Meine Kriegserlebnisse 1940 - 1945
Kapitel 11
Neapel, eine ungesunde Gegend
Wir sollen in Sizilien eingesetzt werden, wo die Alliierten am 10. Juli gelandet sind. Schließlich verladen wir unser Gerät und uns selbst in He 111-Transportflugzeuge und starten los, Richtung Neapel. Es ist der Morgen des 17.7.1943. Der Flug führt uns bei strahlendem Wetter über das Mittelmeer, Korsika, Elba und dann entlang der italienischen Küste nach Süden. Nach etwa drei Stunden landen wir in Neapel auf einem großen, aber ziemlich schlechten Flugplatz — Pomigliano. Unser Gerät wird in großer Eile ausgeladen und die Transporter sehen zu, möglichst schnell wieder wegzukommen, denn Neapel ist zurzeit eine ungesunde Gegend. Der Verband, der vor zwei Tagen andere Einheiten unserer Division hierher brachte, wurde kurz nach der Landung bombardiert und hatte schwere Verluste. Auf dem Platz stehen Flugzeuge in großer Zahl, eine Gruppe Me 110-Zerstörer vom Horst Wessel-Geschwader, die laufend Jagdbombereinsätze nach Sizilien fliegen, eine Gruppe italienischer Macchi 202-Achsenjäger
(italienische Zelle mit deutschem Motor) und eine Menge weiterer deutscher und italienischer Maschinen. Alle zwei Stunden gibt es Fliegeralarm und amerikanische zweimotorige Bomber, jedes Mal 30 bis 50 Flugzeuge greifen Neapel an. Die Me 110 und die Achsenjäger starten zur Abwehr, die Flak, die sehr zahlreich vertreten ist, bellt los und der deutsche Fliegerhorstkommandant setzt sich in seinen Storch
und schleicht sich im Tiefflug in die Berge, um sein kostbares Leben nicht in Gefahr zu bringen.
Bei jedem Angriff werden ein paar von den Amerikanern abgeschossen, auch von den Italienern, die sehr schneidig fliegen, aber es kommen einfach zu viele. Wir bleiben schließlich gleich neben den Splittergräben in der Sonne liegen, um nicht jedes Mal 400 m über das Rollfeld rennen zu müssen.
Endlich, am Nachmittag des nächsten Tages kommt eine Staffel Ju 52 für unsere Kompanie und wir rüsten die Maschinen im Eiltempo auf. Es gibt noch einige Verzögerungen, da der Staffelkapitän wenig Lust hat, mit so wenigen Flugzeugen (10) ohne Jagdschutz loszufliegen — wie sich nachher herausstellt, sehr zu Recht — doch schließlich lässt er sich überreden und wir starten, direkt über den kurz zuvor in Brand geworfenen Ölhafen hinweg. Man merkt in den Flugzeugen die Hitze sehr deutlich, denn wie bei allen Einsätzen üblich, sind die beiden mittleren Kabinenfenster und die Tür herausgenommen.
Wir gehen sofort in den Tiefflug, 5 bis 10 m über dem Wasser, und alles späht nach feindlichen Jägern aus, gegen die wir keine Chance haben. Wir haben Glück und bleiben ungeschoren. Das Kommando Fertigmachen
kommt, die sizilianische Nordküste ist in Sicht. Da jetzt Jäger im Anflug sein sollen, springen wir schon hier, an der Bucht von Milazzo. Die Maschinen ziehen hoch, drosseln die Motoren und schon blökt das Boschhorn neben der Tür. Ich bin Nr. 1 und stemme mit einiger Mühe die Bodenplatte unseres Werfers zur Tür hinaus und springe nach. Sowie mein Schirm sich geöffnet hat, sehe ich nach meinen anderen Leuten und erblicke gerade noch die letzten, die rücklings und kopfüber aus der Ju purzeln. Durch eine Fallbö und das anschließende Vollgasgeben des Kutschers
waren sie übereinander gefallen und so gut es dann eben ging, zur Tür herausgekommen. Trotzdem haben wir keinerlei Sprungverletzte.
Unsere Maschinen drehen sofort ab und nehmen Kurs Neapel. Leider soll keine Einzige dort ankommen, auf dem Rückfluge wird der Verband von amerikanischen Jägern angegriffen und restlos abgeschossen. Auch bei unserem Sprung gibt es einige Episoden. Unser Chef, Oblt. Gerken hatte als erster Mann seiner Maschine einen Fahrradbehälter abzuwerfen. Leider tat er dies aber bereits, als erst das Kommando Fertig zum Sprung
kam, d.h. noch über dem Meer. Sein Kompanietruppführer konnte wenigstens ihn selbst noch zurückhalten, sonst wäre er auch vorzeitig ausgestiegen und im Wasser gelandet.
Obj. Schmidt saust bei der Landung durch eine Hochspannungsleitung, die aber zum Glück stromlos ist, andere brechen durch das Dach einer Ziegelei. Ich selbst lande auf der oberen Kante einer hohen Böschung und komme erst nach fünf Rollen am Fuße der Böschung in einem Weinfeld zum Stehen.
Wir sind weit im eigenen Gebiet abgesetzt worden. Kaum sind wir am Boden, da kommt die italienische männliche Bevölkerung, bewaffnet mit altertümlichen Schrotflinten, angerückt, um uns die Gewissensfrage zu stellen: Tedeschi or Americani?
. Nachdem wir versichert haben, dass wir Tedeschi
sind, beruhigen sich die aufgeregten Gemüter, die Flinten verschwinden und an ihrer Stelle erscheinen Weingläser, Trauben und Melonen. Die Bevölkerung erweist sich auch sehr hilfsbereit beim Bergen unserer Schirme und Waffenbehälter. Sogar der Fahrradbehälter, den Oblt. Gerken in seiner Begeisterung zu früh abgeworfen hatte, wird von einer Suchexpedition, die mit einigen Italienern und einem Esel loszieht, gefunden. Leider sind uns zwei Nachrichten- und ein Munitionsbehälter abgeschmiert, d.h. ihre Fallschirme haben sich nicht geöffnet. Glücklicherweise sind die Werfergranaten in dem Muni-Behälter nicht explodiert. Ofw. Bourens sprengt sie am nächsten Tage, wobei der gewaltige Knall die ganze Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt, die laut alle Heiligen um Schutz und Hilfe anruft.
Es sieht fast so aus, als sollten wir hier an der Nordküste von Sizilien die faulen Tage von Marignane fortsetzen, denn die LKW's, die uns an die Front nach Catania bringen sollen, sind nicht da. Nachts schlafen wir in unsere Schirme eingerollt, weich und warm, tagsüber baden wir oder liegen am Strand, ein wahres Faulenzerleben!
Endlich, es ist inzwischen der 20. Juli, treffen die LKW's ein, wir verladen unser Gerät, sitzen auf und die Fahrt zur Front beginnt. Es geht über Messina und Taormina nach Catania. Messina ist völlig zerbombt, doch sonst ist in der malerischen Landschaft entlang der Küstenstraße kaum etwas von Zerstörungen zu sehen. Die Straßen sind voll von italienischen Soldaten, die meisten ohne Waffen, dafür mit einem Köfferchen in der Hand, die in Richtung Messina ziehen. Auch italienische Artillerie treffen wir, die sich auf demselben Wege ins Hinterland verdrückt. Die Italiener betrachten offenbar den Krieg für sie als beendet. Am Nachmittag kommen wir schließlich in dem schwer bombardierten und von Schiffsartillerie zerschossenen Catania an. Wenige Kilometer südlich der Stadt sitzen wir ab und es geht zu Fuß weiter.
Ich gehe mit Ofw. Marzahn los, um eine Stellung zu erkunden. Der Zug geht in einem großen Obstgarten, links der Küstenstraße, in Stellung. Als unsere Werfer schließlich feuerbereit sind, ist es bereits Nacht geworden.
Am nächsten Morgen bezieht Ofw. Marzahn seine B-Stelle, während ich in die Schützenstellung am sogenannten Panzergraben gehe und dort eine VB-Stelle (Vorgeschobene Beobachtungsstelle) aufmache.
Ich richte mich beim Rgts.-Nachrichtenzug ein, der auch einen Frontabschnitt zu halten hat. Hier steht ein alter Wachtturm, von dem aus eine gute Beobachtung möglich ist.
Erhard Müller und unser Kompanietrupp sitzen einige hundert Meter links von mir, auch in der vordersten Schützenstellung. Erhard hat dort ein von den Italienern verlassenes Gebirgsgeschütz, das er ab und zu in Richtung Feind abfeuert. Die Stellung ist sehr stark durch Sturmgeschütze, 8,8-Flak und 7,5 Pak geschützt, außerdem durch den doppelten und panzersicheren Erdwall des Panzergrabens
, der in Wahrheit ein wasserloser Kanal ist.
Die britische Infanterie hat unsere Stellung bereits mehrere Male sehr schneidig angegriffen, sie war auch in die Stellung eingebrochen, schließlich jedoch völlig vernichtet worden. Zurzeit beschränken sich beide Seiten auf Späh- und Stoßtruppunternehmungen. Lediglich die britische Artillerie fällt uns sehr auf die Nerven, sie schießt auf jeden einzelnen Mann im Gelände mit der ganzen Abteilung, d.h. mehreren Batterien. Wir selbst haben keine Artillerie. Schließlich fallen uns jedoch zwei 15 cm-Nebelwerfer-Sechslinge zu, die von der Division Hermann Göring
in sehr exponierter Position stehengelassen worden waren. Nachdem es unserem tüchtigen W.u.G. (Waffen- und Geräte-Feldwebel), Ofw. Bourens gelungen ist, die dazugehörige Munition herbeizuschaffen, wird aus den noch vorhandenen Leuten unseres alten Do-Zuges
von 1940 und anderen ein Nebelwerferzug unter Fw. Ewert, unserem St.U. (Stellungsunteroffizier) aufgestellt. Statt Ewert wird Ofw. Schwan, allgemein Öfle
oder Schlaugenlerge
genannt, unser neuer St.U. Er ist hochbeglückt, der Kraftfahrerei entronnen zu sein, denn bisher war er unser Schirrmeister.
Das Schießen mit den Nebelwerfern, dem deutschen Gegenstück zur Stalinorgel, ist zunächst äußerst schwierig, da wir keine Schusstafeln haben. Trotzdem klappt es bald sehr gut. Oblt. Gerken und Ewert beobachten meist von einer Vorpostenstellung aus, die etwa 80 m vor dem Panzergraben liegt. Wir nennen das Gehöft das Torpedohaus, denn darin liegen etwa 50 Flugzeugtorpedos, eine reichlich unangenehme Nachbarschaft! Sie stammen offenbar noch aus der aktiven
Zeit des einst sehr wichtigen Flugplatzes Catania, der nur ungefähr 2 km entfernt ist.
Wir beschießen meist den britischen Nachschubverkehr, den wir gut beobachten können. Einmal erwische ich einen englischen Stoßtrupp, der sich in der Nacht im Straßengraben bis an unsere Stellung herangeschlichen hatte. Ein anderes Mal holen wir einen britischen Artillerieoffizier aus dem Buschwerk 30 m vor unserer Stellung, der dort schon drei Tage mit seinem Funkgerät gesessen hatte, um die feindliche Artillerie einzuschießen.
Vorübergehend werde ich mit Scheurer, meinem Fernsprecher, an unseren linken Flügel geschickt, um uns auf Ziele vor dieser Stellung einzuschießen. Dort, direkt an der Küste, liegt noch eine italienische Kompanie.
Die Engländer verhalten sich äußerst anständig. Sowie unsere Sanitäter mit der Rote-Kreuz-Flagge in das Vorfeld gehen, um Verwundete zu bergen, wird sofort jedes Feuer auf diesen Abschnitt eingestellt. Da wir Schwierigkeiten haben, unsere inzwischen gemachten britischen Gefangenen zum Festland zurückzubefördern, schickt unser Kommandeur, Major Eggers, die gehfähigen Verwundeten unter ihnen mit einem kurzen Begleitschreiben in ihre Stellung zurück. Der britische Kommandeur revanchiert sich darauf sofort auf gleiche Weise.
Das VB-Dasein ist recht angenehm, da bei unserem Mangel an schweren Waffen der vorgeschobene Beobachter eine sehr geschätzte und von allen Kompanieführern mit Obst, Schokolade und Zigaretten verwöhnte Person ist. Unsere Verpflegung ist auch sonst erstklassig, da die Bestände der großen Luftwaffen-Verpflegungslager geräumt werden. Es gibt Ölsardinen, Kalbsragout, Butter, Obst, alles in Büchsen, jeden Tag Schoka-Kola usw.
Leider währt mein Aufenthalt in dieser Stellung nicht lange, denn Ofw. Marzahn hat weiter hinten ein Haus entdeckt, von dem aus eine gleich gute Beobachtung bei viel kürzerer Fernsprechleitung möglich ist. Außerdem befindet sich in diesem Haus ein großer Weinkeller. Wir bauen unser Scherenfernrohr im ersten Stockwerk auf und sitzen abwechselnd den ganzen Tag dahinter. Unser normaler Anzug besteht aus einem großen Strohhut, Marke Wagenrad, seidenem Halstuch, kurzer Hose und Sandalen.
Schließlich merkt der Tommy etwas von unseren Aktivitäten und beginnt, uns mit einer schweren Flak zu beschießen. Mit seiner Schießkunst ist es jedoch nicht weit her. Nach einer halben Stunde pausenlosen Feuerns hat er uns ganze zwei Treffer ins Haus gesetzt, dann hört die Beschießung auf. Wir haben keine Ausfälle.
Ich werde beauftragt, für den Fall eines Zurückgehens eine zweite Feuerstellung am Südrand von Catania zu erkunden und später, sie mit Leuten des zweiten Bataillons auszubauen. (Unser 2. Btl. ist erst jetzt eingetroffen, es wurde aus He 111 während eines Jägerangriffes abgesetzt). So habe ich das Vergnügen, jeden Morgen die drei Kilometer zurück-, und am Abend wieder vorzumarschieren, meist bei ziemlich starkem Artilleriefeuer auf die Straße, besonders in der Nähe unseres Nebelwerferzuges. Dieser Zug liegt in der Nähe einer von ihrer Bedienung verlassenen italienischen 15 cm-Küstenbatterie,deren uralte Kanonen, ca. Modell 1880, ohne Verschlüsse sind. Munition ist dagegen genügend in Betonbunkern vorhanden. Als nach einigem Suchen auch die Verschlüsse im Sande, in dem die Italiener sie vergraben hatten, gefunden werden, basteln einige unserer Leute so lange herum, bis sie mit zwei Geschützen das Feuer in Allgemeiner Richtung Feind
eröffnen können. Vorsichtshalber wird mit einer 30 m langen Leine von einem Bunker aus abgezogen. Das geht solange, bis eines Tages die abgängige Bedienungsmannschaft der Batterie wieder auftaucht, sehr gegen ihren Willen von ihrem Capitano
mit Flüchen und Drohungen angetrieben, und mit vier Zugmaschinen die Donnerbüchsen abfahren, sicherlich nur, um sie weiter hinten endgültig stehen zu lassen.
Unser Jupp Bourens hat inzwischen sogar einen Schützenpanzer organisiert
, ebenfalls, wie unsere Nebelwerfer, von der Division Hermann Göring. Sie wird von uns nur Hermann Tengelmann
genannt, nach dem Werbespruch In jedem Dorf eine Niederlage
. (Wohl nicht sehr fair von uns, denn diese Division hat bei der amerikanischen Landung bei Gela sehr schwer geblutet und sich nie mehr richtig erholt). Der Panzer bewährt sich als Munitionsfahrzeug so gut, dass er mitsamt unserem Jupp selbst, von unserem Kommandeur, Major Eggers, zum Btl.-Stab abkommandiert wird.
Der Engländer zeigt keine Neigung, den Panzergraben nochmals anzugreifen. Trotzdem muss das FJR 4 zurückgehen. Da nördlich von uns die Amerikaner und die Briten durchgebrochen sind, besteht für unseren Südabschnitt die Gefahr, abgeschnitten zu werden.
Das Regiment soll bei San Gregorio, auf den Höhen nördlich Catania neue Stellungen beziehen, während zwei Kompanien, unterstützt von unserem Nebelwerferzuge, unserem Zuge, einigen Panzerabwehrgeschützen der 14./4 unter Oblt. Kronberger, Schmeling
genannt, und vier Sturmgeschützen eine Nachhutstellung am Südrand von Catania beziehen. Unser Auftrag ist, diese Stellung 24 Stunden zu halten.
Die B-Stellen unserer beiden Züge der 13./4 richten sich nebeneinander am Südrande des schwer von Bomben und Schiffsartillerie verwüsteten Friedhofes von Catania ein. Unser 10-cm-Zug geht nördlich von uns in einer tiefen Mulde hinter dem Friedhof in Stellung.
Die wenigen Leute unserer Schützenkompanien nisten sich entlang der Hecken und Mauern des Stadtrandes ein, die Pak geht an der Straße hinter der ersten Biegung in Stellung, die Sturmgeschütze noch weiter dahinter.
Die Nacht vergeht ruhig, der Tommy weiß noch nicht, wo wir stecken. Wir benutzen die Zeit, um unsere B-Stelle mit Marmorplatten und ähnlichem zu panzern. Der Friedhof bietet ein schauerliches Bild. Überall liegen und hängen die von den Einschlägen aufgerissenen Metallsärge aus den Hunderten von Mausoleen, mit den Leichen in allen Stadien der Verwesung. Der Geruch ist unbeschreiblich.