Jungmädel in der Hitlerjugend
Wie konnte es geschehen, dass ich begeisterte Jungmädelführerin in der Hitlerjugend war? Wenn ich mit gleichaltrigen Menschen Erinnerungen austausche, so hat jeder die Nazizeit anders erlebt, je nach dem in welcher Gegend und in welcher Familie er aufgewachsen ist, ob er ein Stadt- oder Landkind war, welche Nationalsozialisten oder welche Juden er kennenlernte.
Meine Familie hat Hitler allzu sehr und blind vertraut. Oma, Mutter und Tanten kamen aus einer deutschnationalen, kaisertreuen Tradition. Seit Generationen waren die Vorfahren höhere Beamte gewesen und hatten die alte preußische Beamtenethik gelebt: Du lebst nicht für dich selbst, sondern für die Allgemeinheit, für dein Volk und Vaterland, bist deinem Staat zu Treue und Gehorsam verpflichtet. Dafür sorgt der Staat für dein und deiner Familie Leben mit Unterhalt und einen angemessenen Lebensstil durch Gehalt, Pension und eventuell Beihilfen. Für Geld zu arbeiten, galt als erniedrigend. Das hatte ich schon als Kind begriffen. Ich erinnere mich, dass mein wesentlich älterer Vetter Kurt mich einmal bat, für ihn etwas einzukaufen. Als ich ihm ein paar Groschen Wechselgeld zurückgab, sagte er: Die kannst du behalten fürs Einkaufen.
Da warf ich ihm die Groschen vor die Füße: Ich bin nicht dein Dienstmädchen!
Zur Beamtenethik gehörte auch Ordnung und Pünktlichkeit, Unbestechlichkeit und absolute Korrektheit in Gelddingen, Zuverlässigkeit und Abscheu gegen jede Lüge, Verantwortungsbewusstsein und Treue im christlichen Glauben, Respekt gegenüber der Obrigkeit und Gerechtigkeit, Hilfsbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein gegenüber Untergebenen. Alle diese Tugenden wurden mir als Idealbild aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg erzählt und in der Familie noch gelebt. Einen Bruch hatte es 1918 gegeben: Der Krieg war verloren, der Kaiser musste abdanken [1]Kaiser Wilhelm II. wurde am am 9. November 1918 von Reichskanzler Max von Baden für abgesetzt
erklärt und floh ins holländische Doorn, Haus Doorn in der niederländischen Gemeinde Utrechtse Heuvelrug ins Exil. Er starb 1941 im Alter von 82 Jahren, ohne jemals wieder deutschen Boden betreten zu haben. Erst dort dankte er am 28. November formell ab. Seiner Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs hat er sich nie gestellt, ebenso wenig wie seine Generäle Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff. und fliehen, Deutschland wurde von den Feinden ausgeraubt [2]Eine Legende, um sich vor Reparationszahlungen, wie sie der Vertrag von Versailles vorsah, zu drücken. Statt dessen verbreiteten sie die Dolchstoßlegende
, die sich Hitler zunutze machte. Tatsächlich reichten die 20 Mrd. Goldmark, die Deutschland nach dem Vertrag von Versailles zu zahlen hatte bei Weitem nicht aus, um die in Belgien und Frankreich angerichteten Kriegsschäden zu beseitigen. Frankreich hat einen großen Teil der Schäden mit eigenen Krediten bezahlen müssen. Hätte Deutschland damals seine Kriegsschuld anerkannt, wäre den Menschen aller Wahrscheinlichkeit ein Zweiter Weltkrieg erspart geblieben. und erniedrigt. Es folgten Jahre der Unordnung, Inflation und Geldentwertung, Arbeitslosigkeit und Elend in den sozial nicht abgesicherten Familien. Und die Regierung? Ein Haufen pöbelhaft zankender Parteien! Kein Wunder, waren sie doch vom Pöbel gewählt worden. Trotzdem hatte man sich natürlich loyal gegenüber jeder Regierung zu verhalten. Aber der Wunsch nach einem starken Mann, der endlich wieder Ordnung schaffte, war da.
Gesprochen wurde in der Familie allerdings kaum über die politische Lage. Politik ist Sache der Männer, Frauen haben sich um die Familie zu kümmern!
So waren sie erzogen, so lebten sie bis zum Zweiten Weltkrieg. Der starke Mann
kam: Hitler. Oma sah in ihm wohl so etwas wie einen Nachfolger des Kaisers. Wenn der Führer
sprach, stellte sie ihren kleinen Radioapparat an, und wir Kinder mussten still sein. Ich fand diese Reden so langweilig, dass ich mich verzog. Dass Oma sie sehr interessant fand, kann ich mir auch nicht denken. Aber es war eben der Führer
, von dem es hieß, die Vorsehung
[3]Die Vokabel gehört zum Wortschatz und zur Ideenwelt Goebbels, der sie zu einem Werkzeug göttlicher Vorsehung machte. Hitler sprach in diesem Zusammenhang von Schicksal
. Propagandaminister Goebbels wusste genau, wie man Legenden in die Welt setzt. habe ihn und als Retter des Vaterlandes gesandt. Das musste doch so etwas wie der Kaiser von Gottes Gnaden
sein. Tante Erna war schon deshalb für Hitler, weil ihr Sohn Ingo sich der SA angeschlossen hatte. Sie war nur in Sorge, dass die bösen Kommunisten ihm was tun könnten. Er war nämlich in der Ausbildung in Berlin, und da gab es öfter Schlägereien.
Tante Meleins Sohn Kurt war in der Reichswehr, der kleinen militärischen Truppe, welche die Siegermächte von 1918 Deutschland noch zugestanden. Ohne Soldaten konnte man sich keinen Staat vorstellen. Ohne Soldaten war ein Land wehrlos und damit ehrlos. Mutter meinte, Hitler müsse doch ein guter Mann sein, weil ihm der sehr verehrte Hindenburg die Macht übertragen hätte. In unserer Stube hing immer ein Bild, auf dem Hindenburg Hitler 1933 die Hand reicht, und Hitler nimmt diesen Handschlag mit demütiger Gebärde wie einen Segen entgegen. Das Buch Mein Kampf
hat keine von ihnen gelesen, auch ich später nicht. Sigrid hat es angefangen, aber als langweilig nach den ersten Seiten wieder weggelegt. In jeder Familie gab es das Buch, wie die Bibel, aber ich habe die ganze Hitlerzeit über niemanden gekannt, der es gelesen hätte.
Ich selbst war vier Jahre alt, als Hitler an die Macht kam und habe davon noch nichts mitbekommen. Das erste, an das ich mich außer an das Schweigegebot bei Hitlerreden erinnere, ist die Wahl im Saarland. Das hatte Frankreich 1918 wegen seiner reichen Bodenschätze annektiert, aber Hitler hatte eine Volksabstimmung durchgesetzt, bei der die Menschen trotz Repressalien der Besatzer mit großer Mehrheit für die Rückkehr nach Deutschland stimmten. Das gab große Begeisterung im ganzen Land. Überall wurde gesungen: Deutsch ist die Saar, deutsch immerdar …
, das beeindruckte mich sehr. In der Volksschule erinnere ich mich nicht an politische Beeinflussung. Natürlich lernten wir die Lieder: Die Fahne hoch …
und Deutschland, Deutschland über alles …
. Ich habe das aber nie als Weltmachtanspruch empfunden, sondern als Bekenntnis, dass mir Deutschland über alles geht.
Die großen Mädchen, so auch Sigrid, waren mit zehn Jahren in den Jungmädelbund gekommen, trugen eine weiße Bluse und einen dunkelblauen Rock, dazu einen schwarzen Schlips mit braunem Lederknoten und eine braune Jacke. Das war die Kluft
, und ich beneidete sie sehr, dass sie die schon tragen durften. Für uns Kleine, die wir noch nicht in den Jungmädelbund aufgenommen werden konnten, gründete die Leiterin des Kindererholungsheimes, Schwester Elfriede, die Kükengruppe
, in der wir Kinderlieder sangen und Kreisspiele machten. Das war ein Trost. Mit zehn Jahren kamen wir zu den richtigen Jungmädeln, und nach einem halben Jahr Bewährung wurde in einem feierlichen Akt Schlips und Knoten verliehen.
Feierliche Akte wie Fahnenweihe, Morgenfeier am Waldrand mit Begrüßung der Sonne und mehr beeindruckten mich sehr, und ich ging jeden Mittwoch und Sonnabendnachmittag gern zum Dienst
. Was haben wir da alles Schönes gemacht! Viel Sport, Geländespiele im Schurfberg und sogar, trotz der gefährlichen Löcher, im Iberg, Bastelnachmittage und viel Singen: Scherzlieder, Volkslieder, Weihelieder, oft zwei- oder dreistimmig. Wir Harzer sind ein sangesfreudiges Volk, und wir Grundner gewannen immer Preise bei Singwettbewerben des Kreises Zellerfeld. Wir wanderten und beobachteten die Natur und übten Stegreif-Märchenspiele und Scherzszenen für Elternabende ein.
Ein Problem gab es aber für mich bei dem allen, ich war ein zartes, ängstliches Kind und nicht hart im Nehmen, wie ein Jungmädel sein sollte. Wer Angst hatte oder Heimweh, wer weinte, war eine Memme und wurde ausgelacht. Davor hatte ich noch mehr Angst als vor allem Anderen. Also lernte ich, die Zähne zusammenzubeißen und mir nichts anmerken zu lassen. Das war natürlich besonders schwierig im Lager, aber mit elf Jahren wollte ich doch unbedingt mit nach Spiekeroog. Sigrid war schon im vorigen Jahr mit in Travemünde gewesen, und von den Fahrschülern fuhren die Meisten mit. Nur mich wollte Mutter nicht mitlassen: Du isst nicht ordentlich und kannst schon zu Hause abends nicht einschlafen. Wie willst du die vierzehn Tage dort aushalten?
Aber ich bettelte und flehte, bis Mutter sagte: Na ja, Sigrid fährt ja auch mit und kann ein bisschen auf dich aufpassen. Dann meinetwegen.
Die Erinnerungen an Spiekeroog sind gemischt. Wir waren eine große Schar elf vierzehnjähriger Mädel unter der Leitung einer kaum zwanzigjährigen Führerin, und es herrschte eine straffe Zucht: Morgens antreten zur Fahnenhissung, Dauerlauf durch die Dünen, Waschen mit kaltem Wasser, aber auch viel Baden, Sandburgen bauen, Singen, Spielen, Naturbeobachtungen, Wanderungen. Mittags gab es eine längere freie Zeit. Da durften wir machen, was wir wollten, uns nur nicht mehr als 50 Schritt vom Gelände der Jugendherberge entfernen.
Diese 50 Schritt hielten wir ohne Aufsicht genau ein, maßen sie aus und warfen uns da in den Dünensand, schwatzten oder schrieben nach Haus. Abends um 9 Uhr wurde die Fahne niedergeholt. Ich war es gewohnt, von Mutter um 7 Uhr ins Bett gebracht zu werden und fiel vor Müdigkeit fast um, während ich krampfhaft den Arm zum Fahnengruß ausgestreckt hielt und mitsang: Wir holen die Fahne nieder, sie geht mit uns zur Ruh, und morgen geht sie wieder neuen Kämpfen zu.
Mir war nicht nach Kämpfen. Wenn ich dann im Bett lag, konnte ich nicht schlafen und tappte zum Spind, um mir Baldrianperlen zu holen, was die Führerin gar nicht gern sah. Sigrid schlief nicht mit in der Jugendherberge, sondern mit Anderen vor dem Haus in einem großen Zelt, weil die Schlafsäle nicht ausreichten. Ach, wie gern hätte ich auch im Zelt geschlafen! Es wurde ja manchmal gewechselt, aber die Führerin sagte: Du? Du schläfst ja nicht mal im Haus!
Das traf meine Seele so tief, dass ich von nun an abends einschlafen konnte und die letzten Tage wirklich noch ins Zelt durfte.
Mit dem Essen war es auch ein Problem. Zu Hause plagte mich Mutter so sehr, ich sei zu dünn und müsse mehr essen, dass mir vor jeder Mahlzeit graute. Hier kümmerte sich kein Mensch darum, ob ich überhaupt was aß, und siehe da, es schmeckte mir. Mutter war ganz erstaunt, als wir nach Hause kamen und ich wie ein normales Kind essen und einschlafen konnte. Das macht die gute Seeluft!
sagte sie. Dass ich in den vierzehn Tagen in Spiekeroog schreckliches Heimweh gehabt hatte, hat keiner gemerkt, auch Mutter bei der Heimkehr nicht. Um ihr nicht gleich heulend um den Hals zu fallen, tat ich sehr abweisend, und sie sagte: Du hast dich ganz von mir abgewöhnt.
Wenn sie wüsste! Trotzdem wollte ich im nächsten Jahr wieder mitfahren. Leider fuhren Sigrid und die Freundinnen zur Station Goetheweg am Brocken, und ich konnte nicht mit, weil ich noch nicht Führeranwärterin
war, das heißt, vorgesehen, bald eine eigene Schaft zu leiten, was durchaus für zwölfjährige möglich war.
Eine Schaft bestand aus zehn bis fünfzehn Mädchen. Zwei oder drei Schaften bildeten eine Schar und zwei oder drei Scharen eine Gruppe. In der waren alle Grundner Mädchen zwischen zehn und vierzehn Jahren zusammengefasst. Die Gruppenführerin war meist nur fünfzehn bis siebzehn Jahre alt, hatte aber die Gruppe gut im Griff. Sie kriegte Arbeitsmaterial geliefert und beriet sich sonst mit den anderen Führerinnen. Ich musste leider lange warten, bis ich auch nur Führeranwärterin wurde; denn es war wohl deutlich, dass ich zu schüchtern war, um eine Schaft zu regieren. So musste ich mit zwölf Jahren noch ins Lager nach Altenau, wo es mir gar nicht gefiel, weil uns dort die Führerin regelrecht drillte. Schließlich bin ich dann doch noch Schaft- und auch Scharführerin geworden. Meine beste Freundin war damals Gruppenführerin, und wir haben uns viel Schönes für die Gruppenstunden ausgedacht und gemacht.
Politische Bildung gab es nur selten, aber auch dagegen hatte ich nichts; denn die Ideale, die uns da vorgestellt wurden, zogen mich an. Jungmädel, sei Kameradin, sei tapfer und treu, gehorsam und verschwiegen. Jungmädel, wahre deine Ehre!
lernten wir auswendig. Kameradschaft wurde großgeschrieben und Hilfsbereitschaft: Einer für alle, alle für Einen!
Treue, absolute Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit waren mir so selbstverständlich, dass ich nicht fassen konnte, wenn jemand eine Verabredung nicht einhielt. Ich dachte dann, derjenigen sei etwas Schlimmes zugestoßen, und ich empfand es als größte Beleidigung, wenn jemand meinem Wort nicht glaubte. In der Schule bin ich sogar zu einem Lehrer gegangen, der gemeint hatte, wir kämen wegen Bummelei zu spät und die Zugverspätung sei eine Ausrede. Von dem habe ich so eindrücklich gefordert: Bitte, nehmen Sie das zurück! Ich lüge nicht!
, dass er es wirklich zurückgenommen hat.
Die Liebe zur Heimat verschmolz mit der Liebe zum Vaterland. Hier hatten wir unsere Wurzeln, und zu dieser Liebe gehörte auch die Bereitschaft, fürs Vaterland sein Leben hinzugeben. Das sangen wir in unseren Liedern, das glaubte ich von Herzen. Die Hitlerjugend bot mir Wärme und Gemeinschaft und stärkte mein Selbstbewusstsein: Ich war eine Deutsche, und deutsche Menschen waren Edelmenschen, besser und tüchtiger als andere, hart gegen die Bösen, die Feinde, aber barmherzig und hilfreich gegen die Besiegten. Deutsche konnten einfach nichts wirklich Böses tun. Wenn jemand das behauptete, war er ein Lügner oder ein Dummkopf, der auf feindliche Hetze hereingefallen war.
Dass man die Juden in Deutschland nicht mehr haben wollte, fand ich verständlich. Ich hatte zwar noch nie einen Juden gesehen; denn in Bad Grund hatte es nie Juden gegeben, aber wenn das so schlechte Menschen waren und sie unserem Volk so schadeten, sollte man sie doch ausweisen. Dass man sie umbringen könnte, hätte ich nie für möglich gehalten. Wir wussten auch, dass es in Deutschland Konzentrationslager gab, aber wir dachten, die gäbe es in jedem Land, das sei so eine Art Internierung von Leuten, die gegen die Regierung hetzten oder sonst das Zusammenleben störten, ohne kriminell zu sein. Die konnte man doch nicht ins Gefängnis sperren, müsste sie aber durch Internierung hindern, Unruhe zu stiften.
Diese Ahnungslosigkeit hätte uns einmal fast schuldig an einem Menschenleben werden lassen. Das war schon 1944, im Wartesaal auf dem Bahnhof schimpfte ein Soldat, der aus dem Urlaub wieder an die Front musste, auf Hitler. Der Krieg sei doch verloren, die Regierung sei verantwortungslos, noch weiter zu machen. Wir sechzehnjährigen Kinder waren entsetzt: Der Endsieg war uns doch versprochen! Verantwortungslos sei es, durch solche Reden die Kraft des Volkes zu schwächen! Man müsste ihn anzeigen! Wir haben das dann doch nicht getan, obgleich wir nicht ahnten, dass ihm das sein Leben gekostet hätte.
Dass unsere Schulbücher von nationalsozialistischem Gedankengut geprägt waren, merkten wir kaum, weil wir ja auch keinen Vergleich mit anderen hatten. So wurde zum Beispiel in Geschichte die Besiedlung und Kultivierung des Ostens betont. In Deutsch wurde ausgiebig das Nibelungenlied und die altgermanischen Sagen behandelt, in Erdkunde sahen wir auf der Landkarte die weltweiten Kolonialreiche der Engländer und Franzosen und die kleinen ehemals deutschen Kolonien, die man uns auch noch weggenommen hatte. Die meisten Lehrer aber unterrichteten objektiv und informativ, sodass wir gar nicht wussten, ob sie für oder gegen Hitler waren. Anders war es bei der Biologielehrerin Käthe Funke. Sie ließ sich Frau Oberin
nennen und machte mit uns endlos Rassenkunde
und Bevölkerungskunde
. Frauen der edlen, nordischen Rasse, erklärte sie uns, müssten so viele Kinder wie möglich haben, damit die unedlen Rassen nicht die Oberhand gewinnen. Dabei war sie selbst unverheiratet und kinderlos, weshalb wir sie heimlich bevölkerungspolitischen Blindgänger
nannten.
Ein Teil dieser Thematik aber gefiel mir sehr, die Ahnen- und Sippenforschung. Es machte viel Spaß, die Standesämter und Kirchenbuchämter anzuschreiben, um Geburts- oder Trauungsdaten der Vorfahren zu erhalten. Das war in unserer Familie gar nicht einfach, weil die Vorfahren meist Beamte waren, die im gesamten preußischen Gebiet versetzt wurden. Aber wie stolz waren wir, wenn wir wieder eine Generation zurück gekommen waren. Auf diese Weise sollten wir beweisen, dass wir keinen jüdischen Ahnen dazwischen hatten. Das war aber gar nicht möglich, höchstens dass es keine typisch jüdischen Namen gab. Noch mehr gefiel es mir, eine Sippentafel mit sämtlichen Nachkommen und angeheirateten Nachkommen unserer Urgroßeltern zu erstellen. Meine Güte, waren das viele! Drei Meter Papierrolle brauchte ich, um sie alle untereinander zu schreiben, und das Schönste: Mutter kannte die meisten persönlich und konnte uns all ihre kleinen Besonderheiten erzählen, nein, nicht nur erzählen: Sie machte uns ihre Mimik und Sprache vor, und Sigrid und ich amüsierten uns köstlich. Die große Verwandtenzahl kam ja daher, dass sie alle so viele Kinder hatten. Oma hatte allein zehn geboren. Sie kriegte daher das goldene Mutterkreuz und fand das gar nicht peinlich, obgleich viele heimlich Karnickelorden
dazu sagten. Oma sagte: Endlich wird mal anerkannt, dass es eine Leistung ist, zehn Kinder zur Welt zu bringen und großzuziehen. Warum soll das keinen Orden verdienen?
Mit der Bio-Oberin hatten wir unseren Spaß immer, wenn ein Nazi-Feiertag war; am 30. Januar und 9. November. Dann gab es kein Schulfrei, aber eine Schulfeierstunde. Jede hatte an solch einem Tag in Uniform zu erscheinen, und Frau Oberin war außer ihrer Lehrtätigkeit höhere BDM-Führerin. So erschien sie auch in Kluft, und in der Hitlerjugend duzten sich alle. Da musste sie, die sonst recht streng war und auf ihren Titel achtete, sich gefallen lassen, dass wir Käthe
und Du
zu ihr sagten. Das wurde natürlich weidlich ausgenutzt.
Von meiner Deutschlehrerin, der Rimus, wussten wir, dass sie kritisch eingestellt war. Sie war aber klug genug, sich keine Blöße zu geben, durch die sie aus dem Schuldienst hätte entfernt werden können. Sie sagte einmal zu mir: Das Kunststück, Christ und Nationalsozialist gleichzeitig zu sein, bringst auch nur du fertig!
Das verstand ich damals nicht. Die Ideale Treue, Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit, Einsatz für Andere, waren die nicht in beiden Gedankenwelten die Hauptsache? Wurde nicht das Antreten am Sonntag wegen des Gottesdienstes verschoben? Gingen wir Führerinnen nicht alle zum Konfirmandenunterricht und fanden die Gottgläubigen
oder die Gruppe Glaube und Schönheit
albern? Natürlich gab es so übertriebene Nazis wie den dummen Kerl, der aus Clausthal kam, um den Dreizehnjährigen einzureden, sie sollten sich nur Jugendweihen, nicht konfirmieren lassen. Dabei quatschte er Unsinn über die jahrhundertelange Zerstörung deutscher Kultur durch die Kirche. Drei unserer Fahrschüler waren dabei und heizten ihm mächtig ein, mit Übermittlung der Kultur durch Klosterschulen, abschreibende Mönche, Kirchenbauten und Buchmalerei, bis er sich das Rückfragen verbat und verschwand. Die Leiterin der NS-Frauenschaft in Bad Grund aber lobte die Mädel, dass sie dem Dummkopf das Maul gestopft hatten. So etwas war für mich der Beweis, dass das nur Auswüchse waren und nicht der echte Nationalsozialismus, an den ich glaubte.
Umso entsetzlicher war dann die Enttäuschung 1945, als herauskam, dass wir auf Verbrecher hereingefallen waren. Alle Ideale waren nur Lüge, um uns zu ködern. Deutsche waren keine Edelmenschen, sondern Mörder. Verraten und betrogen waren wir, um alles, woran wir geglaubt hatten. Vaterland und Volksgemeinschaft waren ein Luftballon, der zerplatzte, wenn man hineinstach. Meine lieben Vettern, Klassenkameraden, all die Unzähligen, die gemeint hatten, ihr Leben für eine große Sache zu geben, waren in den Tod gehetzt von verantwortungslosen Verbrechern. O, wie ich sie hasste, die Betrüger! Zum Glück empfand ich es nicht allein so, und mit anderen ehemaligen Jungmädelführerinnen suchten wir nun nicht-ideologische Gemeinschaft im Sportverein. Wir waren ja noch jung und konnten umdenken, und nicht nur ich fand meinen Weg im christlichen Glauben.
Anmerkung der Redaktion:
Die geschichtliche Bewertung der Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg in diesem Zeitzeugenbericht entspricht weitgehend der damaligen öffentlichen Meinung, die durch die Lügen der Generäle Paul von HindenburgPaul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg (* 2. Oktober 1847 in Posen; † 2. August 1934 auf Gut Neudeck, Ostpreußen) war ein deutscher Generalfeldmarschall, Politiker und von 1925 bis zu seinem Tod Reichspräsident. Im Ersten Weltkrieg übte die von ihm geführte Oberste Heeresleitung von 1916 bis 1918 de facto die Regierungsgewalt aus.[Klick ... for Wikipedia] und Erich LudendorffErich Friedrich Wilhelm Ludendorff (* 9. April 1865 in Kruszewnia bei Schwersenz, Provinz Posen; † 20. Dezember 1937 in München) war ein deutscher General der Infanterie und Politiker. Im Ersten Weltkrieg hatte er als Erster Generalquartiermeister und Stellvertreter Paul von Hindenburgs, des Chefs der dritten Obersten Heeresleitung (OHL), bestimmenden Einfluss auf die deutsche Kriegführung und Politik. Er verantwortete maßgeblich den Sieg in der Tannenbergschlacht sowie die gescheiterte Deutsche Frühjahrsoffensive 1918 und war einer der Väter der Dolchstoßlegende. Zur Zeit der Weimarer Republik betätigte er sich in der völkischen Bewegung, beteiligte sich 1920 am Kapp-Putsch und 1923 am Hitler-Putsch, war kurzzeitig Reichstagsabgeordneter der Deutschvölkischen Freiheitspartei und Mitbegründer des Tannenbergbunds.[Klick ... for Wikipedia] nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, und später durch die Propaganda des Reichspropagandaministers GoebbelsPaul Joseph Goebbels (* 29. Oktober 1897 in Rheydt; † 1. Mai 1945 in Berlin) war einer der einflussreichsten Politiker während der Zeit des Nationalsozialismus und einer der engsten Vertrauten Adolf Hitlers. Als Gauleiter von Berlin ab 1926 und als Reichspropagandaleiter ab 1930 hatte er wesentlichen Anteil am Aufstieg der NSDAP in der Schlussphase der Weimarer Republik. Als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und Präsident der Reichskulturkammer hatte Goebbels von 1933 bis 1945 in Deutschland zwei entscheidende Positionen für die Lenkung von Presse, Rundfunk und Film sowie des sonstigen Kulturschaffens inne.[Klick ... for Wikipedia] beeinflusst wurden und teilweise bis heute als Legende weiterleben.
Die heutige Sichtweise auf die damaligen Geschehnisse ist eine andere, hier in Kurzform für geschichtlich Interessierte skizziert:
- Wilhelm II.Wilhelm wurde am 27. Januar 1859 als ältester Sohn des Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen und dessen Frau Victoria geboren, die 1861 zum Kronprinzenpaar wurden. Wilhelm war der Enkel der britischen Königin Victoria (1819–1901) sowie infolge der Verbindung seiner Großtante Charlotte mit Nikolaus I. von Russland auch ein Onkel dritten Grades von Zar Nikolaus II. Der britische König Georg V. war sein Cousin ersten Grades. Sein Bruder Prinz Albert Wilhelm Heinrich von Preußen war Großadmiral der Kaiserlichen Marine.[Klick ... for Wikipedia], mit vollem Namen Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen (* 27. Januar 1859 in Berlin; † 4. Juni 1941 in Doorn), aus dem Haus Hohenzollern war von 1888 bis 1918 letzter Deutscher Kaiser und König von Preußen. Aufgrund seiner traditionellen Herrschaftsauffassung zeigte Wilhelm II. wenig Verständnis für das Wesen der konstitutionellen Monarchie und bestand darauf, die Regierungspolitik persönlich zu leiten. Durch sein als undiplomatisch und großspurig empfundenes Auftreten verursachte er mehrfach innen- und außenpolitische Krisen. Der von ihm stark forcierte Ausbau der Kaiserlichen Marine und die damit verbundene sogenannte Weltpolitik wurden zum Markenzeichen der wilhelminischen Ära, trugen aber auch zum Konfliktpotenzial bei, das sich im Ersten Weltkrieg entlud.
Im Weltkrieg war der Kaiser von der Obersten Heeresleitung unter den Generälen Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff weitgehend kaltgestellt und auf repräsentative Aufgaben beschränkt worden. Er verlor zusehends an Ansehen, und angesichts der drohenden Niederlage wurde seine Stellung vollends unhaltbar. Erich von FalkenhaynErich Georg Sebastian Anton von Falkenhayn (* 11. September 1861 in Burg Belchau; † 8. April 1922 in Schloss Lindstedt bei Potsdam) war ein preußischer General der Infanterie, osmanischer Marschall und im Ersten Weltkrieg preußischer Kriegsminister sowie Chef des Großen Generalstabs. Nach dem Scheitern des Schlieffen-Plans übernahm er die militärische Führung des Kaiserreichs und war von September 1914 bis August 1916 Chef der zweiten Obersten Heeresleitung. Als dieser verantwortete er die erfolgreiche Schlacht von Gorlice-Tarnów und die Schlacht von Verdun, deren Scheitern unter fürchterlichen Opfern zu seinem Rücktritt führte. Falkenhayn hielt den Krieg früh für militärisch nur noch durch einen günstigen Kompromissfrieden zu gewinnen, nicht aber durch vollständige Niederwerfung aller Gegner. Damit stand er strategisch im Gegensatz zu Erich Ludendorff, der ihm mit Paul von Hindenburg in der Führung der Obersten Heeresleitung folgte.[Klick ... for Wikipedia], nach dem Scheitern des Schlieffen-Plans militärischer Führer des Kaiserreichs, schätzte bereits im ersten Kriegsjahr, am 9. September 1914 dem Kaiser gegenüber die Lage so ein:Majestät, wir haben den Krieg verloren.
Als die Novemberrevolution am 9. November 1918 auch Berlin erfasste, gab Reichskanzler Max von Baden die Abdankung Wilhelms ohne dessen Zustimmung bekannt. Wenige Stunden später, am Mittag des 9. November, erfolgte die Ausrufung der Republik in Deutschland. Am Tag darauf floh der Kaiser vom Großen Hauptquartier im belgischen Spa, wo er sich seit dem 29. Oktober aufgehalten hatte, ins niederländische Exil. Erst dort dankte er am 28. November formell ab.
Königin Wilhelmina und die Regierung der Niederlande gewährten ihm Asyl und lehnten 1919 die von den Entente-Mächten verlangte Auslieferung als Kriegsverbrecher ab. Wilhelm ließ sich in Haus Doorn nieder und bemühte sich erfolglos um eine Restauration der Monarchie in Deutschland. Er starb 1941 im Alter von 82 Jahren, ohne jemals wieder deutschen Boden betreten zu haben. Quelle: Wikipedia.org/Wilhelm II - Die DFG, die Deutsche Friedensgesellschaft, eine Vereinigung von Republikanern vertrat die Auffassung, dass es richtig ist, den Versailler Friedensvertrag bedingungslos zu erfüllen und die Kriegsschuld am Ersten Weltkrieg ohne wenn und aber anzuerkennen. Die Pazifisten waren damals der Meinung, dass Reparationszahlungen von 20 Mrd. Goldmark an Frankreich und Belgien bei Weitem nicht ausreichen würden, um die von den Deutschen angerichteten Kriegsschäden auszugleichen.
Frankreich hat in den Jahren nach 1918 mit eigenem Geld einen Großteil der Schäden bezahlt. Die Gegener der Pazifisten, die Militaristen, hielten aber weiter an der sogenanntenDolchstoßlegende
fest (Das Deutsche Heer im Felde ungeschlagen, aber von der Weimarer Republik, Ebert & Co. von hinten ermordet.) und ignorierten eisern, dass in den letzten Kriegstagen 5,4 Millionen Ententesoldaten einem zusammengeschrumpften deutschen Heer von gerade noch 2,4 Millionen Soldaten gegenüberstanden, die zudem kaum noch über Waffen und Munition verfügten. Die Heeresführer von Hindenburg und Ludendorff waren zu feige, dem Feind ins Auge sehend einen Waffenstillstand auszuhandeln. Das überließen sie Zivilisten, den Parlamentariern der Weimarer Republik und strickten lieber an ihrerDolchstoßlegende
Sie waren es, die den Parlamentarierern der Weimarer Republik in den Rücken fielen und die Konterrevolution entfachten. Schlimmer noch, sie wollten in den letzten Kriegstagen noch die deutsche Flotte, oder das, was noch davon übrig war, gegen England werfen, was bekanntermaßen zur Folge hatte, dass die Kieler Matrosen streikten und am 9. November 1918 dieNovemberrevolution
begann. Reichskanzler Max von Baden setzte Kaiser Wilhelm II. eigenmächtich ab und schickte ihn ins Exil (nach Holland). Scheidemann rief die Republik aus. 1920 versuchten die Rechten eine Konterrevolution, Korvettenkapitän Ehrhardt führte seine Marine-Brigade nach Berlin, die Regierung floh. Der sogenannte Kapp-Putsch misslang. Schon damals war Ludendorff mit dabei und zog im Hintergrund Fäden. Auch der zweite Putschversuch, Hitler-Ludendorff in München misslang, Hitler wurde in Festungshaft genommen.
Das die Kriegsschuld Deutschlands stets geleugnet, und die Gründe für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs nie aufgearbeitet wurden, führte schließlich in die zweite Katastrophe. Historiker fassen heute beide Weltkriege zusammen, als den zweiten Dreißigjährigen Krieg in Deutschland.Redaktion, HK. - Quellen:Das Andere Deutschland
- Christopher Clark:Die Schlafwandler
- Der Begriff
Vorsehung
bezeichnet allgemein eine höhere Macht, die das Schicksal der Menschen und den Lauf der Weltgeschichte beeinflusst. Die genauen Beschreibungen der Vorsehung sind u. a. aufgrund verschiedener Gottesvorstellungen unterschiedlich und teilweise widersprüchlich. Für Adolf Hitler und den von ihm gegründeten und geführten Nationalsozialismus spielte der Bezug auf die sogenannte Vorsehung eine zentrale Rolle, um sowohl seine Taten zu rechtfertigen wie auch überlebte Attentate für sich als Bestätigung durch die Vorsehung zu werten. Ihre prinzipiell kirchenfeindliche Haltung zwang die Nationalsozialisten, nach anderen Begriffen für Gott, Jesus Christus, Christentum, Bibel und Kirche zu suchen. Alternativ zu Gott haben Hitler und seine Helfer von derVorsehung
odergöttlichen Vorsehung
gesprochen. Der Führer der Nazipartei und Reichskanzler machte sich intern über Religion lustig und wünschte denPfaffen
den Strick an den Hals. Für die Zeit nach demEndsieg
plante er ein großes Strafgericht über sie mit dem Ziel, die Geistlichkeit auszurotten. Statt der christlichen Religion sollte so etwas wie eine neue, völkische und ganz dem rassistisch-germanischen Weltbild verpflichteten Religion etabliert werden.Quellen: Helmut Caspar, Wikipedia.org