Kanaken, Kannibalen, mein Opa und ich
Kapitel 3:
Kinavai
Lange vor Sonnenaufgang fahre ich auf der Küstenstraße von Kokopo in Richtung Rabaul. Nach kurzer Zeit sehe ich Frauen, Männer und Kinder, die durch die Kokoswälder streifen. Alle schlagen die gleiche Richtung ein. Wenig später parke ich den Wagen am Straßenrand. Nach dem Ausstellen des Motors höre ich ein dumpfes Dröhnen aus Richtung Meer. Ich taste mich im Mondschein der noch dunklen Nacht durch den Kokoshain in Richtung Strand.
Hier stehen bereits tausende von Papua-Neuguineer am Brandungsstreifen und warten auf das Kinavai. Im Morgengrauen raucht auf der gegenüber gelegenen Seite der Bucht der Tavurvur mit einer dicken, grauen Wolke und weist auf seine schlummernden Aktivitäten hin. In der Luft liegt mystische Stimmung, getragen von Getrommel und lautem Gesang, beides kommt von Booten, die aus dem Dunkel auf die Menschenansammlung zukommen. Auf den Booten sind nur Umrisse von rund zwanzig Menschen je Boot zu erkennen. Einzelheiten werden von der Dunkelheit verschluckt.
Die Boote kommen immer näher, die Insassen trommeln, tanzen und singen. Von Land aus stürzen einige auf die Boote zu, um sie nah an den Strand zu lenken. Andere springen aus Begleitbooten, ausschließlich Männer in meist roten Lap-LapsWickelrock, Beinkleid der Männer [6], ins Wasser. Allmählich werden die Konturen deutlicher, die Morgendämmerung setzt plötzlich schlagartig ein und gibt den Blick frei auf die von See ankommenden Geister, auf die alle Tolai warten. So wie jedes Jahr am ersten Vollmond im Juli. Von jeher kommen die Geister, die TumbuaneGeister der Südsee, auch Tumuane genannt [5], über das Meer. Es sind wilde Gestalten, die Unheil mit sich bringen, wenn sie nicht unverzüglich betreut, betanzt, besungen, begrüßt, gezüchtigt und reichlich entlohnt werden.
Es stehen jeweils zwei Tumbuane in einem Geisterboot mit Ausleger, der sich auf der dem Strand abgekehrten Seite befindet. Sie tanzen zum Fürchten, wollen Angst erregen. Man sieht nur den von Blättern bedeckten, fast kugelförmigen Oberkörper, auf dem eine kegelförmige, schwarzfarbige Maske mit zwei riesigen Augen sitzt. Die Augen werden durch weiße Kreise besonders hervorgehoben.
Der Kegel spitzt sich zu und endet in einem großen Büschel weißer Federn. Der Geist schmeißt seinen Körper, aus dem nur die Beine herausragen, in kreisenden Bewegungen mal nach rechts, mal nach links in geübter Abstimmung mit seinem Partner. Die noch im Boot sitzenden oder um das Boot herumstehenden Männer schwingen Palmenwedel als Zeichen der Begrüßung. Die erste Begrüßung von Land erfolgt mit lautem Gesang durch Frauen, die weiße Tücher schwenken. Hinter diesen Geistern steigen ruhig beeindruckende Rauchschwaden aus dem Trichter des Tavurvur.
Mit dem Erreichen der Helligkeit des Tages kommen die Geister an Land, unter ihrem kugeligen Körper stramme, tiefbraune, muskulöse Beine zeigend, wirken sie wie grüne Flamingos, deren Augen eulenartig direkt über dem Körper sitzen und deren Schnabel als flauschiges Federbündel die Spitze des Halses bildet. Nun bewegen sie sich mehr schreitend als tanzend einige Schritte am Strand, besteigen schnell bereitstehende Fahrzeuge und werden in das Haupliorf der Tolai gefahren. Hier werden sie in einer weiteren Zeremonie von den Dorfältesten, den Big Men, gezüchtigt und mit reichlich Muschelgeld belohnt, damit sie keine bösen Auren über die Stammesmitglieder bringen.
Nach sechs Tagen wurde der Anker gehievt und zunächst nach Herbertshöhe gedampft, wo der Landesrichter Assessor Dr. Hahl, ein Unteroffizier und 24 Mann der Schutztruppe an Bord kamen. In Herbertshöhe befand sich der Sitz der französisch-katholischen Mission
Zum Herzen Jesu.
Nach etwa einstündigem Aufenthalt ging es weiter, Opa steuerte um die Südspitze des Bismarck-Archipels auf die Küste von Neu Guinea zu.
Bei Samoa-Hafen im Huon-Golf wurde geankert. Die in sechs Kanus längsseits kommenden Kanaker sahen doch schon etwas
kulturbedecktaus.
[6] Wickelrock, Beinkleid der Männer