Teil 12 - Lesum, 1906-1923
Kapitel 4
Vorträge und Konferenzen
Einen interessanten Vortrag hörte ich auch auf dem in Bremen tagenden Protestantentag von Friedrich NaumannFriedrich Naumann (1860-1919) war evangelischer Theologe, liberaler Politiker zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs, Mitbegründer des Deutschen Werkbunds und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Nach ihm ist die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit benannt.Klick hier für Wikipedia [22]. Der große Saal, in dem er sprach, war bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Name des Redners hatte wohl viele angezogen, die sonst zum Protestantentag nicht gekommen wären. Naumann war in der Tat eine imponierende Erscheinung, weit über mittelgroß mit einem mächtigen Kopf. Ist's nicht ein Bismarckkopf?
, flüsterte mir Goßmann zu, der auch von Kirchweyhe gekommen war. Naumann führte aus, dass die Reformation, die in Deutschland stecken geblieben wäre, ihre Durchführung eigentlich erst in Cromwell gefunden hätte. Im Pietismus finden sich Ansätze dazu. Aber ihm hätte die Macht gefehlt. Also hätte Speener ein paar Königsköpfe abschlagen müssen? musste ich bei mir denken.
Ich erwähnte einen Vortrag, den ich in Geestemünde gehalten hätte. Da ich ins Bremen-Verdensche gekommen war, lag es nahe, dass ich auch an der von Altersher in Stade bestehenden und mit dem dortigen Missionsfest verbundenen Pastoral-Konferenz, die ich schon von Moisburg aus einmal besuchte, teilnahm. Mein Schüler und Freund August Steinmetz, der kurz vor meiner Übersiedelung nach Lesum als Superintendent nach Neuhaus an der Elbe gekommen war, lud mich als Vorsitzender des Jahres - ich glaube, es war 1910 - ein, bei der Konferenz die einleitende erbauliche Ansprache zu halten. Kurz vorher hatte ich von Schulrat SanderFerdinand Sander (1840-1921) war ein deutscher Pädagoge, protestantischer Pfarrer und Autor.Klick hier für Wikipedia [23] in Bremen, den ich wegen der Zukunft Käthes und Irmgards um Rat gefragt und der als früherer Waisenhaus- und Gymnasialdirektor in Bunzlau über die Familie meiner Mutter, besonders Onkel Hermann [Rogge] und Langs, orientiert war, gehört, dass meine Base Hedwig Albertz, Tochter Onkel Hermanns, nach dem Tode ihres Mannes nach Stade gezogen wäre, wo ihre Tochter Magdalene als Lehrerin Anstellung gefunden. Auch Senior von Staden machte mich, als er gehört, dass ich zur Stader Konferenz käme, auf diese Verwandte aufmerksam. So meldete ich mich bei ihr als Logiergast an und wurde freudig willkommen geheißen. Ich machte übrigens den Umweg über Neuhaus, fand dann meine Base in Stade zwar älter geworden, aber im Übrigen unverändert und mit unverminderter Herzlichkeit. Ich lernte außer ihrer Tochter auch ihren jüngsten Sohn, damals Studiosus der Theologie, der seine Ferien bei der Mutter verbrachte, kennen, und es entspannen sich ein Verkehr, der bis zu Magdalene Albertz' Verheiratung mit Wilhelm Wendebourg, mit dem sie dann bald an das Henriettenstift in Hannover übersiedelte und wohin ihre Mutter ihr wieder folgte, fortgesetzt wurde, wenn auch in den letzten Jahren durch die Kriegsläufte gehemmt. Von mir wurde er durch den in den nächsten Jahren regelmäßigen Besuch der Stader Konferenz auf dem Laufenden gehalten. Auch Elisabeth begleitete mich wenigstens einmal dahin. Aber auch Base Hedwig besuchte uns in Lesum, ebenso die beiden Kinder, die ich bei ihr kennen gelernt. In Stade ging es nach der Rede: Mit gegangen, mit gefangen
. Wer einmal eine Arbeit daselbst, sei es erbauliche Ansprache, sei es Vortrag, übernommen hatte, war damit in den Vorstand der Konferenz für das nächste Jahr gewählt, der ja wie das römische Konsulat jährlich wechselte. Ich musste also im folgenden Jahre den Vorsitz übernehmen und wurde dann auch, gelegentlich den Satzungen der Konferenz zuwider, denn jeder sollte eigentlich nur einmal im Vorstande sein, aber es wurden auch wie beim römische Konsulat Ausnahmen gemacht, wie vorhin erwähnt, für das Jahr 1914 zu einem Vortrag aufgefordert. Aus erwähnten Gründen kam die betreffende Konferenz erst 1915 zu Stande, und ich trug über Einzelethik und Völkerethik
vor. Die Folge war, dass ich im folgenden Jahre von der Konferenz lutherischer Theologen an der Unterweser aufgefordert wurde, bei der dortigen Tagung in Geestemünde über ein ähnliches Thema zu sprechen. Ich wählte diesmal das Thema: Der Krieg und die Bergpredigt
. Der Vortrag wurde im Barmer Kirchenblatt abgedruckt, dann noch einmal in der Pastoralkorrespondenz, auf Bitte des Schriftleiters, Pastor Hardeland in Lüneburg, und ein Exemplar schickte ich wie erwähnt an [Ludwig] Ihmels.
Übrigens habe ich von Lesum aus auch einmal einen Vortrag auf der Konferenz in Osnabrück gehalten. Ich hatte von Diepholz aus schon einmal einen solchen zugesagt, aber dann wieder abgesagt, weil mir das Thema, ich weiß nicht mehr, was es war, absolut nicht lag. Nun forderte man von mir, es war im Frühjahr 1908, Einlösung des früher gegebenen Versprechens. Nun hatte mein Nachfolger in Diepholz, Superintendent Penshorn, um die Zeit ein Hilfsbüchlein für seinen Konfirmandenunterricht herausgegeben, das recht schwach war - Bückmann rezensierte es ziemlich unbarmherzig in der Pastoral-Korrespondenz, was Penshorn nicht wenig in Harnisch brachte, - besonders eine Lehre über den Eid aufstellte, die uns unbegreiflich erscheinen ließ, dass Penshorn nicht Mennonit geworden war, wie er denn auch die Mennoniten ausdrücklich als diejenigen bezeichnete, die das Eidesgebot des Herrn hielten. Ich wählte deshalb das Thema auf den Eid, um ihm gegenüber die lutherische Lehre vom Eide vorzutragen. Meine Befürchtung, ich möchte damit Eulen nach Athen tragen, erwies sich als unnötig, denn die meisten Hörer opponierten mir und trugen allerlei unklare Theorien vor. Besonders Superintendent Rolffs, der übrigens hernach mit meinen praktischen Vorschlägen sich einverstanden erklärte, war theoretisch gar nicht mit mir einverstanden. Nur Richter aus Barnstorf und Heise aus Dissen traten entschieden auf meine Seite. Heintze-Lintorf war leider verhindert, da an dem Tage sein 25-jähriges Ortsjubiläum in Lintorf gefeiert wurde, das auch sonst die Teilnehmer aus der Inspektion Buer fernhielt. Penshorn selbst konnte den Vortrag nicht mehr hören, sondern stellte erst zur Diskussion sich ein, bedauerte aber, als ich ihm sagte, dass ich früher zum Eide ebenso gestanden, dies aber als eine Unklarheit erkannt hätte, meinen Stellungswechsel. Übrigens begleitete ich ihn nach Diepholz und war bis zum andern Tage sein Gast, sah mir bei dieser Gelegenheit das neue Kreiskrankenhaus an, das zu meiner Zeit geplant, aber noch nicht gebaut war.
Da ich bei Konferenzen bin, will ich gleich noch hinzufügen, dass ich seit dem Jahr 1910 vom Ausschuss der Pfingstkonferenz zur engeren Konferenz der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenzen [AELK] delegiert wurde. Da bin ich denn eine ganze Reihe von Jahren hindurch regelmäßig in der Pfingstwoche nach Leipzig gereist, wo die Konferenz unter dem Vorsitz von Ihmels tagte, und habe neben Männern, die ich von früher her kannte, wie Oberkirchenrat Haack-Schwerin, General-Superintendent Braune-Rudolstadt Pastor Möller-Gütersloh auch Männer wie Exzellenz Petersen-Hamburg, Generalsuperintendent [Theodor] Kaftan, Generalsuperintendent [Wilhelm] Zöllner-Münster, Pastor Siebold-Gütersloh, Superintendent Wetzel-Neumark und Superintendent Matthes-Kolberg kennen gelernt. Auch meinen alten Freund Brauer sah ich wieder. Da in dieselbe Woche das Leipziger Missionsfest und die Leipziger Pastoralkonferenz fielen, nahm ich auch daran teil. Zum Absteigequartier nahm ich regelmäßig das Haus meines alten Freundes Schnedermann in Leutzsch. Das war immer ein erquickliches Zusammensein, da wir eine fast durchgehende Seelenharmonie mit ihm jedes Mal feststellen konnten. Auch seine Frau schloss sich dem Freundschaftsbunde an. Auch den für die stetig wachsende Großstadtgemeinde zum zweiten Pfarrer ernannten Magawly, einen livländischen Edelmann, lernte ich bei ihm kennen und schätzen. Da ich in der auf die Leipziger Konferenz folgenden Woche der Pfingstkonferenz Bericht zu erstatten hatte, füllte ich die dazwischenliegenden Tage, da ich nicht wohl zwischendurch nach Hause reisen konnte, mit anderen Besuchen aus. Im ersten Jahr besuchte ich [Heinrich] Jentsch in Kohren und dann Steinmetz in Göttingen, wohin inzwischen Gerhard, der im Herbst 1908 von Rostock nach Leipzig gegangen, im Herbst 1909 übergesiedelt war, und freute mich seiner bis ins hohe Alter bewahrten Geistesfrische. Ich hörte ihn, es war ein Trinitatis-Sonntag, predigen in alter Weise. Er hatte an dem Tage außerdem eine Privatkonfirmation, der am Sonnabend die Beichte vorangegangen war, und am Abend eine häusliche Leichenfeier für den eben verstorbenen Geheimrat PlanckGottlieb Planck (1824-1910) war ein deutscher Richter und Politiker.Klick hier für Wikipedia [24], den Hauptverfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches, zu halten und war am Abend in Zusammensein mit Gerhard und mir mitteilsam und anregend wie nur je.
[23] Ferdinand Sander (1840-1921) war ein deutscher Pädagoge, protestantischer Pfarrer und Autor.
[24] Gottlieb Planck (1824-1910) war ein deutscher Richter und Politiker.