Teil 4 - Leipzig, 1870 bis 1873
Kapitel 16:
Aufnahme in den theologischen Verein
Bald nach Pfingsten erfolgte dann meine Aufnahme in den theologischen Verein. Meine Arbeit hatte die Kritik passiert. Auch gegen meine Person war kein Einspruch erhoben. So wurde ich denn herzlich willkommen geheißen. Einer schwang sich sogar zu einem poetischen Willkommensgruß in der Kneipzeitung Eulalia oder das Schandmaul
auf. Meine Aufnahme bezeichnete für das Vereinsleben durch einen von außen her eingreifenden Umstand einen gewissen Abschnitt. In der vorangehenden Woche hatte die erste sächsische Landessynode stattgefunden. Vertreter der theologischen Fakultät auf derselben war Luthardt gewesen, der deshalb auch seine Vorlesungen hatte aussetzen müssen und die dafür mehrere Wochen lang sechsstündig statt einstündig hielt. Auf der Synode hatte er Zarncke, der als Rektor der Universität an derselben teilnahm, gegenüber gestanden. Zarncke hatte, als es sich um die Ordinationsverpflichtung der Geistlichen handelte, eine Verpflichtungsform gefordert die auch für einem David StraußDavid Friedrich Strauß (1808-1874) war ein deutscher Schriftsteller, Philosoph und Theologe. Er ist der Namensgeber des
, schließlich aber sich mit Luthardt und der überwältigenden Mehrheit auf eine von Baur vorgeschlagene vermittelnde Form geeint. Luthardt hatte gleich nach Beendigung der Synode im Kolleg uns über die wesentlichen Verhandlungen berichtet. An dem Abend meiner Aufnahme in den theologischen Verein fand nun seitens einiger hundert Studenten eine Kundgebung für Zarncke wegen seines Straussenhandels
. Strauss sollte 1839 Professor für Dogmatik und Kirchengeschichte an der Universität Zürich werden. Aufgrund des von orthodoxen Pfarrern konzertierten Widerstandes der Bevölkerung wurde er noch vor Antritt seiner Stelle in den Ruhestand versetzt.Siehe Wikipedia.org [103] Raum ließmannhaften Eintretens für die Freiheit der Wissenschaft
statt. Sie versammelten sich vor seiner Wohnung und brachten ihm ein Hoch aus. Übrigens wurde behauptet - bestimmt weiß ich es nicht - Sr. Magnifizenz sei gar nicht zu Hause gewesen, und statt seiner hätte nur das Dienstmädchen den Studenten geantwortet. Jedenfalls wurde bei uns auf der Kneipe die Meinung geäußert, dass auch wir unsrerseits eine Kundgebung für Luthardt veranstalten müssten, damit die Zeitungen nicht den altbewährten Freisinn der Leipziger Studentenschaft
rühmten, sondern es zu Tage träte, dass auch noch andere Elemente in derselben vertreten seien.
Einer aus unserer Mitte, JentschHeinrich Jentsch (1848-1918), siehe Fußnote [107] [104], übernahm es, mit andern Korporationen, in denen man Gesinnungsgemeinschaft voraussetzen könne, in Verbindung zu treten und Zarncke um Überlassung eines Auditoriums zur Beratung der fraglichen Kundgebung zu bitten. Zarncke entsprach dem Ersuchen bereitwilligst und erklärte dabei, wie peinlich es ihm sei, wenn man ihn zu seinem Kollegen in Gegensatz bringe. Die Versammlung fand dann meines Wissens schon am folgenden Tage im Auditorium über dem Konvikt statt. Jentsch leitete sie und brachte eine Adresse für Luthardt in Vorschlag. Der Verlauf der Verhandlung war übrigens sehr unerquicklich. War schon der Anschlag, der zu der Versammlung einlud, mit spöttischen Bemerkungen versehen worden, so drängte sich eine Menge ungeladener Gäste in die Versammlung ein, um sie auf eine jedenfalls nicht studentische Weise zu stören. Es ging infolgedessen ziemlich stürmisch zu, und nur mit Mühe konnte der Beschluss einer Adresse gefasst werden, die dann von Jentsch, ich glaube in Verbindung mit einigen andern, ausgearbeitet und beim Kastellan zur Unterschrift ausgelegt wurde. Es folgte hinterher noch eine Pressfehde PressfehdeEs könnte sich um so etwas wie eine Schmähschrift gehandelt haben. [105]. Im Leipziger Tageblatt war von Seiten der Gegenpartei ein höchst entstellender Bericht gebracht worden, auf den Richtigstellungen von unserer Seite erfolgten. Insbesondere hatte Jentsch, von Zarncke dazu autorisiert, auch dessen Äußerung über sein Verhältnis zu Luthardt wiedergegeben. Luthardt selbst, den wir natürlich am Tage der Versammlung mit begeistertem Getrampel begrüßten, äußerte sich auch noch wiederholt im Kolleg zu der ganzen Angelegenheit. Von einer öffentlichen Überreichung der Adresse bat er Abstand zu nehmen. Darauf hatte Jentsch sie ihm mit einem persönlichen Anschreiben durch die Post zugesandt, und er versicherte uns, dass sie ihm mit den unterschriebenen Namen ein liebes Andenken sein werde. Schließlich bat er, indem er uns das Zeugnis gab, dass unsere Veröffentlichungen in der Angelegenheit durchweg für jeden Unparteiischen einen viel würdigeren Eindruck machten als die von der Gegenseite, es der Ehre genug sein zu lassen.
Straussenhandels. Strauss sollte 1839 Professor für Dogmatik und Kirchengeschichte an der Universität Zürich werden. Aufgrund des von orthodoxen Pfarrern konzertierten Widerstandes der Bevölkerung wurde er noch vor Antritt seiner Stelle in den Ruhestand versetzt.
[104] Heinrich Jentsch (1848-1918), siehe Fußnote 107
[105] Es könnte sich um so etwas wie eine Schmähschrift gehandelt haben.