Teil 3 - Cöslin, 1864 bis 1870
Kapitel 13:
Sommer 1869
Außer der Schule wurde im Sommer viel gebadet, im Winter dem Eissport gehuldigt. Das Gymnasium hatte die Berechtigung, die Badeanstalt des Seminars mit zu benutzen. Von dieser Berechtigung machten wir im ersten Sommer fleißig Gebrauch. Ohne einen eigentlichen Schwimmunterricht lernten wir das Schwimmen, nachdem uns der Bademeister einmal aus Gefälligkeit an die Leine genommen hatte. Hernach war diese Badeanstalt freilich für uns verschlossen, da das Militär, das früher schon gastweise in ihr zugelassen war, sie ganz für sich belegt hatte. Seitdem wurde das Baden mehr auf Gelegenheiten beschränkt, besonders die Besuche des Strandes dazu benutzt. Einen Sommer, 1868, zogen wir auch wie so viele Familien aus Cöslin und anderswoher in den großen Ferien mit Sack und Pack an den Strand nach SorenbohmHeute: Sarbinowo, ein Bauerndorf und Seebad in der Gmina Mielno (Landgemeinde Großmöllen) im Powiat Koszalinski (Kösliner Kreis). Es liegt auf einer Höhe von knapp über 0 Meter über dem Meeresspiegel nordwestlich Köslin unmittelbar am Ufer der Ostsee in Hinterpommern.Siehe Wikipedia.org [26]. Hier wie in den andern Stranddörfern vermieteten die Einwohner Haus bei Haus, sich selbst in Dachkammern zurückziehend, an Sommergäste, die dann ein höchst ungeniertes Badeleben führten. Sorenbohm wählten die Eltern, obgleich es nicht das nächstgelegene Stranddorf war, wohl mit Rücksicht darauf, dass sie Anschluss bei der befreundeten Familie des Superintendenten Cauße suchten. Da waren wir denn viel im Hause. Es fand in der Zeit auch ein Missionsfest statt, bei dem Vater die Predigt und der Inspektor der Goßnerschen MissionJohannes Evangelista Goßner (1773-1858) war ein deutscher Autor, Pfarrer, Kirchenlieddichter und Missionar. Siehe Wikipedia.org [27] Ansorge, ein Bekannter Vaters von der Schule her, den Bericht hielt. Immer ist mir seitdem Ansorges Art vorbildlich erschienen. Wir hingen an seinen Lippen, und noch mehr, als er dann im Pfarrgarten uns von seinen Erlebnissen in Indien erzählte. Tag für Tag versammelte sich die Jugend, nachdem am Vormittag gebadet worden war, am Nachmittag an einem Spielplatz, wo Alexander es vortrefflich verstand, die Spiele zu leiten. Vater sagte: Das Volk setzte sich nieder zu essen und zu trinken und stand auf zu spielen.
Lydia Heyer, Superintendent Caußes Nichte, mit der Elly dauernde Freundschaft schloss, und die drei Grazien aus Stargard, zu deren einer Alexander noch später zarte Beziehung fortsetzte, waren willkommene Spielgefährten. Auch der Eissport im Winter gab Gelegenheit zum Flirten.
Im Sommer 1869 benutzten wir die Sommerferien unter Verwendung unserer Spareinlagen jeder zu einer selbständigen Reise. Alexander nach Berlin und dem Riesengebirge, wohin er Alwin Thümmel aus Berlin mitnahm, ich mit Ernst Sachse nach Rügen. Unsere Frage, wo wir die Nacht in Stralsund, von wo aus wir nach Rügen übersetzten wollten, das wir aber bei der ungünstigen Verbindung erst um Mitternacht erreichen konnten, zubringen sollten, wurde uns unerwartet dadurch beantwortet, dass wir in Stettin in eine Gesellschaft Turner hinein gerieten, die in Anklam einen Turnertag abhalten wollten. So erhielten wir als Turner Sachse
und Turner Dittrich
in Anklam Nachtquartier, machten uns aber am andern Morgen aus dem Staube, um unsere Reise fortzusetzen. Vaters Kollegen, Konsistorialrat Dalmer, an den dieser uns einen Empfehlungsbrief mitgegeben hatte, damit dieser uns auf die Sehenswürdigkeiten der schönen alten Stadt aufmerksam mache, trafen wir freilich nicht zu Hause, und dass wir auf eigene Faust auf Entdeckungsreisen ausgingen und uns beispielsweise die imposanten Kirchen ansähen, dazu wollte sich Ernst Sachse nicht verstehen. So ließen wir uns, ohne viel gesehen zu haben, - worüber ich nachher zu Hause manchen Spott über mich musste ergehen lassen - bei Altefähr über den Strelasund übersetzen und langten nach einem mehrstündigen sonnigen Marsch in Bergen an, wo wir vom Rugard aus die Insel wie eine Landkarte zu unsern Füßen ausgebreitet sahen. Den andern Morgen marschierten wir nach dem Jasmunder Bodden, wo wir mit knapper Not den Dampfer erreichten, der uns nach der Halbinsel Wittow übersetzen sollte. Diese durchquerten wir und legten uns im Leuchtturm von Arkona, wo eine gute Wirtschaft war, vor Anker, von da aus die Aussicht nach den Inseln Ummanz und Hiddensee und vermittels eines Fernstechers, den ein alter, gerade anwesender Pastor uns freundlichst herlieh, auch nach der dänischen Insel Møn genossen. Einige unserer Turner von Anklam her stießen hier wieder zu uns. Mit ihnen setzten wir am folgenden Tag die Reise fort, zuerst in einem Schiffernachen über das Tromper Wiek nach Stubbenkammer, dessen aus Buchengrün hervorleuchtende Kreidefelsen wir bewunderten. Nach einem Abstecher an den Hertasee ging es weiter nach Sassnitz, das damals noch nicht das berühmte und elegante Weltbad war, und von da zum Übernachten auf einer Streu im Hülsenkrug. Der folgende Tag führte uns über die schmale Heide nach der Granitz, wo wir das prächtige Jagdschloss des Fürsten von Putbus bewunderten, und nach Putbus, wo wir abends noch in das fürstliche Hoftheater gingen. Von da ging's über den Greifswalder Bodden nach Hause.
[27] Johannes Evangelista Goßner (1773-1858) war ein deutscher Autor, Pfarrer, Kirchenlieddichter und Missionar.