Teil 2 - Bärsdorf, 1857 bis 1864
Kapitel 13:
Latein, Französisch, Griechisch und Literatur
Als Richard Michaelis 1859 unser Haus verlassen hatte, um auf das Braunsberger Pädagogium aufgenommen zu werden, fing Vater mit uns Latein an. Einige Knaben aus dem Dorfe, die weiter lernen wollten, unter ihnen Artur Metzig, nahmen anfänglich mit uns daran teil, da es Vater besser erscheinen mochte, dass wir mit andern zusammen unterrichtet würden. Da dieselben sämtlich älter waren als wir, bröckelten sie allmählich ab - nach der Konfirmation ist wohl keiner von ihnen geblieben - und wir blieben schließlich allein über.
Alexander war ohne Zweifel der Tüchtigste von uns allen. Beim ersten lateinischen ExtemporaleEine Prüfung aus dem Stegreif
, also unvorbereitet, extemporiert. Aus dem Stegreif
bedeutet wörtlich: ohne vom Pferd zu steigen.Siehe Wikipedia.org [34] eroberte er sich gleich den ersten Platz, den er auch weiter ununterbrochen behauptete. Ich erhielt anfangs den vorletzten Platz, bei einem weiteren Extemporale allerdings den zweiten, den ich aber dann, weil ich einmal meine Lektion nicht konnte, wieder verlor. Zum Latein, das wir anfangs nur in Stunden wöchentlich erhielten - dann kamen die fremden Knaben, nachdem wir vorher schon eine Stunde Elementarunterricht für uns gehabt hatten - trat Michaelis 1860 das Französische hinzu, im Frühjahr 1861 Mathematik. Gleichzeitig wurde mit der Lektüre des Cornelius Nepos begonnen. Ostern 1862 Griechisch. Dann folgten sukzessiv Charles Donze, Caesar, Ovid, Homer, Xenophon. Der Sonnabend wurde von fremden Sprachen und Wissenschaften frei gehalten. Der Unterricht beschränkte sich an diesem Tage auf die Erklärung der Perikopenfür die Lesung im Gottesdienst bestimmte Abschnitte des Bibeltextes [35], die Durchsicht unserer Aufsätze und Deklamationsübungen, in denen Vater, selbst ein guter Vorleser und Rezitator, sorgfältig auf guten Ausdruck hielt, was uns später auf der Schule noch zugutekam.
Wie man sieht, ging Vater ziemlich rasch mit uns vorwärts, und das, obgleich wir nie mehr als drei Unterrichtstunden am Tage hatten. Allerdings kamen seit Winter 1862/63 die Konfirmandenstunden hinzu, an denen wir als Zuhörer
teilnehmen durften. Außerdem lernten wir bei unserm Vater manches spielend. So war die Lektüre abends, zu der wir mit der Zeit länger aufbleiben durften, belehrend für uns. Vater führte uns in die dramatische Dichtung dabei ein. Das erste, was er uns vorlas, war Körners Zriny. Dann kam Wilhelm Tell und Wallensteins Lager und Wallensteins Tod an die Reihe. Auch Lessings Minna von Barnhelm und Emilia Galotti sowie Goethes Götz lernten wir kennen. Dieser interessierte uns mächtig und ich weiß noch, wie wenig uns auf denselben mit seiner schnell wechselnden Handlung Schillers Jungfrau von Orleans mit ihren langen Reklamationen zusagte. Auch einige Dramen Shakespeares, Cäsar, Hamlet, der Kaufmann von Venedig, wurden uns von Vater vorgelesen. Zuweilen übernahm auch Mutter eine Rolle.
Ein großer Held bin ich im Unterricht nicht gewesen. In der lateinischen und griechischen Lektüre kam ich schließlich nur zum Nachübersetzen dran, und ich habe meine meisten Schläge wohl im Unterricht meines Vaters erhalten. Allerdings habe ich meinen Vater selbst wiederholt äußern hören: Ich habe viele Schüler unterrichtet, bei allen habe ich Geduld gehabt, nur bei meinen eigenen Kindern nicht.
In Geschichte, Geographie und Mathematik war ich meinem Bruder überlegen. Besonders war Geographie von mir stets besonders bevorzugt.
Stegreif, also unvorbereitet, extemporiert.
Aus dem Stegreifbedeutet wörtlich: ohne vom Pferd zu steigen.
[35] für die Lesung im Gottesdienst bestimmte Abschnitte des Bibeltextes