Teil 12 - Lesum, 1906-1923
Kapitel 5
Das 25-jährige Amtsjubiläum von Steinmetz
Schon zwei Jahre vorher, am 1. Juli 1908, hatte ich an seinem goldenen Amtsjubiläum teilgenommen. Freund Ehrenfeuchter, mit dem ich, seit sein ältester Sohn, den ich einst über die Taufe gehalten hatte, wiederholt mich besucht, ich auch einmal bei ihm in Loccum, wo er als Hospes war, gewesen war, in Konnex getreten war, hatte angeregt, ob wir alten Luccenser Steinmetz bei seinem fünfundzwanzigjährigen Amtsjubiläum als Pastor von St. Albani nicht eine Aufmerksamkeit erweisen wollten. Ich hatte ihm erwidert, passend erschienen mir hierfür der bald darauf folgende Tag seines 50-jährigen Jubiläums. Ehrenfeuchter war darauf eingegangen, und ich richtete deshalb Zirkular an alle alten Luccenser, die zu Steinmetz' Zeit durch Loccum gegangen waren, und deren Anschrift Ehrenfeuchter Junior mir verschafft hatte, zu einem Ehrengeschenk für Steinmetz sie auffordernd. Der Aufforderung wurde bereitwillig entsprochen und eine Summe aufgebracht, für die ein von der Firma Wilckens in Hemelingen hergestelltes Kruzifix von Ebenholz mit silbernem Corpus und eine von Bückmann verfasste, von Zaulecks Sohn, der Architekt war, künstlerisch ausgeführte Adresse beschafft wurde. Da Bückmann verhindert war, übernahm ich es, in Gemeinschaft mit Ehrenfeuchter und August Kranold beides am Jubiläumstage zu überreichen. Bei Ehrenfeuchter, der inzwischen Pastor von Mengershausen bei Göttingen geworden war, stieg ich ab und lernte dort seine Töchter kennen und sah seine schwer nervenleidende und völlig taub gewordene Frau wieder, die von Mann und Kindern mit rührender Treue gepflegt wurde. Am Jubiläumstage selbst wohnte ich zunächst dem Festgottesdienst in der Albanikirche bei, in dem Pastor Saathof, damals Steinmetz' Kollaborator, später Pastor sec., den Jubilar anredete, worauf Steinmetz selbst, in bürgerlichem Rock, in schlichten Worten seinen Empfindungen Ausdruck gab. Nach dem Gottesdienst fand im Pfarrhaus Empfang der Gratulationsdeputationen statt. Wir Luccenser kamen unmittelbar hinter der vollständig erschienenen theologischen Fakultät, die durch ihren Dekan Titius eine Adresse überreichte, zu Worte. Auf jede Anrede antwortete der Jubilar. Sowohl bei dieser Feier wie bei dem im Gasthof zur Krone veranstalteten Festmahl zeigte sich's, welche Verehrung Steinmetz in seinem langjährigen Wirken sich erworben hatte. Ich sah gelegentlich des Festmahls auch meinen ehemaligen Schulkameraden und Alexanders Freund Ernst Lehmann wieder, der als Oberstleutnant a.D. und Bürovorsteher in Göttingen lebte und dem ich dann noch in sein Haus folgen musste, wo ich auch seine über 80 Jahre alte Mutter wieder sah. Abends war ich dann auf Steinmetz' Einladung noch bei seiner familiären Vereinigung in der Albanipfarre. August Steinmetz, mit dem ich auf den Reisen nach Göttingen zusammentraf, hatte mir bei derselben schon gesagt, dass sein Vater auf die Gratulation der Luccenser sich besonders freue. Und bei späteren Besuchen in Göttingen wurde mir's ausgesprochen, welche Freude ihm unser Geschenk, das seinen Schreibtisch zierte, fort und fort bereitete.
Doch ich bin von meinen Reisen zur Engeren Konferenz abgekommen. In den Jahren nach 1910 füllte ich die Zeit zwischen Engerer Konferenz und Pfingstkonferenz regelmäßig mit einem Abstecher nach Dresden aus. Fräulein Schunk, deren unzertrennliche Gefährtin meine Schwester Grete gewesen war, war hochbetagt gestorben und hatte in ihrem Testament ihre treue Pflegerin so reichlich bedacht, dass diese für sich gut leben konnte. Mutter [Meta Dittrich geb. Rogge] hatte in Voraussicht dessen schon lange zuvor den Beschluss gefasst, mit Grete, an die sie ja von früher her am meisten gewöhnt war, zusammenzuziehen, und hatte sich, da Grete entschieden erklärt hatte, nicht nach Swinemünde zu gehen, sondern mehr im Mittelpunkt Deutschlands bleiben zu wollen, und in Dresden-Loschwitz sich eingemietet hatte, entschlossen, auch dorthin zu ziehen. Onkel Bernhard [Rogge], der mich im Frühjahr 1910 eines Sonntags von Bremen aus, wo er in einer befreundeten Familie eine Haustaufe verrichtet hatte, zu Auto überfiel, kurz nach Fräulein Schunks Tode, hatte zwar, da er von Mutters Plänen gehört, mich bestürmt, meinen Einfluss geltend zu machen, dass Mutter in Swinemünde bleibe, denn alte Bäume soll man nicht mehr verpflanzen
. Ich hatte ihm aber gleich geantwortet, er überschätzte meinen Einfluss, und Mutter, der ich von Onkel Bernhards Bedenken schuldig Kenntnis gab, bestätigte mir das in vollem Maße. So kam die Übersiedelung zustande, und ich war von da an um den Trinitatis-Sonntag ständiger Gast in Loschwitz. Onkel Bernhard hatte übrigens recht mit seinen Bedenken. Das Zusammensein Mutters mit Grete gestaltete sich nicht so erquicklich, wie beide sich gedacht hatten. Mutter, von jeher engbrüstig und kurzatmig gewesen, war es natürlich im hohen Alter noch mehr geworden und konnte, auf einer Etage zwei Treppen hoch sitzend, die Schönheit ihrer Umgebung nicht mehr so genießen, wie sie es sich früher, da man mit einem so langen Leben Fräulein Schunks gar nicht gerechnet hatte, wohl gedacht. Dazu konnte sie sich an Gretchens in den langen Jahren, wo sie im Grunde das Haus Fräulein Schunks regiert hatte, viel größer gewordene Selbstständigkeit, von der sie begreiflicherweise nicht wieder zu einer gewöhnlichen Stütze
degradiert werden wollte, nicht gewöhnen. So gab es zwischen beiden leicht Misshelligkeiten und Verstimmungen, und ich musste, wenn ich da war, zwischen beiden lavieren. Aber es waren doch wundervolle Tage, wenn ich da sein durfte. Ich fühlte es, wie sich Mutter meines Besuchs freute und wie wir einander immer besser verstanden. Und Gretchen machte es sichtlich Freude, mir alles, was Natur und Kunst in Dresden bot, zu zeigen und zu sehen, wie ich das genoss. Einmal besuchte ich von da aus auch meinen alten Freund Rudolf Wagner in Niederlößnitz. Und im Jahre 1913 - Mutter war inzwischen schon heimgegangen - begleitete mich Elisabeth und genoss die Tage bei Schnedermanns in Leipzig und bei Grete in Loschwitz.