Teil 3 - Cöslin, 1864 bis 1870
Kapitel 10:
Die Pastoren an St. Marien
An St. Marien in Cöslin amtierten drei Pastoren. Der Oberpfarrer Naatz, der bereits sein 50-jähriges Dienstjubiläum gefeiert hatte, war ein ausgetrockneter Rationalist. Auf dem Chor der Marienkirche hing sein Ölbild, zu seinem Jubiläum gestiftet. Der Maler hatte ihm vorsorglich gleich den RAO IV. KlasseDer Rote Adlerorden war ein preußischer Verdienstorden, der vom preußischen König verliehen wurde. Der Rote Adlerorden war der zweithöchste Orden im preußischen Staat nach dem Schwarzen Adlerorden.Siehe Wikipedia.org [19], in der Voraussicht, dass er ihn bekommen würde, auf den Ornat gemalt. Glücklicherweise hatte diese Voraussicht nicht getrogen. So sah man den alten Herrn, wenn er predigte, jedes Mal doppelt. Von seinen Predigten wurde behauptet, dass sie seit 50 Jahren dieselben geblieben seien, und dass er sich nicht genug wundern könne, dass seine Kirche von Jahr zu Jahr leerer wurde, da doch seine Predigten gleich gut blieben. Außerdem stand er im Geruch des Geizes, wovon auch allerlei Anekdoten erzählt wurden. So wurde erzählt, dass er von der Kanzel aus einst beobachtet hätte, wie sein Küster während der Predigt versucht hätte, von dem für den Pastor auf den Altar gelegten Opfer sich etwas anzueignen. Da hätte er jedes Mal ganz im Tonfall der Predigt eingeflossen: Gusen, liegen lassen!
(Gusen war der Name des Küsters). Das war seitdem in Cöslin zum geflügelten Wort geworden. Ja, man begnügte sich, wenn jemand nach etwas griff, was er liegen lassen sollte, einfach zu sagen: Immer Gusen!
Der zweite Geistliche Leistikow war Supranaturalist, ein freundlicher Herr, aber auch bereits etwas abgestanden. Er starb schon etwa ein Jahr nach unserm Eintritt in Cöslin nach längerem Krankenlager. Der dritte Geistliche, Wagner, war nicht ohne Gaben, auch nicht ohne Eifer und Einflüssen zugänglich. Vater mochte ihn gern und hat ihn zeitweilig günstig beeinflusst. Aber ein Charakter war er nicht. Unzuträglich für dessen Bildung war schon, dass seine wirtschaftliche Lage wenig geordnet war. Er hat verschiedne Wandlungen durchgemacht. Rechtes Vertrauen hatte Vater wenigstens in der ersten Zeit nicht für ihn.
Die Schlosskirche hatte zwar ihre eigene Parochie, die größtenteils aus Landgemeinden bestand, aber keine eigenen Geistlichen, sondern wurde von den drei Geistlichen der Marienkirche pastoriert. Die Anstellung eines eigenen Geistlichen war allerdings im Werke, als wir nach Cöslin kamen. Zeitweilig hatte man sogar daran gedacht, dem zweiten Schulrat das Pfarramt an der Schlosskirche mit zu übertragen. Man fand aber wohl mit Recht, dass jedes dieser Ämter seinen eigenen Mann erfordere, und so kam im Sommer 1865 Pastor Zahn, ein Sohn des Verfassers der biblischen GeschichteDer Verfasser der biblischen Geschichten war Franz Ludwig Zahn (1798-1890). Er war ein deutscher Pädagoge.Siehe Wikipedia.org [20] und Bruder des nachmaligen berühmten Erlanger TheologenTheodor von Zahn (1838-1933) war ein deutscher evangelischer Theologe und lange Jahre als Professor für Neues Testament an der Universität Erlangen tätig.Siehe Wikipedia.org [21], an die Schlosskirche. Derselbe war ohne Zweifel bedeutender als die sämtlichen andern Geistlichen Cöslins, war auch ein selbstständiger Theologe aus Hofmanns Schule, der verschiedenes herausgegeben hatte, ging aber doch seinen eigenen Weg. Vater trat ihm anfangs näher, hat ihn auch mehrere Jahre nacheinander, wenn derselbe auf Urlaub war, und er brauchte dazu regelmäßig mehrere Wochen, treulich vertreten. Aber schließlich kam er mit ihm infolge eines elenden Klatsches auseinander. Als ein ganz einwandfreier Charakter hat Zahn sich jedenfalls nicht gezeigt.
[20] Der Verfasser der biblischen Geschichten war Franz Ludwig Zahn (1798-1890). Er war ein deutscher Pädagoge.
[21] Theodor von Zahn (1838-1933) war ein deutscher evangelischer Theologe und lange Jahre als Professor für Neues Testament an der Universität Erlangen tätig.