11Feb2015

Helden des Gartens

Günter Matiba

Der amerikanische Schriftsteller Thornton Wilder hat einmal getextet: Gartenarbeit – das ist ein ununterbrochener Kampf gegen die Natur, die dem Menschen ihren Willen aufzuzwingen versucht. Jeder, der einen Garten pflegt, verdient eigentlich eine Tapferkeitsmedaille.

Wenn Sie keinen Garten haben, liebe Leserin, lieber Leser, dann hören Sie ruhig auf weiterzulesen. Sie würden den Text emotional nicht erfassen können. Oder sollte ich mich irren? Dann versuchen Sie es einmal.

Es geht mir um die Sturheit und Unverwüstbarkeit der Natur, vornehmlich der Pflanzenwelt. Ich meine nicht die hochgezüchteten und deshalb so empfindlichen Nutz- und Kulturpflanzen. Sie werden ja von Menschen, den Gartenbesitzern, oft für richtig viel Geld gesät oder gepflanzt, dann gedüngt und bewässert, gehätschelt und gepflegt. Aber ehe deren Saat aufgeht oder wenn sie als kleine Pflanzen so schön in Reih und Glied gesetzt worden sind, bleiben sie nicht alleine auf dem Fleckchen Erde, sondern sie bekommen Gesellschaft von …?
Jawoll, und damit sind wir beim Thema. Von uns ungewollt, ungesät und ungepflanzt wächst – Unkraut. Heute sagen wir Wildkraut und täuschen mit diesem Wort ein besseres Verständnis für die Natur vor.

Wie wirken die Wildkräuter auf uns Hobby-Gärtner? Wir entwickeln mörderische Abwehrmaßnahmen. Mit größter Akribie reißen wir sie im zarten Kindesalter herzlos aus dem Boden, damit unsere empfindlichen Pflanzenfavoriten Platz zur Entfaltung bekommen. Das nennt man dann jäten. Verschwitzt und mit schmerzendem Rücken glaubt nun der Mensch nach getaner Arbeit, den Kampf gewonnen zu haben. Aber nach wenigen Tagen begrünt sich die Erde wiederum dort, wo man geglaubt hat, eine endgültige Ausrottungsaktion vorgenommen zu haben. Wer hat das bloß gesät! Ärger steigt hoch. Und die Jäterei beginnt von vorn. So geht es die ganzen Sommermonate. Nur wenn der Sommer sehr regenarm ist, wird das Jäten nicht so intensiv. Aber dafür muss man wieder Unmengen Wasser in vollen Gießkannen heranschleppen. Das ist auch nicht gut fürs geplagte Kreuz.

Besonders zeit- und kraftraubend empfinde ich das Auskratzen der Fugen zwischen den Gehwegplatten. Der Frust ist groß, wenn nach einigen Tagen meine Arbeit einfach ignoriert wird und die Wildkräuter wiederum die schmalen Plattenabstände füllen. Mein Nachbar geht mit der chemischen Keule gegen sie vor. Aber das ist nicht meine Philosophie. Heute las ich in der Zeitung, dass die Bevölkerung zu einer Aktion aufgerufen wird, das asiatische Springkraut auszureißen. Es vermehrt sich, indem es seinen Samen bis zu sagenhaften 7 Metern weit schleudern kann.

Mittlerweile – ich bin bekanntlich in die Jahre gekommen – habe ich eine riesengroße Hochachtung bekommen vor allen diesen Pflanzen, genannt Unkraut. Keiner sät sie, alle töten sie und versuchen sie auszurotten. Aber sie kommen immer wieder mit unsagbarer Widerstandskraft. Wenn man sie groß und erwachsen werden lässt, zeigen sie oft wunderschöne Blüten und Formen, ich habe es ausprobiert. Meine Gänseblümchen im Rasen blühen in milden Wintern oft noch im Dezember und Januar.

Reisebedingt hatten wir unsere Terrasse einige Zeit nicht benutzt. Dadurch hatten die Wildkräuter eine ungestörte Umwelt. Nun schaut mich mitten zwischen den Waschbetonplatten kühn und keck ein einzelnes Hornveilchen mit seinem lila Köpfchen an. Um es herum hat sich in den Fugen eine Heerschar von Wegerich, Vogelmiere, Gras, ausgesiedelten Teichpflänzchen und vieles mehr aufgestellt und erwartet meinen Angriff mit dem scharfen Stahl. Ungeschützt stehen sie da. Weglaufen können sie auch nicht. Gnade können sie an dieser Stelle nicht erwarten.
Sie wissen, dass sie den Kampf verlieren und sterben werden, aber auch, dass ihre Nachkommen letztendlich den Krieg, den sie nicht wollten, gewinnen werden. Doch können sie überhaupt denken, planen und entscheiden? Sicherlich nicht. Ihr Wirken ist wohl Ausdruck eines genialen Schöpfungsplanes.

Ähnlich geht es den Amseln. Sie bauen immer wieder oben offene Nester und brüten darin. Oft kommen Nesträuber und fressen die Eier oder Küken auf. Die Alten veranstalten dann vergeblich ein Riesengeschrei mit aufgeregten Flugattacken. Aber sie beginnen das Brutgeschäft immer wieder neu und folgen ihrem Trieb.

Das Mitleid und die Achtung vor diesen Lebewesen hat mich nicht verlassen – trotz der unaufhörlichen Arbeit. Wenn so im März der Rasenteppich erwacht, wen sehe ich da? Natürlich die Gänseblümchen, die Unkaputtbaren, die, wie gesagt, auch im Dezember und Januar blühen, wenn kein Schnee liegt. Aber auch die ersten Veilchen hier und da. Violett und wunderbar duftend schauen sie mich treuherzig an, dann weiß ich, bald wird's Frühling und meine Stimmung steigt. Beim ersten Rasenmähen umfahre ich sie sorgfältig und gebe sie nicht den rotierenden Messern preis. Ich bringe es nicht übers Herz, auch wenn mein Nachbar mir durch Blicke zu verstehen gibt, dass er meine inakkuraten Linien missbilligt. Ich aber freue mich über die entstandenen Inselchen und die Vielfalt in meinem Garten und nenne seinen Rasen eine grüne Wüste. Die Insel-Methode wende ich auch Wochen später an, wenn die wilden Margeriten in die Höhe wachsen.

Dieses Jahr habe ich den Günsel mit seinen schönen blauen Blüten in meinem Rasen vermisst. Er wird mir doch nicht böse sein?

Wer ist denn nun der Held? Hat wirklich nur der Gärtner die Tapferkeitsmedaille verdient, Herr Thornton Wilder?

Günter Matiba