29Feb2016

Vom Niedergang der Handschrift
– Kein Meister ohne Übung –

Michael Malsch

Als ich zur Schule kam, wurde ich von den Erwachsenen oft mit dem deutschen Sprichwort Übung macht den Meister traktiert. Das bezog sich auch immer wieder auf meine Handschrift, denn ich war Linkshänder. Zu einer Minderheit zu gehören galt in der Menschheitsgeschichte schon immer als Makel. Und so wurde ich, als ich schreiben lernen sollte, auf das schöne Händchen umdressiert.

Meine beiden Gehirnhälften ließen sich aber nicht auseinanderdividieren. Denn während die linke lernte, mit rechts zu schreiben, lernte meine rechte Gehirnhälfte automatisch für die linke Hand mit. Das war ein schöner Nebeneffekt. Der Haken dabei war, dass sie spiegelverkehrt lernte. So kann ich heute, ohne es je geübt zu haben, mit links genauso gut (bzw. schlecht) schreiben, wie mit rechts, allerdings nur in Spiegelschrift. (Abb. 1)Abb.1

Man versuchte mich damit zu trösten, dass ich Ambidexter, also mit beiden Händen gleich geschickt sei. Aber ich wusste es besser: Meine linke Hand war die bessere, denn alle feinmotorischen Dinge mache ich mit links. […machte ich mit links mit links und mit rechts nicht mit links.] Auch alle Rechtshänder-Werkzeuge, wie Schere und Messer, kamen in die linke Hand. Das war zwar zu Beginn schwieriger, aber Übung macht ja den Meister.

Dass ich umdressiert wurde, hatte einen Vorteil: Meine Schrift wurde in der Schule nicht benotet. Denn meine Handschrift war wirklich nicht gut. Jedenfalls im Vergleich zu meinen Vorvätern. Mein Großvater Carl Malsch, Buchhalter im Bankhaus Warburg, war Ende des 19. Jahrhunderts Mitglied im Stenographischen Club des Bildungs-Vereins für Arbeiter und erhielt dort im Dezember 1896 Das Buch der Tierwelt als 1. Preis für seine Leistungen in den häuslichen Arbeiten. (Abb. 2)Abb.2 Er hatte wirklich eine beneidenswert gestochen schöne Handschrift.

Auch mein Vater hatte immer eine sehr ordentliche und gleichmäßige Handschrift, wie die Schriftproben von 1939 (Abb. 3)Abb.3 in deutscher Kurrentschrift und die aus den 1990er Jahren (Abb. 4)Abb.4 in lateinischer Schrift zeigen. Im Mai 1953 kommentiert er meine Handschrift in einem Brief an seine Eltern (Abb. 5)Abb.5 so: Unser Michael […] kann mit seiner Handschrift noch nicht eine Schönheitskonkurrenz veranstalten, wie du, lieber Vater, vor Jahren, aber er kann doch wenigstens schon schreiben im Gegensatz zu Thomas, der diesen Mangel heftig empfindet. Ich war gerade in die dritte Klasse gekommen, mein Bruder Thomas war frisch eingeschult.

Die Qualität meiner Schrift hat sich seit meiner Schulzeit (Abb. 6)Abb.6 nicht wesentlich verbessert. Heute schreibe ich eigentlich nur noch Geburtstagskarten und Einkaufszettel mit der Hand. Alles andere schreibe ich mit der Tastatur. Kein Wunder, dass dann die viel beschworene Übung fehlt, die den Meister macht.

Auch meine Söhne haben wegen mangelnder Übung keine gute Handschrift. Deren Schriftproben werde ich hier aber nicht veröffentlichen, um Grafologen nicht auf eine falsche Fährte zu führen. Denn trotz ihrer Handschriften haben sie alle einen prima Charakter. Und sie können die Tastatur mit mehr als zwei Fingern bedienen – im Gegensatz zu mir.

Von mir aus hätten Schreibmaschine und Computer schon vor Generationen erfunden sein sollen. Dann könnte ich die alten Familiendokumente meiner Vorfahren viel besser lesen und müsste mich nicht durch die meist in deutscher Kurrentschrift verfassten Dokumente quälen. So bleibt mir nur, die Generationen nach mir zu beneiden.

Schriftprobe: Deutsche Kurrentschrift

Auch mein Vater hatte immer eine sehr ordentliche und gleichmäßige Handschrift, wie die Schriftproben von 1939 (Abb. 3) in deutscher Kurrentschrift und die aus den 1990er Jahren (Abb. 4) in lateinischer Schrift zeigen. Im Mai 1953 kommentiert er meine Handschrift in einem Brief an seine Eltern (Abb. 5) so: Unser Michael […] kann mit seiner Handschrift noch nicht eine Schönheitskonkurrenz veranstalten, wie du, lieber Vater, vor Jahren, aber er kann doch wenigstens schon schreiben im Gegensatz zu Thomas, der diesen Mangel heftig empfindet. Ich war gerade in die dritte Klasse gekommen, mein Bruder Thomas war frisch eingeschult.

Von mir aus hätten Schreibmaschine und Computer schon vor Generationen erfunden sein sollen. Dann könnte ich die alten Familiendokumente meiner Vorfahren viel besser lesen und müsste mich nicht durch die meist in deutscher Kurrentschrift verfassten Dokumente quälen. So bleibt mir nur, die Generationen nach mir zu beneiden.


Michael Malsch