Teil 2 - Bärsdorf, 1857 bis 1864
Kapitel 1:
Ankunft
Am Michaelistag 1857 nahmen wir Abschied von Arnsdorf. Unser Weg führte über Hirschberg, Schönau, Goldberg. In Hirschberg wurde die Mutter Onkel Langs, eine Freundin von Großmutter Rogge, die seit einiger Zeit dort wohnte, besucht. Hier bekam ich zum ersten Mal eine Weintraube zu essen. Auf der Höhe des Kapellenberges zwischen Hirschberg und Schönau sahen wir die erste Windmühle. In SchönauHeute: Swierzawa (deutsch Schönau an der Katzbach), eine Stadt in der polnischen Woiwodschaft Niederschlesien. Siehe Wikipedia.org [1] erfuhren wir, dass unsere Möbelwagen nicht zum Stadttor hineingekonnt, sondern um die Stadt herum hätten fahren müssen. GoldbergHeute: Zlotoryja (deutsch Goldberg in Schlesien), eine Stadt in der polnischen Woiwodschaft Niederschlesien. Sie ist die Hauptstadt des Powiats Zlotoryjski und hat ca. 16.000 Einwohner.Siehe Wikipedia.org [2] war das Reiseziel des ersten Tages. Am anderen Morgen sahen wir von den Fenstern unseres Gasthauses zwei Kutschen heranfahren, Wagen von Bärsdorfer Hofbesitzern, wahrscheinlich die stattlichsten im Dorf, die uns abholen sollten. In dem einen fuhren die Eltern mit Elly. Der Besitzer, Karl Thiel, fuhr auch selbst darin. Im anderen waren wir beiden Jungen, Marie Gärtner und das mitgenommene Mädchen.
Hinter HaynauHeute: Chojnów (deutsch Haynau) ist eine Stadt im Powiat Legnicki (Powiat Liegnitz) in der polnischen Woiwodschaft Niederschlesien.Siehe Wikipedia.org [3] sahen wir zum ersten Mal den Damm der Eisenbahn. An der Grenze der Dörfer Göllschau und BärsdorfHeute: Niedzwiedzice (bis 1945: Bärsdorf-Trach, davor Bärsdorf), ein Dorf in der Gmina Chojnów im Powiat Legnicki in Niederschlesien. Es liegt wenige Kilometer östlich von Chojnów (Haynau) und nordwestlich von Legnica (Liegnitz). Siehe Wikipedia.org [4], die unmittelbar aneinander grenzten, wartete der Verein 1813er Kriegsveteranen mit seiner Fahne und eine große Menge Volk. Vater legte seinen Ornat an und stieg aus dem Wagen. Begrüßungen fanden statt, ein kleines Mädchen streute Blumen. Dann setzte sich der Zug in Bewegung und ging zur Kirche, wo Vater einen Einführungsgottesdienst improvisierte. Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt. Sie war viel kleiner und schmuckloser als die Arnsdorfer. Der älteste Teil, der Chor, über 600 Jahre alt, zeigte Reste von Gotik und hatte als Hauptschmuck einen Flügelaltar mit einem Hautrelief, die Kreuzabnahme darstellend. Auf den Flügeln waren Maria und die heilige Hedwig, die Kirchenheilige, dargestellt. Der übrige Teil der Kirche war 300 Jahre jünger und ohne jeden Stil. Bilder verschiedener früherer Pastoren und Patrone hingen im Innern. Einen Turm hatte die Kirche nicht, sondern nur auf einem massiven Unterbau, der die Sakristei trug, ein hölzernes, schon recht gebrechliches Glockenhaus mit drei Glocken. In die Außenwände der Kirche waren Monumente früherer Pastoren, zum Teil nicht ohne Kunstwert, eingelassen.
Von dem Gottesdienst verstand ich natürlich noch nichts. Beim Hinausgehen sah ich mich aber durch das Gedränge von Mutter und Geschwistern getrennt und zu einem andern Ausgang hinausgeschoben, so dass ich plötzlich unter lauter fremden Menschen ganz allein war. Einige freundliche Männer führten mich auf den Pfarrhof, wo die andern auf mich warteten und Kaffee und Kuchen für uns bereit stand. Eine Nichte des Kantors Metzig nahm sich unser freundlich an. Arthur, der Sohn desselben, schloss gleich mit uns Freundschaft und betätigte dieselbe dadurch, dass er uns Weintrauben von dem Spalier des Schulhauses abschnitt. Unsere Möbel waren noch nicht da, sondern kamen erst im Lauf dieses oder des folgenden Tages an. Das schöne Herbstwetter jenes Jahres erleichterte uns das Einleben.
Der Pfarrhof war ein ziemlich großes Quadrat, an dessen Westseite das ziemlich langgestreckte, zweistöckige, aber ziemlich niedrige Wohnhaus stand. In Verbindung mit demselben stand das kleine Haus, das die Nordseite des Hofes begrenzte, unten die Küche und einige Kammern, oben das Konfirmandenzimmer und die Schlafkammer für das Dienstmädchen, während im Wohnhause nach der Hofseite in jedem Stock zwei Wohnzimmer waren und an der der Straße zugekehrten Giebelseite eine Treppe, ebenfalls zwei Zimmer, darunter ein Zimmer und die Speisekammer lag. Das kleine Haus enthielt auch den Getreideboden, in den, da an dasselbe der Torweg sich anschloss, das von den Besitzern der Gemeinde zu liefernde Zehntgetreide, der Dezem
deutsch: Zehnt
, bezeichnet eine etwa zehnprozentige Steuer in Form von Geld oder Naturalien an eine geistliche oder eine weltliche Institution.Siehe Wikipedia.org [5], von dem Wagen aus gleich abgeladen werden konnte. Das Wohnhaus war ziemlich alt und hatte manche Mängel, war aber vom Patron neu geweißt und mit Ziegeln neu eingedeckt, überhaupt freundlich hergerichtet. Das kleine Haus hatte ein Schindeldach. An der Ostseite stand die Scheune, an der Südseite das Stallgebäude, durch das ein Torweg nach zwei Obstgärten und weiter nach den ausgedehnten Pfarrländereien führte. Beide Gebäude waren schon recht baufällig und mit Stroh gedeckt, eine Bedachung, die wir hier erst kennen lernten.
Bärsdorf liegt am Ende der langen Gasse
, einer Reihe langgestreckter Dörfer, die die schnelle Deichse
fast ununterbrochen von ihrer Quelle am Fuß des Probsthainer Spitzberges bis zu ihrer Mündung im Schwarzwasser, die sich dann bei Liegnitz in die Katzbach ergießt, begleiten. Die Ufer des Flüsschens, im Volksmund schlechtweg die Bache
genannt, steigen an manchen Stellen, so auch unterhalb des Pfarrhofes, ziemlich steil an, für die vorbeifahrenden Wagen nicht ganz ohne Gefahr, für die Jugend, wenn der Fluss zugefroren war, eine herrliche Schlittenbahn bietend. Ein Steg führte gerade beim Pfarrhofe nach dem jenseitigen Ufer. Brücken für die Wagen gab es nicht, dieselben mussten Furten benutzen. Das Dorf war im Ganzen wohlhabend zu nennen. Vier Güter gehörten der Gutsherrschaft, der freiherrlich, später gräflich Rothkirchschen Familie. Daneben gab es 28 freie Bauernstellen - Freibauergutsbesitzer
nannten sich die Bauern, ließen später auch wohl das Bauer
weg - und eine große Zahl Häusler- und Gärtnerstellen. HäuslerAls Häusler bezeichnete man früher Kleinstbauern mit eigenem Haus, aber nur wenig Grundbesitz.Siehe Wikipedia.org [6] sind etwa das, was bei uns die Brinksitzer sind. Gärtner sind gleichbedeutend mit unsern An- und AbbauernAls Anbauer oder Abbauer bezeichnete man im ländlichen Raum Neusiedler, die ab etwa 1830 in die Dorfgemeinschaft eintraten und ein Haus mit Grundstück, aber keine eigenen landwirtschaftlichen Nutzflächen besaßen. Siehe Wikipedia.org [7], früher Hörige, die einen Garten
- daher die Bezeichnung - zum Eigentum von dem betreffenden Bauern oder Gute erhalten hatten und dafür zu gewissen Diensten verpflichtet waren. Auch die Pfarre hatte einige Gärtner. Zur Kirchengemeinde gehörten noch zwei Außendörfer, Buchwald und Fuchsmühl, zusammen nur etwa halb so groß als Bärsdorf. Jedes mit einem Rittergut und daneben nur aus kleinen Besitzern bestehend. Die Gemeinde war im Ganzen als eine kirchliche zu bezeichnen. Die Mehrzahl der Bauern war Sonntag für Sonntag in der Kirche auf ihrem Platze zu finden. Eine unrühmliche Ausnahme machten zum Teil die Hofgänger der verschiedenen Rittergüter. Überhaupt standen die beiden Außendörfer in kirchlicher Beziehung etwas niedriger als das Kirchdorf. Besonders gab es da verschiedene Familien, die ihre Kinder nicht regelmäßig zur Schule schickten.
[2] Heute: Zlotoryja (deutsch Goldberg in Schlesien), eine Stadt in der polnischen Woiwodschaft Niederschlesien. Sie ist die Hauptstadt des Powiats Zlotoryjski und hat ca. 16.000 Einwohner.
[3] Chojnów (deutsch Haynau) ist eine Stadt im Powiat Legnicki (Powiat Liegnitz) in der polnischen Woiwodschaft Niederschlesien.
[4] Heute: Niedzwiedzice (bis 1945: Bärsdorf-Trach, davor Bärsdorf), ein Dorf in der Gmina Chojnów im Powiat Legnicki in Niederschlesien. Es liegt wenige Kilometer östlich von Chojnów (Haynau) und nordwestlich von Legnica (Liegnitz).
[5] Deutsch:
Zehnt, bezeichnet eine etwa zehnprozentige Steuer in Form von Geld oder Naturalien an eine geistliche oder eine weltliche Institution.
[6] Als Häusler bezeichnete man früher Kleinstbauern mit eigenem Haus, aber nur wenig Grundbesitz.
[7] Als Anbauer oder Abbauer bezeichnete man im ländlichen Raum Neusiedler, die ab etwa 1830 in die Dorfgemeinschaft eintraten und ein Haus mit Grundstück, aber keine eigenen landwirtschaftlichen Nutzflächen besaßen.