Meine Kriegserlebnisse 1940 - 1945
Kapitel 23
November 1944, hohe Verluste
Im November 1944 wird aus der schwachen Kampfgruppe in Bataillonsstärke, zu der das Regiment infolge der hohen Verluste in der Adriaschlacht zusammengeschrumpft war, wieder das FJR 4 unter Major Günther mit einem neu aufgestellten III. Btl. und bezieht neue Stellungen vor dem Monte Grande, einem 600 m hohen Berg im Apennin. Auch die 13. zieht um, der Kp.-Gef.-Stand, der Do-Zug und der 12-cm-Zug, den ich wieder führe, in das Quadernatal, der 10-cm- und der 8-cm-Zug etwas südostwärts von uns. Den Do-Zug mit zwei 15 cm-Nebelwerfer-Sechslingen führt nach wie vor Ewert, der inzwischen Oberfähnrich geworden ist, den 10-cm-Zug mit drei Granatwerfern Heini Wagener und den 8-cm-Zug mit drei italienischen 8-cm-Werfern Paul Sewczyk.
Der Kompaniegefechtsstand kommt in einen steilen Hinterhang, in den die Italiener bombensichere Stollen getrieben haben. Ich mache nebenbei auch noch Kp.-Trupp-Führer, was kein Problem ist, denn der 12-cm-Zug ist ganz nahe.
Am 29.11. nimmt die 6. Kompanie unter Fw. Donth eine wichtige Höhe, den Monte Castellaro und Ca di Co, ein paar links davor liegende Häuser, die den Engländern, die sie in Btl.-Stärke besetzt hielten, in einem nächtlichen Stoßtruppunternehmen nach hartem Kampf entrissen werden. Dabei werden etwa 50 Gefangene gemacht, darunter drei Offiziere. Die eigenen Verluste: drei Gefallene und sieben Verwundete.
Auch die 7. Kompanie unter Lt. E. A. Mayer kann in der folgenden Nacht zwei vom Feind besetzte Höhen erstürmen und so unseren Frontverlauf deutlich verbessern.
Kurz danach wird das II. Bataillon vom neuen III. Bataillon abgelöst und es ist wieder mein Los, VB zu spielen. Ich ziehe also mit meinem Trupp los, vorbei an unserem 10 cm-Zug, dann auf schlammigen und beschwerlichen Bergpfaden bis zu der neu eroberten Häusergruppe Ca di Co, die mit ihrem Anmarschweg unter starkem Artilleriefeuer liegt. Am nächsten Tage ziehen wir ein paar hundert Meter weiter in einen Stollen am Hinterhang, direkt unter der Kuppe des Monte Castellaro. Die VB-Stelle ist am Vorderhang.
Unser Stollen ist zwar sicher, aber recht ungemütlich. Nachts wird es jetzt schon empfindlich kalt und unsere Haustür
besteht nur aus einer alten Decke. Wir haben zwar einen selbstgebastelten Ofen, aber abgesehen davon, dass er nur wenig wärmt, können wir ihn nur nach Anbruch der Dunkelheit in Betrieb setzen, um unseren Bunker nicht zu verraten. Mit mir sind noch Fw. Berger, Pfennigsdorf und ein Melder.
Die Stellung wird jetzt von der 11. Kp. unter Lt. Hering gehalten.
Hier, am Monte Castellaro, treffe ich auch zur beiderseitigen Freude Lt. Hickmann, der jetzt bei einer anderen Kompanie ist und bald versetzt werden soll.
Hier feiern wir auch Weihnachten und Neujahr, zwar primitiv und kalt, doch von unserer Kompanie, wie gewohnt, gut mit Verpflegung und Getränken versorgt. Sogar einen Miniatur-Weihnachtsbaum hat man uns heraufgeschickt. Die britische Artillerie schießt uns in Propagandagranaten Festtagsgrüße auf Flugblättern und wir revanchieren uns in ähnlicher Form.
Die Silvesternacht 1944/45 bietet dann ein unvergessliches Schauspiel. Genau um Mitternacht fängt alles, was Leucht- oder Leuchtspurmunition schießen kann, an, wild in die Luft zu ballern. Flak, Artillerie, MGs und Leuchtpistolen zaubern ein eindrucksvolles Feuerwerk in den Himmel.
Mitte Januar führt die 11. Kp. ein Stoßtruppunternehmen durch, bei dem Fw. Hübner mit 16 Mann bei Nacht bis zum Montecalderaro vorstoßen und, wenn möglich, Gefangene zurückbringen soll. Ich soll dabei auf eine rote Leuchtkugel des Stoßtruppführers mit unseren Granatwerfern dem Trupp beim Absetzen Feuerschutz geben.
Bei der Einsatzbesprechung im Kp.-Gef.-Stand der 11., der etwa 100 m unter unserem Stollen liegt, ist der noch relativ unerfahrene Kp.-Führer Lt. Hering sichtlich skeptisch über mein Vermögen, seinen Stoßtrupp wirksam zu unterstützen, obwohl ich dazu für unsere damaligen Verhältnisse ziemlich viel 8-cm- und 10-cm-Munition zur Verfügung bekommen habe. Mein Auftrag ist, die feindlichen MGs 10 Minuten lang niederzuhalten. Ich kann ihm seine Skepsis nicht übelnehmen, wir kennen uns nicht und er sieht in mir nur ein dreiundzwanzigjähriges Milchgesicht, bekleidet mit einer olivgrünen italienischen Offizierswindjacke ohne Abzeichen und einem sehr schönen, aber nicht ganz vorschriftsmäßigen italienischen Offizierskoppel.
Ich schieße mich also vorher sorgfältig, aber sparsam, ein und schicke unseren beiden beteiligten Zügen schriftlich die etwas komplizierten Feuerbefehle.
Als der Stoßtrupp dann, im dichten Nebel seine rote Leuchtkugel schießt, braucht unser Funker nur noch F, F, F
für Feuern! durchgeben und der ganze Zauber läuft ab, wie ein Uhrwerk.
Das Unternehmen ist ein voller Erfolg, der Stoßtrupp kommt mit einem Gefangenen zurück und nicht ein einziges der gegnerischen MGs kommt in unserem genau liegenden Feuer zum Schießen. Lt. Hering bedankt sich anschließend vielmals bei mir und die 13. wird im Rgts.-Befehl ausdrücklich gelobt.
Im Februar werde ich dann mit meinem Trupp auf der VB-Stelle abgelöst und darf anschließend für zwei Wochen in unser Erholungsheim in San Martino di Castrozza in den Dolomiten fahren.
In diesem schönen Wintersportort ist das größte Hotel Grande Albergo delle Alpi
von unserer Division mit allem Personal übernommen worden und bietet so denjenigen, die das Glück haben, dorthin geschickt zu werden, Erholung und die Möglichkeit, ausgiebig Ski zu laufen, was ich, meist zusammen mit Fw. Müller, auch vom 4. Rgt. ausgiebig ausnutze. Es ist eine schöne Zeit. Leider geht sie schnell zu Ende und ich fahre wieder an die Front.
Die 13. liegt noch immer im Quadernatal. Es ist relativ ruhig geworden, der Winter beherrscht noch immer das Geschehen. Leider ist während meiner Abwesenheit mein Stellvertreter, Fw. Kollek, ein feiner Kamerad, gefallen. Er saß im Bunker in dem Lehnstuhl, der normalerweise mein Stammplatz war, als ein Feuerüberfall auf die 12-cm-Stellung erfolgte, bei dem Granaten mit Zündern verwendet wurden, die 10-20 m über dem Boden krepierten. (Mit normalen Aufschlagzündern war die Stellung kaum zu treffen, da sie an einem ziemlich steilen Hinterhang lag). Ein Splitter kam durch den Eingang und verwundete Kollek tödlich.
Von Jabos werden wir hier dagegen kaum behelligt, wahrscheinlich können sie uns in dem bergigen Gelände nicht ausmachen. Zwei bis drei Kilometer weiter hinten, wo unsere Artillerie steht, sind sie jedoch sehr aktiv, was wir sehr gut beobachten können. Aber auch dabei ist das Geben und Nehmen nicht immer nur einseitig. Dort steht auch eine Batterie unserer Fallschirmflak, drei 2 cm-Vierlinge und als eines Tages eine Staffel amerikanischer Thunderbolt-Jagdbomber diese lästigen Störenfriede angreift, um sie endgültig auszuschalten, sehen wir ein Flak-Präzisionsschießen, wie wir es noch nie erlebt haben. Die sechs Jabos kippten nacheinander zum Angriff ab und stürzten in einer langen Reihe auf ihr Ziel, wie üblich, aus allen MGs feuernd. Die Flak schoss zurück und traf nacheinander die vier ersten Maschinen, die alle ungespitzt in den Boden rauschen. Die beiden letzten lassen ihre Bomben ungezielt fallen und suchen das Weite.
Im März heißt es dann wieder Stellungswechsel, eine neue Offensive der Alliierten kündigt sich an, die dann auch im April beginnt. Ich bin bei meinem Zuge, aber wir können nur noch im Notfall schießen, der Munitionsnachschub ist praktisch zusammengebrochen, ebenso die Kraftstoffversorgung, eine Folge der gezielten alliierten Luftangriffe gegen unsere Nachschubwege.
Schritt um Schritt geht es wieder zurück, die feindliche Überlegenheit am Boden und in der Luft ist erdrückend.
In Imola, wo wir kurze Zeit sind, treffe ich zufällig meinen Skipartner von San Martino, Fw. Müller, der bei unserem Rgts.-Stab ist. Wir beschließen, uns trotz des Artilleriefeuers die Stadt anzusehen. Wir sind am Südostufer des Santerno in einer Villenvorstadt und müssen, um in die Stadt zu gelangen, den Fluss auf einer massiven alten steinernen Bogenbrücke überqueren. Da die Brücke, die vielleicht 2-300 m lang ist, unter schwerem Beschuss liegt, warten wir erst einmal im Keller eines Hauses, bis die britischen Kanoniere eine Teepause einlegen. Als dann fünf Minuten lang kein Schuss fällt, laufen wir los. Wir sind gerade an unserem Ende der Brücke, da kommt doch wieder eine Salve herangerauscht. Sie trifft ausgerechnet den Mittelpfeiler, wo schon eine Sprengladung für die Brückensprengung eingebaut war. Die ganze Brücke fliegt unter Donnergetöse in die Luft und uns um die Ohren. Wir haben Glück, dass wir von keinem der tonnenschweren Trümmer getroffen werden. Der Stadtbesuch findet trotzdem statt, allerdings müssen wir durch den ziemlich seichten Fluss waten.
Dann kommt der große Rückzug von Kanal zu Kanal, unsere LKWs bleiben aus Kraftstoffmangel stehen und wir müssen unsere Werfer mit Ochsengespannen bewegen. Dabei gibt es einmal eine unfreiwillige Lacheinlage, als unsere Landser aus Versehen versuchen, auch einen Stier einzuspannen.
Einer meiner Werfer wird durch Artillerietreffer schwer beschädigt und ich schicke die Bedienung mit dem Werfer zum Tross nach hinten. Leider ist, uns allen unbekannt, der Gegner links von uns durchgebrochen, der kleine Trupp gerät in einen Hinterhalt und wird, einschließlich der Verwundeten von den Polen (Teil der britischen 8. Armee) erschossen. Nur ein Mann, der sich im Straßengraben tot stellt, entkommt und berichtet den Vorfall.
Die polnischen Einheiten sind auch sonst als blutrünstige Killer verschrien, sie haben z.B. auf einem Verbandsplatz, der ihnen in die Hände fiel, alle Verwundeten, Arzt und Pflegepersonal massakriert.
Der Rückzug geht weiter, wir kommen durch Pieve di Cento, die einzelnen Kompanien sind meist schon in kleine Gruppen auseinandergerissen.
An der Panarobrücke bei Finale dann eine chaotische Nachtaktion, bei der niemand so richtig weiß, wo der Feind und wo die eigenen Truppen stehen.
Am Po wird nochmals eine Auffangstellung bezogen. Unsere noch vorhandenen Fahrzeuge und Werfer sind schon vor ein paar Tagen mit Hptm. Marzahn über den Fluss gesetzt, wir, d.h. der Rest meines Zuges sind mit dem I. Btl. noch am Südufer bei Felonica. Das Bataillon bildet die Nachhut, für uns sollen noch zwei Fähren bereitgehalten werden. Als wir dann, schon im Morgengrauen am Ufer ankommen, ist jedoch eine der Fähren von Jabos zerstört, die andere von unseren Pionieren bereits gesprengt worden. Wir müssen also alle schwimmen, einschließlich des Kommandeurs, Major Pade, von dem ich nachher, vor Kälte klappernd meinen gewohnten Schnaps bekomme. Der Po führt jetzt vorwiegend Schmelzwasser aus den Alpen und ist eisig kalt.
Wir heben an den Häusern am Ufer Fensterläden und Türen aus, um darauf unsere Kleidung und unsere leichten Waffen zu befördern. Es ist ein dramatisches Bild, der Fluss voller schwimmender Soldaten, darüber die immer wieder angreifenden Jabos und an beiden Ufern die nackten (bis auf den Stahlhelm) Fallschirmjäger, die mit Karabinern und MGs auf die Flieger feuern. Es wird tatsächlich einer abgeschossen. Der Pilot kann sich mit dem Fallschirm retten, hat aber das Pech, auf dem Südufer zu landen. Er muss mit uns schwimmen, da wir kein vornehmeres Transportmittel haben und flucht fürchterlich.
Dann geht es weiter nach Legnago und Vicenza. In Citadella beginnen alle Glocken zu läuten, als wir in die Stadt kommen. Man verwechselt uns in unseren grünen Uniformen und den Fallschirm-Springerhelmen offenbar mit den Amerikanern. Dann werden wir jedoch, wir sind noch etwa 20 Mann, von den Partisanen, welche die Stadt besetzt hatten, aufgefordert, uns zu ergeben. Da die Herren aber ziemlich feige waren und sich offensichtlich mehr vor uns fürchten, als wir uns vor ihnen, kommen wir wieder heil aus der Falle heraus.
Dann wieder ein Fluss. Die Brenta bei Bassano, brusttief, kalt und reißend. Wir bilden eine Kette, ein Einzelner kann sich bei dieser Strömung kaum auf den Beinen halten. Es ist Nacht.
Wir kommen schließlich nach Primolano, schon in den Bergen der Dolomiten. Wir haben Glück und haben ein leichtes Kutschwägelchen gefunden
, in dem wir nordwärts fahren. Am anderen Ufer der Brenta, aber tiefer, verläuft auch eine Straße, auf der die amerikanischen Panzer rollen. Jedes Mal, wenn wir in einer Straßenbiegung wieder sichtbar werden, versuchen sie uns zu treffen, glücklicherweise vergeblich. Es geht immer weiter in die Berge, bis wir endlich in San Martino di Castrozza seligen Angedenkens landen. Dort lese ich noch Paul Sörgel, unseren alten Sanitäter, auf, der mir über den Weg läuft. Der Rest unserer Kompanie zieht weiter nach Norden, ich bleibe mit Paul noch bis zum nächsten Morgen in San Martino, denn die erheblichen Mengen an Marketenderwaren, die zum Bestand unseres Erholungsheims gehörten, sollen dann verteilt werden.
Am Vormittage laden wir also einen zweirädrigen Mulikarren nebst dazugehörigem Muli mit Rauchwaren, Getränken und sonstigen Kostbarkeiten voll und machen uns auf den Weg, Richtung Rollo-Pass. Die Straße ist steil und schlecht und schließlich, es ist schon Abend, müssen wir uns von unserem Gefährt trennen. Die Durchfahrt ist mit liegengebliebenen Fahrzeugen blockiert und wir kommen nicht vorbei. Wir funktionieren also unser Muli zum Packesel um und laden ihm unsere Ladung, unser weniges Gepäck und unsere schweren Waffen
, eine Panzerfaust, auf den Rücken. So ziehen wir dann mutterseelenallein bei Nacht über den Rollopass (1970 m hoch). Dabei vertreiben wir uns die Zeit durch lauten, wenn auch vielleicht nicht sehr schönen Gesang.
Am Morgen kommen wir dann müde, aber wohlbehalten in Predazzo, einem kleinen Städtchen an, wo der Rest unserer Einheiten in der leeren SS-Kaserne Quartier bezogen hat. Von den Partisanen, die angeblich die Passstraße unsicher machen sollten, hatten wir nichts bemerkt. Vielleicht hatte unser Gesang sie vertrieben. In Predazzo erreicht uns dann die Nachricht von der Kapitulation. Hier liegt nur etwa die Hälfte dessen, was von unserer Division noch übrig geblieben ist, die andere Hälfte hat die westliche Route genommen und ist im Raume von Trient gelandet.
Am 30.4.45 bin ich dann noch Oberfeldwebel geworden.