11Dez2018

Über die Gleichberechtigung

Elena Orkina

Wenn ich im Fernsehen eine Sportlerin sehe, eine Gewichtheberin, die sich mit einer Stange plagt, schalte ich sofort aus und denke: Das ist der Preis für die Gleichberechtigung der Frau.

Um Gottes Willen, ich bin keine Gegnerin der Gleichberechtigung, ich bemühe mich immer, politisch korrekt zu sein, aber diese Frauenfigur im Fernsehen gefällt mir nicht.

Vor der Revolution 1917 hatte die Frau in Russland überhaupt keine Rechte. Sie hatte weder das Wahlrecht, noch durfte sie ohne Erlaubnis des Ehemannes oder des Vaters verreisen oder eine Arbeitsstelle annehmen. Uneheliche Kinder hatten keine Rechte, so ein Kind war eine Schande und manchmal wurden Frauen gezwungen, ihr Neugeborenes umzubringen.

Die Hochschulen waren für Frauen geschlossen, sie konnten keine Akademikerinnen werden. Mit Hilfe von privaten Kursen konnten junge Frauen ausgebildet werden, um in Dorfschulen als Lehrerinnen zu arbeiten oder als Hebamme zu praktizieren. In den Dörfern hatte die Frau das Recht, ebenso schwer wie Männer zu schuften. Die meisten waren Analphabeten, weil die Mädchen im Haushalt helfen mussten und nicht zur Schule gingen. Und wenn Männer ihre Frauen schlugen, war es eine normale Sache. Nur wenn die Frau dabei umkam, wurde vielleicht die Polizei gerufen.

Die Revolution brachte die Gleichberechtigung der Frau. Das Wahlrecht, die Unabhängigkeit vom Mann, das Recht zu Studieren und theoretisch alle Berufe auszuüben. Die Ehen mussten nicht unbedingt geschlossen werden, in der Ehe durfte die Frau ihren Geburtsnamen behalten. Und die Ideologin KollontaiAlexandra Michailowna Kollontai geb. Domontowitsch (* 31. März 1872 in Sankt Petersburg; † 9. März 1952 in Moskau) war eine russische Revolutionärin, Diplomatin und Schriftstellerin. Sie war die erste Ministerin und Botschafterin der jüngeren Geschichte. Kollontai setzte sozialreformerische Ideen in ihrer Zeit als Volkskommissarin um und engagierte sich für eine stärkere Bedeutung der Frau in der russischen Gesellschaft. Sie kritisierte wiederholt die Führer Lenin und Stalin, dennoch blieb sie das einzige Mitglied des ZK der KPdSU des Jahres 1927, das die von Stalin initiierte große Säuberung überlebte.Siehe Wikipedia.org hat die freie Liebe gepredigt, eine Theorie des Glas Wasser. Abtreibungen wurden erlaubt.

Allmählich veränderte sich die Lage. Die Diktatur hatte alle Rechte beschränkt, die der Frauen ebenso wie die der Männer, besonders in der Kriegszeit. Alle mussten hart arbeiten, für ein Arbeitsversäumnis landete man im Knast, Abtreibungen wurden kriminalisiert. In den Kolchosen waren Frauen berechtigt, einen Gespannpflug zu schleppen, weil die Pferde für die Armee mobilisiert wurden, und im GULAG waren sie berechtigt, in Sibirien bei minus 40 Grad die Bäume zu fällen. Auch an der Front waren viele Frauen dabei, als Ärztinnen, als Sanitäterinnen, als Funkerinnen, sogar als Pilotinnen. Aber es gab auch immer schlimme Nachreden über Frauen an der Front.

Nach dem Krieg, nach Stalins Tod, konnte man wieder über Gleichberechtigung nachdenken. Theoretisch war alles in Ordnung. Praktisch übten Frauen die schlecht bezahlten Berufe aus. Lehrerinnen in der Schule, Ärztinnen, Büroarbeiterinnen, Weberinnen in den Fabriken waren überwiegend Frauen. Und man konnte sehen, wie Frauen in roten Westen Eisenbahnschwellen schleppten, während ein Mann mit Bleistift ihr Tun steuerte. Eine Kosmonautin wurde ins All geschickt, die Presse prahlte über die Gleichberechtigung der sowjetischen Frau. Aber nur eine einzige Frau war zur Ministerin der Kultur aufgestiegen.

Aber in den Familien waren meistens Frauen für den Haushaltsetat verantwortlich, weil viele Männer Alkoholiker waren und sie am Tag der Lohnauszahlung von ihren Frauen an der Pförtnerloge abgefangen wurden, damit das Geld nicht versoffen wurde.

Aber die Frauen in der UdSSR haben für ihre Gleichberechtigung nicht gekämpft. Erstens, weil in einem totalitären Staat für etwas zu kämpfen aussichtslos bis lebensgefährlich ist. Zweitens, dazu hatten Frauen keine Zeit und keine Kraft, außer ihrer Arbeit hatten sie eine zweite Schicht im Haushalt. Und keiner konnte sie von ihrer Hauptaufgabe befreien, Kinder zur Welt zu bringen. Und die Frauen haben von männlichen Berufen gar nicht geschwärmt, keine wollte in der Armee dienen, Sprengmeisterin oder Grubenarbeiterin sein.

In Deutschland, denke ich, ist zurzeit mit der Gleichberechtigung alles in Ordnung. Alle Berufe schreibt man auch mit weiblicher Endung. Frauen sind Soldatinnen, Matrosinnen, Polizistinnen. Lesbische Ehen sind erlaubt und solche Paare dürfen Kinder bekommen. Und alleinerziehende Frauen genießen Anerkennung und Respekt.

Aber der Kampf für die Gleichberechtigung wird fortgesetzt.

Ich denke, manche kämpfen nur, weil sie in der Öffentlichkeit bemerkt und wichtig bleiben möchten. Für sie ist der Kampf selbst das Ziel.

Man kämpft, zum Beispiel, für einen höheren Prozentsatz der Frauen im Bundestag. Wozu? In der UdSSR hatten wir mit dem Prozentsatz schlechte Erfahrungen gemacht: In den Zwanzigerjahren hatten die Hochschulen hauptsächlich Proletarier aufgenommen, was sich sehr schlecht auf die Wissenschaft und Kultur im Land auswirkte. Eine kluge und energische Frau wird schon ihren Weg in die Politik finden – Indira Gandhi, Margaret Thatcher, Theresa May, Angela Merkel - sie alle sind ohne Prozentsatz ganz hoch gekommen.

Oder der Kampf wegen #MeToo, um das Dritte Geschlecht und so weiter. Es gibt doch viele Möglichkeiten. Man kann sich etwas Neues ausdenken. Zum Beispiel, Männer sollen eine Partei gründen und kämpfen, dass man ihnen ermöglicht, Kinder zu gebären, und dass die Krankenkassen die Kosten dafür übernähmen. Eine gute Idee, nicht?

Elena Orkina, im Dezember 2018