tage Urlaub bekommt.
Als Angehöriger des Stabes haben wir täglich Ausgang, gute Quartiere und andere Vergünstigungen. Der einzige, dafür aber gewaltige, Minuspunkt ist der Adjutant und Chef der Stabskompanie, Oblt. Hedtke. Er ist ein Despot schlimmster Sorte, der die ganze Kompanie verdorben hat. Der Bataillonskommandeur, Major Hunold, ist ein harmloser älterer Herr, alter Weltkriegsflieger, der leider nicht in Erscheinung tritt, außer bei Paraden und Appellen, bei denen er sich und uns regelmäßig als alte Frontschweine
tituliert.
Kameradschaft besteht nur innerhalb einzelner Gruppen, so gibt es z.B. die alten Oberfeldwebel
, die jungen Oberfeldwebel
, die Feldwebel, die Oberjäger, die Obergefreiten und die Jäger und Gefreiten. Jeder ist des anderen Teufel, ein Kastensystem übelster Sorte. Oblt. Hedtkes Motto, das er oft verkündet, ist: Ein guter Kompaniechef muss von seinen Leuten gehasst werden!
. Danach ist er ein hervorragender Chef. Er tituliert jeden mit unflätigen Schimpfwörtern, bestraft 40-jährige Oberjäger, ohne einen Grund zu nennen, am laufenden Band, meist mit 14 Tagen Ausgangsverbot, sperrt ein, lässt festnehmen und führt ein wahres Schreckensregiment. Mich will er gleich am zweiten Tage einsperren, weil ich am Telefon seine Stimme nicht erkannt habe und gewagt habe, höflich zu fragen, wer spricht. Jeder von uns ist froh, wenn er am Abend der Kaserne den Rücken kehren und in die Stadt ausgehen kann. Ich lerne ein Mädchen, Ursel, kennen, und habe so meist nette Begleitung. Aschersleben hat ein recht gemischtes Nachtleben, es gibt da einige ziemlich verrufene Kneipen.
Häufig wird die Stadt von amerikanischen Bombergeschwadern überflogen, die auf dem Wege nach Berlin, Braunschweig, Leipzig oder Halle sind. Jedes Mal sehen wir unsere Jäger dahinter hängen, die einzelne Maschinen herausschießen. An einem Tage sind es sieben B-17, bei nur einer notgelandeten Fw-190. In einer Nacht wird auch das Junkers-Werk Aschersleben angegriffen. Die Schäden im eigentlichen Werk sind gering, obwohl viele Arbeiterbaracken durch Feuer zerstört werden. Ich merke nichts davon, denn ich schlafe. Häufig kommen Generäle zum Bataillon, darunter auch Gen. Student und Gen. Barenthin.
Allmählich wird mir meine Stärkemelderei selber bedenklich, ich bin das Ersatzbataillon gründlich leid und ich wäre viel lieber bei meiner alten 13. Kompanie.
Leider hat das Generalkommando eine absolute Versetzungssperre zur 1. FJD verhängt, so dass alle Leute, die wieder kv (kriegsverwendungsfähig) sind, als Stamm zu den neuen Fallschirmdivisionen versetzt werden, die gerade in Frankreich aufgestellt werden. (Es sind dies die 3., 4. und 5. FJD).
Lt. Hickmann, der die 13./4 zurzeit führt, hat mich schon zweimal dringend angefordert, ob kv oder nicht, aber jedes Mal vergeblich.
Ich habe keine Lust, zu einem neuen Haufen
zu kommen und bearbeite meinen Abteilungsleiter, Fw. Ettner, bis er mir verspricht, mich nach Italien zur 1. FJD zu schicken, sobald ich wieder kv sein würde. Ich bin zwar Dauernd gvH
(garnisonsverwendungsfähig Heimat) geschrieben, aber der Btl.-Arzt schreibt mich Auf eigenen Wunsch kv
.