Teil 12 - Lesum, 1906-1923
Kapitel 3
Beziehungen zur Bremer Geistlichkeit
Ich kann hier wohl einiges aus meinen Beziehungen zur Bremer Geistlichkeit einschalten. Vetter Müller hatte mich im Frühjahr 1907 auf einer der von dem evangelischen Verein
, der positiven Seite der Bremer Geistlichen, jährlich zwei- oder dreimal abgehaltenen Konferenzen eingeführt. Es wurde auf diesen Konferenzen ein Vortrag mit nachfolgender Besprechung gehalten, worauf ein gemeinsames Mittagessen stattfand, bei dem auch weiter getoastet wurde. Da bei der ersten Konferenz, an der ich teilnahm, zufällig noch zwei andere Geistliche aus dem Hannoverschen waren, nahm der alte Funke Gelegenheit, auf uns zu toasten und dabei mich als Superintendenten besonders aufs Korn zu nehmen, was er - seinem independentistischenDie Independents (dt: Unabhängige) bezeichnet die Anhänger einer religiöse Bewegung in England aus dem 17. Jahrhundert. Sie postulierten die Abkehr von der zentralisierten, hierarchisch geführten Anglikanischen Kirche.Klick hier für Wikipedia [15]
Herzen nach zu schließen natürlich etwas ironisch - für eine besondere Ehre erklärte; er hätte ja allerdings unter Superintendenten, Oberkonsistorialräten und dem ganzen Klüngel auch gute Freunde. Ich antwortete ihm sofort, dass er das für etwas Besonderes hielte, käme wohl nur davon, dass man im Bremischen Superintendenten nicht kenne; bei uns, wo sie nicht dutzend-, sondern schubweise umherliefen, mache man gar nichts daraus, um dann auf das Wohl der bremischen Geistlichkeit und ein gutes Verhältnis mit ihnen ein Glas zu leeren. Meine Worte wurden mit Heiterkeit und Beifall aufgenommen.
Ich habe noch oft und gerne an diesen Konferenzen teilgenommen. Es waren viel liebenswürdige und tüchtige Männer, die ich dort traf. Den Vorsitz führte damals ein im Ruhestand lebender Pastor Kayser aus dem Württembergischen, der es liebte, jedes Mal auf den Vortragenden in Versen zu toasten. Am meisten bekannt wurden wir, auch meine Familie, mit Büttner. Die Beziehungen zu dessen Vaterhaus legte es uns nahe, mit ihm in Verbindung zu treten. Wir trafen uns mit ihm gleich in den ersten Wochen in Scharmbeck, wo wir auf einem Missionsfest zusammen wirkten, machten ihm und seiner Frau bald darauf Besuch und meldeten Irmgard bei ihm zum Konfirmandenunterricht an. Auch Erich, Martin und Annelise haben bei ihm den Konfirmandenunterricht genossen, und allen wendete er liebevolles Interesse zu. Auch zwischen seinen und unseren Kindern entwickelte sich ein Verkehr.
In unserem Hause sahen wir außerdem Zauleck, den großen Kinderfreund, der auf einer Kindergottesdienstreise durch das russische Reich sich den Todeskeim holte und bei Gelegenheit von Missionsfesten oder Missionsgottesdiensten den feurigen Wallow, der um die Zeit aus Pommern nach Bremen kam, Boyse, der früher im Dienst der ostafrikanischen Mission gestanden hatte, Diethe von St. Stephanie, der leider in der Blüte des Lebens starb, Frick, damals in den Dienst der inneren Mission in Bremen berufen, nachher war er des frühverstorbenen Balcke Nachfolger, Geistlicher des Diakonissenhauses und Schlunk, den Vertreter der Norddeutschen Mission, jetzt auf dem Stuhl für Mission in Tübingen wirkend. Die Bekanntschaft aller dieser legte den Wunsch nahe, mit ihnen in näheren Verkehr zu treten. Die starke dienstliche Inanspruchnahme sowohl bei ihnen als bei mir ließ es nicht dazu kommen oder in den Anfängen stecken bleiben. Zu einem näheren Verkehr kam es auch nicht mit dem nächsten Nachbarn auf bremischem Gebiet, Hoops in Grambke, dem ich allerlei Material zu der von ihm verfassten Geschichte der Börde Lesum lieferte und den ich, als er, ein Meister der plattdeutschen Sprache, auf Verlangen der Gemeinde bei uns einen plattdeutschen Gottesdienst hielt und hernach auch wiederholt, als er nach längerer Zeit krank war, vertrat. Auch die übrigen Geistlichen jener Bremer Vereinigung sind mir stets mit großer Freundlichkeit begegnet. Besonders trat mir das entgegen, als ich selbst einmal einen Vortrag bei ihnen übernahm. Das Thema, das ich mir wählte, war die Sünde wider den Heiligen Geist. Seit Jahren hatte ich über dies Problem nachgedacht und war zu der Überzeugung gekommen, dass dieselbe als besonderer Begriff aus der Dogmatik auszumerzen und mit ihr nichts anderes als der Unglaube gemeint sei, der ja, weil der Heilige Geist es ist, der den Glauben an Jesum Christum wirkt (vergl. Luthers Erklärung zum 3. Artikel), Sünde wider denselben ist, und wenn Jesus sagt, dass diese Sünde nicht vergeben werde, weder in diesem noch in jenem ÄonÄon (gr. Ewigkeit
) bezeichnet allgemein ein Zeitalter. [16], damit nichts anderes gemeint sei, als dass es für den, der die Offenbarung Gottes in Christo verschmähe, kein anderes Opfer für die Sünde gäbe (Hebräer 10, 26-29Denn wenn wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, bleibt hinfort kein Opfer mehr für die Sünden, sondern ein schreckliches Warten auf das Gericht und ein wütendes Feuer, das die Widersacher verzehren wird. Wenn jemand das Gesetz des Mose missachtet, muss er sterben ohne Erbarmen auf zwei oder drei Zeugen hin. Eine wie viel härtere Strafe, meint ihr, wird der verdienen, der den Sohn Gottes mit Füßen tritt und das Blut des Bundes für unrein hält, durch das er doch geheiligt wurde, und den Geist der Gnade schmäht?
[17]), damit also über die Möglichkeit späterer Buße nicht präjudiziert sei. Die Verstockung, ein psychologisch durchaus verständlicher Zustand, hatte damit zunächst nichts zu tun. Ich hatte diese Meinung, die ja durchaus mit Luthers Traktat über die Lästerung des Heiligen Geistes übereinstimmt, früher schon einmal in unserem Briefkränzchen, das ich mit alten Freunden aus dem theologischen Verein unterhielt, ausgesprochen, damit aber keinen Anklang gefunden und besonders, als Ehlers mich aus der Schrift zu widerlegen suchte, die Aussprache darüber fallen gelassen. Überzeugt war ich aber nicht und hatte einen Vortrag darüber ausgearbeitet, den ich ursprünglich 1914 auf der Stader Konferenz halten wollte. Angesichts des damals gerade ausgebrochenen Krieges wurde aber die Stader Konferenz in diesem Jahre abgesagt, und als sie dann im Jahre 1915 wieder gehalten wurde, für dieselbe ein aktuelleres Thema verlangt. So hielt ich den Vortrag, ich glaube erst 1917, in Bremen. Er wurde freundlich aufgenommen. Doch bin ich zweifelhaft, ob man hinter meine eigentliche Meinung gekommen ist. Besonders trat mir das in einer übrigens sehr interessanten Aussprache Pastor Thyssens von St. Stephani entgegen, der das Kriegsproblem, das ja aller Gemüt bewegte, damit in Verbindung brachte. Ich schickte hinterher meinen Vortrag an die Schriftleitung der neuen kirchlichen Zeitschrift ein, da Professor Engelhardt in München auf meine Anfrage ihn aufnehmen zu wollen erklärt hatte. Derselbe sandte ihn mir jedoch, nachdem er ihn gelesen, als abschwächend
zurück. Er wurde dann in der Pastoral-Korrespondenz abgedruckt. Von seiner Wirkung kam mir nur eine Äußerung Stissers zu Ohren, der mir erklärte, ihn mit Interesse gelesen zu haben, aber auch mit mir nicht übereinstimmte.
Regel war's ja, dass bremische Geistliche selbst in diesen Konferenzen den Vortrag hielten. Zuweilen aber wurde auch einmal eine auswärtige Größe berufen. So hörte ich Julius KaftanJulius Kaftan (1848-1926) war ein evangelischer Theologe. 1883 übernahm er den früheren Lehrstuhl Friedrich Schleiermachers an der Universität Berlin. Dort amtierte er 1906/07 als Rektor.Klick hier für Wikipedia [18], wenn ich nicht irre, über verschiedene dogmatische Probleme. Höchst interessant war mir es, dass er, der ja im Lauf der Zeit zu einem Schüler Ritschls sich entwickelt hatte, in seinem Vortrag den Ausspruch tat, der vielfältige Widerspruch, den Ritschl gefunden, erkläre sich aus dem starken rationalistischen Einschlag
seiner Theologie. Noch bezeichnender war mir die Äußerung, die er in einer für weitere Kreise berechneten Abendversammlung bei Gelegenheit seiner Abwesenheit in Bremen tat: Wohl einem Hause, in dem man das Wort Verzeihen kennt. Aber wehe einem Hause, indem das Verzeihen eine Selbstverständlichkeit ist.
Ich nahm die Gelegenheit wahr, ihm zu erzählen, dass ich ihn in seinen Anfängen in Leipzig gekannt und beobachtet hätte, was er mit Interesse aufnahm. Einen anderen Vortrag hörte ich von ihm in Bremen bei einer Abendversammlung, wo er - es war während des Krieges - für einen Bund der mitteleuropäischen Staaten sich aussprach. Mir war das Projekt gleich zweifelhaft, und es sollte durch die Ereignisse in grausamster Weise zerstört werden.
Die Nähe von Bremen gab mir überhaupt Gelegenheit, öfter interessante Vorträge zu hören. So einen Vortrag von dem Kieler Theologen Otto BaumgartenOtto Baumgarten (1858-1934) war ein evangelischer Theologe und Professor der Theologie. Ab 1894 wirkte Baumgarten in Kiel als Universitätsprediger und Professor für Praktische Theologie.Klick hier für Wikipedia [19] über Ibsen, der mir Veranlassung gab, mir einige Dramen von Ibsen (Nora und Rosmersholm) anzuschaffen. Während des Krieges hörte ich einen Vortrag von dem viel genannten Johannes Müller über das Kriegsproblem, und von IhmelsLudwig Ihmels (1858-1933) war evangelisch-lutherischer Theologe. Er war der erste Landesbischof von Sachsen und Inhaber des Dogmatiklehrstuhls an der Universität Leipzig. Ihmels vertrat die theologische Strömung des Neuluthertums.Klick hier für Wikipedia [20] über Christentum und Krieg. In einer privaten Aussprache, die ich im Anschluss daran mit ihm hatte, fragte ich ihn, warum er das Recht zur Kriegsführung nicht einfach aus Römer 13Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gottes; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet. Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes; die ihr aber widerstreben, ziehen sich selbst das Urteil zu.
[21], wie Luther, hergeleitet hätte. Er wollte sich nicht recht dazu verstehen, weil doch die Stellung der Obrigkeit heute eine andere wäre als zu Luthers Zeiten. Er wollte das Recht dazu lieber in der Notwendigkeit des Schutzes der Kulturgüter eines Volkes begründet wissen, was mir der Subjektivität eines Volkes zu viel Raum lassend und folgeweise die Gefahr der Selbstüberschätzung mit sich bringend schien. Ich schickte ihm daraufhin meinen gleich darauf zu erwähnen den Vortrag, den ich zu Geestemünde gehalten, zu, und er antwortete mir, dass er sich der weitgehenden Übereinstimmung zwischen uns freue.
[16] Äon (gr.
Ewigkeit) bezeichnet allgemein ein Zeitalter.
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Denn wenn wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, bleibt hinfort kein Opfer mehr für die Sünden, sondern ein schreckliches Warten auf das Gericht und ein wütendes Feuer, das die Widersacher verzehren wird. Wenn jemand das Gesetz des Mose missachtet, muss er sterben ohne Erbarmen auf zwei oder drei Zeugen hin. Eine wie viel härtere Strafe, meint ihr, wird der verdienen, der den Sohn Gottes mit Füßen tritt und das Blut des Bundes für unrein hält, durch das er doch geheiligt wurde, und den Geist der Gnade schmäht?
[18] Julius Kaftan (1848-1926) war ein evangelischer Theologe. 1883 übernahm er den früheren Lehrstuhl Friedrich Schleiermachers an der Universität Berlin. Dort amtierte er 1906/07 als Rektor.
[19] Otto Baumgarten (1858-1934) war ein evangelischer Theologe und Professor der Theologie. Ab 1894 wirkte Baumgarten in Kiel als Universitätsprediger und Professor für Praktische Theologie.
[20] Ludwig Ihmels (1858-1933) war evangelisch-lutherischer Theologe. Er war der erste Landesbischof von Sachsen und Inhaber des Dogmatiklehrstuhls an der Universität Leipzig. Ihmels vertrat die theologische Strömung des Neuluthertums.
[21]
Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gottes; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet. Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes; die ihr aber widerstreben, ziehen sich selbst das Urteil zu.