Teil 3 - Cöslin, 1864 bis 1870
Kapitel 11:
Meine Konfirmation
Nun, da Frau von Löen ebenso wenig volles Zutrauen hatte zu den Cösliner Geistlichen, wurde geplant, dass ihr Siegfried mit uns in der Kirche zu Cranzen auf ein von dem dortigen Pastor ausgestelltes DimissorialeDas Dimissoriale (lat. für Entlassschein
) ist die Erlaubnis, eine kirchliche Amtshandlung aus bestimmtem Anlass (Kasualie) bei einer anderen als der eigenen Ortsgemeinde (Kirchengemeinde) durchführen zu lassen, die diese eigentlich durchführen müsste. Das Dimissoriale wird vom Pastor oder Pfarrer der eigenen Ortsgemeinde ausgestellt.Siehe Wikipedia.org [22] hin von unserm Vater konfirmiert werden solle. Die Pfingstferien 1866 brachten wir zunächst auf eine von dorther an uns ergangene Einladung in Cranzen zu. Am dritten Festtage sollte ein Missionsfest gefeiert werden, bei dem Vater die Festpredigt übernahm. Es waren schöne Tage, die wir da verlebten. Das Schloss zu Cranzen, ein alter imposanter, betürmter Bau, liegt an einem See, an dem das Dorf im Halbkreis sich herumzieht und der von bewaldeten Hügeln umgeben ist. Da wurde denn fleißig gekahnt. Siegfried hatte zwei ältere Schwestern, von denen die älteste mit einem Grafen Eulenburg verlobt war und einen jüngeren Bruder, außerdem drei jüngere Halbbrüder aus seiner Mutter zweiter Ehe. Ein älterer rechter Bruder und ein Stiefbruder aus Herrn von Löens früherer Ehe waren nicht da. Im Hause herrschte christlicher Sinn und christliche Sitte. Besonders Herr von Löen war eine prächtige Erscheinung, ein Mann von schlichter Frömmigkeit, der sein Christentum besonders auch als musterhafter Stiefvater bewies. Frau von Löen, ohnehin männlichen Geistes, war ein halber Theologe. Aber ihr Christentum war einerseits nicht frei von Enge. Da Cranzen eine mater combinatagleichwertig kombinierte Pfarreien mit einer Mutterkirche [23] hatte, in der am ersten Pfingsttage der erste Gottesdienst gehalten wurde, war der Vormittag für uns etwas lang. Dass wir Kinder uns die Zeit mit Spielen vertrieben, war uns am Ende nicht zu verargen. Frau von Löen hielt das aber für unpassend. Sie gab mir dafür eine Bilderbibel zu besehen. Weniger harmlos war, dass sie, was ich allerdings erst später bei ihr bemerkte, doch für die Edelleute einen besonderen Himmel beanspruchte. Das Missionsfest, das am dritten Festtage stattfand, war das erste, das ich im Freien verlebte, Die kleine Kirche hätte die Festteilnehmer längst nicht alle gefasst. Nach Vaters Predigt folgte ein Festbericht des Goßnerschen Missionsinspektors Prochnow, der mich sehr fesselte.
Nach Pfingsten begann dann der Konfirmandenunterricht, den Vater uns in seinem Zimmer erteilte, und an dem auch Max von Blumenthal teilnahm, bis er uns verließ und nach Halle ging. Wir wurden Gründonnerstag in 1867 in der Kirche zu Cranzen konfirmiert, mit uns noch Siegfrieds Stiefbruder Fritz von Löen, der eine Schule in Dessau besuchte. Wir brachten die Ostertage in Cranzen zu, und es waren wieder schöne Tage, die wir dort erlebten. Eine Nachricht kam in den Tagen nach Cranzen, die die Löensche Familie sehr bewegte, und auch uns nicht teilnahmslos ließ, dass nämlich Herr von Blumenthal sich genötigt gesehen hatte, sein Gut zu verkaufen. Als Käufer wurde Bismarck genannt, den wir dann in der Folge wiederholt auf dem Cösliner Bahnhof sahen, da Cöslin damals noch Endstation war und die Weiterbeförderung von da mit eigenem Wagen zu geschehen hatte.
Als im Herbst 1867 Richard von Blankenburg von uns fortging, blieb auch Siegfried von Bonin nicht länger, da die Eltern mit einem Pensionär nicht auf ihre Rechnung kamen. Ich habe dann Siegfried von Bonin als Hilfsprediger in Hannover gesehen, wo er bei den Königsulanen KönigsulanenDas Königs-Ulanen-Regiment Nr.13 war ein Verband der schweren Kavallerie des Königreichs Preußen.Siehe Wikipedia.org [24] stand. Er verheiratete sich dort und ließ seinen ersten Sohn von mir taufen. Eines Tages hielt sein Wagen vor dem FriederikenstiftDas Friederikenstift ist eines der ältesten und größten Krankenhäuser in Hannover mit Sitz in der Calenberger Neustadt an der Humboldtstraße. Es entstand aus dem eingetragenen Verein Evangelisches Diakoniewerk Friederikenstift von 1841 und ist Mitglied im Diakonischen Werk in Niedersachsen.Siehe Wikipedia.org [25]. Er kam herauf, mir ein Anliegen vorzubringen und teilte mir mit, dass seine Mutter unten im Wagen säße. Sie habe mich am Tage zuvor in der Schlosskirche predigen hören und zu ihm gesagt: Siehst du, Fidi, so weit könntest du jetzt auch sein.
Er erzählte schon, als er bei uns in Pension war, dass seine Mutter am liebsten sähe, wenn er Pastor würde. Vater lachte darüber bloß. - Ich ging selbstverständlich gleich hinunter und machte Frau von Löen meinen Kratzfuß. Ich hatte, als ich zur Taufe kam, jenen vorhin erwähnten Eindruck. Sie begehrte von mir übrigens vor allem zu wissen, ob ich auch die Teufelsentsagung hätte. Das konnte ich zu ihrer Befriedigung ihr bestätigen, da sie in der Schlosskirche beibehalten war. Im Zusammenhang damit entwickelte sie Anschauungen über das niedergefahren zu Hölle
, das sie in der Schlosskirche vermisst hatte, weil dort das Nicäum in Gebrauch ist, die ich nicht ganz unwidersprochen lassen konnte. Möglich, dass ihr infolgedessen Zweifel an meiner Rechtgläubigkeit gekommen sind.
Entlassschein) ist die Erlaubnis, eine kirchliche Amtshandlung aus bestimmtem Anlass (Kasualie) bei einer anderen als der eigenen Ortsgemeinde (Kirchengemeinde) durchführen zu lassen, die diese eigentlich durchführen müsste. Das Dimissoriale wird vom Pastor oder Pfarrer der eigenen Ortsgemeinde ausgestellt.
[23] gleichwertig kombinierte Pfarreien mit einer Mutterkirche
[24] Das Königs-Ulanen-Regiment Nr.13 war ein Verband der schweren Kavallerie des Königreichs Preußen.
[25] Das Friederikenstift ist eines der ältesten und größten Krankenhäuser in Hannover mit Sitz in der Calenberger Neustadt an der Humboldtstraße. Es entstand aus dem eingetragenen Verein Evangelisches Diakoniewerk Friederikenstift von 1841 und ist Mitglied im Diakonischen Werk in Niedersachsen.