Teil 4 - Leipzig, 1870 bis 1873
Kapitel 3:
Antrittsbesuche
Am Tage nach meiner Immatrikulation wiederholte ich dann meinen Besuch bei Kahnis, und zwar, wie er mir gesagt, in seiner Sprechstunde. Ich traf mehrere Kommilitonen daselbst, unter ihnen auch einige, die ich bei der Inskription schon gesehen zu haben mich erinnerte. Kahnis unterhielt sich mit uns über unser Studium und fragte, welche Vorlesungen wir hören wollten. Es freute mich, da auch die anderen, die ebenso wie ich krasse Füchse waren, Kirchengeschichte bei Kahnis, obgleich derselbe zweiten Teil angekündigt hatte, und Johannesevangelium bei LuthardtChristoph Ernst Luthardt (1823-1902) war ein lutherischer Theologe. Er lehrte an der Uni Leipzig 40 Jahre. Luthardt war ein Vertreter des strengen Luthertums und Mitglied der neulutherischen Erweckungsbewegung.Siehe Wikipedia.org [12] hören wollten. Vater war bei Aufstellung des Studienplanes zweifelhaft gewesen, ob das Johannesevangelium für das erste Semester nicht noch zu schwer sei, hatte aber schließlich dafür entschieden, da der Name Luthardts ihn dazu bestimmte. Kahnis hatte dann auch nichts einzuwenden. Als die übrigen sich empfahlen, behielt er mich noch einen Augenblick zurück, und da hörte ich denn zum ersten Mal warme Töne in der fremden Stadt, die mir wohl taten. Er forderte mich auf, wo ich Rat und Hilfe bedürfte, mich nur an ihn zu wenden, stellte mir auch seine Bibliothek zur Verfügung - ich hatte schon die alle Wände seines großen Zimmers anfüllenden Bücherregale bewundert - und sagte, dass seine Frau augenblicklich verreist wäre, wenn sie aber zurückgekehrt sei, hoffe er, mich auch in seinem Hause öfter zu sehen.
Zwei weitere Professorenbesuche machte ich in diesen ersten Tagen auch noch, den einen bei Georg EbersGeorg Moritz Ebers (1837-1898) war ein Ägyptologe und Schriftsteller. Mit seinen historischen Romanen und populärwissenschaftlichen Büchern trug er zur großen Popularität der Ägyptologie im ausgehenden 19. Jahrhundert bei.Siehe Wikipedia.org [13], dem später so viel gefeierten, aber auch viel angegriffenen Romanschriftsteller, der den eben errichteten Lehrstuhl für Ägyptologie erhalten hatte. Eberty hatte mich an ihn, mit dem er verwandtschaftliche Beziehungen hatte, empfohlen. Da ich mich als stud. theol. et phil. hatte inskribieren lassen, ging er mit mir besonders philologische Vorlesungen durch, die er mir zu hören empfahl, sprach sich auch besonders anerkennend über DelitzschFranz Julius Delitzsch (1813-1890) war evangelisch-lutherischer Theologe mit dem Schwerpunkt alttestamentliche Exegese und Aktivist der christlichen Judenmission. Er gilt bis heute als herausragender Kenner der hebräischen Sprache.Siehe Wikipedia.org [14] aus, während er die Richtung von Kahnis und Luthardt nicht zu teilen bekannte. Ich bin aber nicht bekannter mit ihm geworden. Einige Male entschuldigte er sich noch, wenn er mich sah, mit häuslichen Verhältnissen - Krankheit der Kinder und ein Todesfall - später wurde er zu einer neuen Reise nach den Nilländern beurlaubt, auf der er einen wichtigen Papyrus entdeckte.
Der andere Professor, den ich noch in den ersten Tagen besuchte, war Hölemann, das an Jahren älteste Mitglied der theologischen Fakultät, der es aber nur zum ordentlichen Honorarprofessor gebracht hatte, da er kirchlich und politisch als Vertreter der äußersten Rechten nach oben missliebig war. Er hatte die seinerzeit von Wiener begründete Gesellschaft des Alten und Neuen Testamentes übernommen, die nun die societas holemannia hieß, und zu derselben wollte ich mich bei ihm anmelden. Generalsuperintendent JaspisAlbert Sigismund Jaspis (1809-1885) war ein lutherischer Theologe und Generalsuperintendent von Pommern.Siehe Wikipedia.org [15] hatte veranlasst, dass allen pommerschen Abiturienten, die zur Theologie abgingen, die Mahnung in ihr Reifezeugnis geschrieben wurde, philologische Studien und besonders die Übung im Lateinsprechen und -schreiben nicht zu vernachlässigen. Hölemann war seinerzeit von Wiener wegen seiner Meisterschaft im Lateinischen - er ist auch der Verfasser der lateinischen Inschrift des Bandelschen HermannsdenkmalsDas Hermannsdenkmal ist eine Kolossalstatue in der Nähe von Hiddesen südwestlich von Detmold in Nordrhein-Westfalen im südlichen Teutoburger Wald. Es wurde zwischen 1838 und 1875 nach Entwürfen von Ernst von Bandel erbaut. Das Denkmal soll an den Cheruskerfürsten Arminius erinnern, insbesondere an die Schlacht im Teutoburger Wald, in der germanische Stämme unter seiner Führung drei römischen Legionen unter Publius Quinctilius Varus im Jahre 9 eine entscheidende Niederlage beibrachten.Siehe Wikipedia.org [16] im Teutoburger Wald - der letzte Römer genannt worden. Auch Kahnis rühmte sein Latein. Er nahm mich auch sehr freundlich auf und erbot sich mir zur Hilfe mit Rat und Tat.
Am selben Tage, an dem ich mich bei Hölemann meldete, traf auch mein Konabiturient Ernst Sachse, der in Leipzig Jura studieren wollte, ein. Ich hatte bei einer Schwester seines Vaters, die an den Professor der Medizin, ReclamKarl Heinrich Reclam (1821-1887) war ein Arzt und populär-medizinischer Schriftsteller.Siehe Wikipedia.org [17], verheiratet war, mich nach dem Zeitpunkt seines Eintreffens erkundigt und holte ihn von der Bahn ab. Professor Reclam verschaffte uns beiden eine Eintrittskarte zum Klapperkasten
, einer Art Ressource, die auch den Leipziger Karneval in Szene gesetzt hatte. Nach einer Kartoffelsuppe, die wir bei Reclams eingenommen und die mir vortrefflich schmeckte, weil ich bis dahin aus Besorgnis, nicht auszukommen, mir kein Abendessen geleistet hatte, gingen wir in den Klapperkasten
, ödeten uns aber ziemlich, da wir keinerlei Anschluss hatten. Ich habe dann Professor Reclam nur noch einmal gesehen, als ich an einem Spaziergang, den er mit Ernst und einigen andern Studenten eines Sonntagsnachmittags nach Gohlis machte, teilnahm, wo ich das Nationalgetränk der Leipziger, die GoseDie Gose ist eine Biersorte, die ursprünglich aus Goslar stammt. Im Mittelalter fand die Gose vom Harz aus Verbreitung und etablierte sich vor allem in der Gegend um Dessau, Halle und Leipzig.Siehe Wikipedia.org [18],
kennen lernte, der ich aber keinen Geschmack abgewann.
[13] Georg Moritz Ebers (1837-1898) war ein Ägyptologe und Schriftsteller. Mit seinen historischen Romanen und populärwissenschaftlichen Büchern trug er zur großen Popularität der Ägyptologie im ausgehenden 19. Jahrhundert bei.
[14] Franz Julius Delitzsch (1813-1890) war evangelisch-lutherischer Theologe mit dem Schwerpunkt alttestamentliche Exegese und Aktivist der christlichen Judenmission. Er gilt bis heute als herausragender Kenner der hebräischen Sprache.
[15] Albert Sigismund Jaspis (1809-1885) war ein lutherischer Theologe und Generalsuperintendent von Pommern.
[16] Das Hermannsdenkmal ist eine Kolossalstatue in der Nähe von Hiddesen südwestlich von Detmold in Nordrhein-Westfalen im südlichen Teutoburger Wald. Es wurde zwischen 1838 und 1875 nach Entwürfen von Ernst von Bandel erbaut. Das Denkmal soll an den Cheruskerfürsten Arminius erinnern, insbesondere an die Schlacht im Teutoburger Wald, in der germanische Stämme unter seiner Führung drei römischen Legionen unter Publius Quinctilius Varus im Jahre 9 eine entscheidende Niederlage beibrachten.
[17] Karl Heinrich Reclam (1821-1887) war ein Arzt und populär-medizinischer Schriftsteller.
[18] Die Gose ist eine Biersorte, die ursprünglich aus Goslar stammt. Im Mittelalter fand die Gose vom Harz aus Verbreitung und etablierte sich vor allem in der Gegend um Dessau, Halle und Leipzig.