8Okt2017

Erinnerungen – aufbewahren oder wegwerfen?

Renate Rubach

Ich will Schränke aufräumen und Platz schaffen.
Die kleinen Weingläser meiner Eltern, gerade für einen Likör geeignet – sie erinnern an eine Zeit, in der ein Gläschen Wein etwas ganz Besonderes war. Ob ich sie meinen Gästen mal als Weingläser auf den Tisch stelle? Auf die Gesichter bin ich gespannt, also kommen sie wieder in den Schrank.

Die rosa Glasschüssel, in der Mutti den leckeren Pudding auf Stachelbeerkompott servierte – ob meine Brüder sich erinnern? Sie führte ein Schattendasein ganz hinten im Schrank – in diesem Sommer haben wir sie für die Erdbeeren entdeckt. Sie sieht edel aus, besonders der Deckel mit dem dicken Knauf – ein Wunder, dass der noch nicht abgebrochen ist, ist ja mindestens 70 Jahre alt.

Ach und hier: die kleine Glasvase mit den roten Ringeln. Die ersten Schneeglöckchen hat Mutti im Frühling hineingestellt, und die Gänseblümchen, die wir mit unseren kleinen Kinderhänden für sie gepflückt haben.

Der kleine dunkelgraue Krug – Kunsthandwerk – einen Monat lang habe ich ihn im Schaufenster bewundert und gehofft, dass er nicht verkauft wird. Endlich, von meinem ersten Lehrlingsgehalt habe ich ihn erstanden für eine Mark und zehn Pfennige. Stolz habe ich ihn Mutti überreicht Eine kleine Freude für dich von meinem ersten selbst verdienten Geld. Mutti hat ihn bewahrt bis zuletzt, nun steht er bei mir – und dort bleibt er.

Na, aber die kleine weiße Schüssel, deren rote Punkte der Spülmaschine zum Opfer gefallen sind, die kann weg. Nein, höre ich von Günter, die stammt noch aus dem Haushalt meiner Mutter. Aber das kleine Glas, das einzige dieser Sorte? frage ich. Das ist das letzte Stück aus einer mal gesammelten Serie und hat gerade die richtige Größe für einen Portwein. Ich hole tief Luft und stelle es wieder in den Schrank. Wir haben zwar eine Serie Portweingläser, aber dieses eine wird jetzt immer benutzt und es ist seitdem auch fast immer Portwein im Haus.

Der kleine Wandersmann von meiner
Oma muss auf jeden Fall bleiben

So geht es weiter: Die kleinen Schwarzwaldpüppchen von Tante Fietsch erinnern mich daran, dass sie mit Onkel Ernst viele Reisen in den Schwarzwald gemacht hat und jedes Mal ein Püppchen mitbrachte – ein Pärchen davon sitzt nun noch in meinem Schrank.

Der kleine Wandersmann von meiner Oma muss auf jeden Fall bleiben. Er stand auf dem Bord über dem Sofa und war für mich Hänschen klein – ein Stück Erinnerung an Märchenstunden bei Oma.

So kann ich immer weiterschreiben. Überall finde ich Erinnerungen an die Kindheit, Eltern, Großeltern und Verwandte. Ganz zu schweigen von den gesammelten Urlaubserinnerungen: Miniatur-Krüge von Rhein und Mosel oder aus der Bretagne, Torero und Flamenco-Tänzerin und eine kleine Finca von Mallorca, Glasschälchen, in denen in Frankreich Nutella verkauft wurde – sie stapelten sich im Wohnwagen und nun im Küchenschrank ebenso wie die Kaffeetassen von einigen Flugreisen.

Bei einem Blick nach links fällt mir noch die Wanduhr von Tante Fietsch auf – sie geht zwar nicht mehr, hängt aber noch an der Wand.

Mit dem Aufräumen wird es wohl nichts – zu viele Erinnerungen hängen an den Dingen. Wer nicht mehr weiß, was sie bedeuten, kann sie entsorgen.

Renate Rubach, im Oktober 2017 / Erinnerungswerkstatt