Die Grenzen der Mechatronik
Mein erstes Auto bekam ich 1970. Es war ein Renault R4 Lesen Sie auch meine Geschichte
Mein erstes Auto, ein R4. Da funktionierte noch alles mechanisch. Und wenn es einmal nicht funktionierte, dann half ein Blick in das Buch der Reihe Jetzt helfe ich mir selbst
. Dann konnte ich den Vergaser nachstellen oder mit der Kurbel des Wagenhebers den Motor anschmeißen. Ich war mein eigener Automechaniker.
Bereits wenige Jahre später war ich mit meinem Latein von 1970 am Ende, denn die Elektronik trat ihren Siegeslauf an. Mehr und mehr übernahm sie die Steuerung in allen technischen Geräten, auch in unseren Autos. Die Automechaniker wurden zu Kfz-Mechatronikern ungeschult. Seitdem ist nichts mehr wie früher.
Freitag, 21. Juni 2019
Ich fahre zur Probe meines kleinen Chores von Norderstedt nach Hamburg Hamm. Zwei Kilometer vor dem Ziel erscheint auf dem Display »GETRIEBE PRUEFEN«. Kurz darauf fällt die Leistung ab. Es scheint so, dass die Motorleistung nicht mehr vollständig auf die Räder übertragen wird. Ich kann nur vorsichtig Gas geben, denn sonst wird die Kraft gar nicht mehr übertragen. Mit eingeschalteten Warnblinkern schleiche ich die letzte Strecke des Weges zur Probe.
Ich verdränge meine Gedanken an den Getriebeschaden und bin zuversichtlich, den Wagen nach der Probe vorsichtig und mit Warnblinkern nach Hause fahren zu können. Aber o Wunder, der Wagen springt ohne Probleme an und die Störung ist wie weggeblasen. Trotzdem fahre ich sehr vorsichtig und nehme mir vor, das Auto am Montagmorgen in die Werkstatt zu bringen.
Montag, 24. Juni 2019
Nach einem störungsfreien Wochenende, an dem wir das Auto nur für kurze Strecken benötigen, bringe ich das Auto um 7:30 in die Werkstatt. Mir wird gesagt, dass der Bordcomputer gelegentlich spinnen würde. Man würde ihn auslesen und dann neu booten. – Um 16 Uhr kann ich den Wagen wieder abholen. Es heißt, nun sei alles in Ordnung.
Um 18:45 Uhr fahre ich zur Probe meines großen Chores nach Harvestehude. Die Fahrt läuft reibungslos. Als ich um 21:45 die Probe verlasse, kommt mir die Idee, einem anderen meiner Hobbys nachzugehen, nämlich möglichst preiswert zu tanken. Ich fahre also zur JET-Tankstelle an der Deelboege, denn die ist meist noch um einen Cent billiger als die JET an der Tangstedter Landstraße. Nach dem Tanken stelle ich den Tageszähler wie gewohnt auf null zurück. Der Kilometerstand zeigt 86.343 km.
Nun will ich aber nach Hause und starte den Wagen. Diverse Kontrolllampen gehen an, aber sonst tut sich nichts. Ich stelle die Automatik auf N und schiebe den Wagen von der Zapfsäule weg auf die Stellplätze neben der Waschanlage. Eine junge Frau, die gerade ihr Auto betankt hatte, springt hinzu und hilft mir beim Schieben.
Nun stehe ich da und guter Rat ist teuer. Ich mache noch einige Versuche, den Wagen anzulassen, aber er antwortet mir mit allerlei obskuren Meldungen auf dem Display: »ASR EIN«, »OEL NACHFUELLEN«, »STOERUNG BREMSSYSTEM«, »GETRIEBE PRUEFEN« und »BITTE CHIPKARTE ENTFERNEN«. Ich muss den Wagen also dort stehen lassen. So gehe ich zurück an den Nachtschalter und frage die Frau, ob ich den Wagen bis morgen dort stehen lassen könnte. Sie ist überaus verständnisvoll, eröffnet mir aber, dass dieser der Parkplatz für die Mitarbeiter der Waschanlage sei. Die würden bereits um sieben Uhr kommen. Ich könne aber den Wagen auf den Parkplatz des Chefs stellen, der auf der Rückseite des Gebäudes sei.
So rufe ich um 22:15 meine Frau über mein Smartphone an und wir überlegen gemeinsam, wie ich vorgehen könnte. Anschieben geht beim Automatik-Wagen nicht. Den Wagen auf den Chefparkplatz zu schieben erscheint mir zu schwierig, selbst mit Schiebehilfe, denn ich habe noch den Fahrradträger auf der Anhängerkupplung. Abschleppen ist die Alternative. Aber den ADAC haben wir gekündigt, als er 2014 in die Schlagzeilen geriet. Dann fällt uns der Aufkleber hinter der Sonnenblende mit der Telefonnummer des Renault-Pannendienstes ein. Dafür entscheiden wir uns. Ich wähle also 01802-365365, und nach kurzer Zeit meldet sich ein sehr verständnisvoller Herr mit sonorer Stimme, dem ich meine Lage schildere und meinen Standort durchgebe. Er fragt nach dem Kfz-Kennzeichen und einer bestimmten Nummer, die ich im Kfz-Schein finde. Ob ich denn das Auto regelmäßig warten ließe, möchte er wissen. Das kann ich bestätigen. Dann erklärt er mir, dass Renault bei regelmäßiger Wartung die Fahrbereitschaft verspricht, andernfalls wird der Wagen kostenfrei abgeschleppt. Er werde sofort die Pannenhilfe organisieren und mich dann zurückrufen.
Nach wenigen Minuten ist er wieder in der Leitung mit der Information, dass der Pannenhelfer auf dem Weg sei. Gleichzeitig kommt eine SMS mit dem Text: Der Pannenhelfer ist nun unterwegs. Er benötigt voraussichtlich zwanzig Minuten zu Ihnen
. Ein ergänzender Link führt mich auf eine Google Maps-Karte. Auf ihr ist mein Standort und der meiner Werkstatt markiert. Ein weiteres Symbol mit einem Abschleppwagen bewegt sich kontinuierlich in meine Richtung. Unter der Karte wird meine voraussichtliche Wartezeit eingeblendet.
Schließlich deckt sich das Abschleppwagen-Symbol fast mit dem meines Standorts. So steige ich aus, und da fährt er auch schon auf die Tankstelle, folgt meinen rudernden Bewegungen und hält neben meinem Auto. Auch er ist ausgesprochen freundlich, obwohl er grade dabei war, ins Bett zu gehen, als ihn der Notruf erreichte. Ich erwarte, dass er jetzt den Wagen Huckepack nehmen wird. Aber er setzt sich erst einmal in mein Auto und versucht zu starten. Damit hat er aber genauso wenig Erfolg wie ich. Dann öffnet er die Motorhaube und holt ein handkoffergroßes Gerät aus dem Abschleppwagen. Das schließt er an die Batterie an und prüft die Spannung. Sie ist leer. Dann startet er den Wagen mittels Überbrückung und prüft, ob die Lichtmaschine ihren Dienst tut. Das ist zum Glück der Fall.
Er eröffnet mir dann, dass ich nur
eine neue Batterie brauche. Und ich könnte jetzt selbst bis zu meiner Werkstatt fahren. Nur den Motor dürfe ich bis dahin nicht ausschalten! Er bittet mich dann, den Leistungsnachweis auf seinem Tablet zu unterschreiben, der wenige Augenblicke später auf meinem Smartphone erscheint, dann bedanke ich mich und wünsche ihm eine gute Nacht. Zwanzig Minuten später erreiche ich die Werkstatt, schalte den Motor aus und werfe den Schlüssel in den Nachtbriefkasten. Dann gehe ich den letzten Kilometer zu Fuß nach Hause, wo ich um Mitternacht ankomme.
Seit wir die neue Batterie haben, macht die Elektronik keine Probleme mehr. Es lag wohl wirklich nur an der kaputten Batterie. Aber seitdem beschäftigen mich zwei Fragen. Erstens: Warum wurde das Problem nicht bereits in der Werkstatt erkannt? Und zweitens: Warum erschien auf dem Display nicht einfach »BATTERIE LEER«?
Michael Malsch, Ende Juni 2019