1Apr2019

Alle Vögel sind schon da

Margot Bintig

Während ich früher, als ich noch berufstätig war, die Natur und die Tierwelt in meinem direkten Umfeld kaum wahrnahm, denn ich war zu sehr mit den Alltagsproblemen beschäftigt, beobachte ich heute mit Freude und Erstaunen, was sich vor meinem Fenster und im Garten abspielt.

Wir haben auf unserer Terrasse, in unmittelbarer Nähe einer japanischen Zierkirsche, schon seit vielen Jahren ein Nistkästchen aufgestellt. Es ist jedes Jahr bewohnt und die Kinderstube für die nächste Genaration von Blaumeisen. Unsere Mieter, die jedes Jahr neu einziehen, sind so verschieden, wie sie auch in menschlichen Wohnungen sind. Im letzten Jahr hatten wir einen Heimwerker. Der hämmerte stunden- und tagelang am Einflugsloch, um es schöner zu gestalten. Seine Frau schaute nur zu und begutachtete die Arbeit. Erst nach beiderseitiger Zufriedenheit begannen sie mit dem Nestbau und dem Brüten. Sie zogen fünf Junge groß, denen wir bei Ausflug zusehen konnten. Nach getaner Arbeit flogen sie ohne Abschied und Mietzahlung auf Nimmerwiedersehen davon.

Dieses Jahr ist ein Pärchen Blaumeisen bei uns eingezogen, dass man wirklich nicht zum Nachbarn haben möchte. Die beiden verteidigen ihr Haus aggressiv gegen alle Vögel, die ihrem Eigentum zu nahekommen. Kein kleiner Vogel darf sich auf der Zierkirsche nebenan niederlassen, sie werden sofort von den Hausbesitzern vertrieben. Nur größere Vogel, wie Amseln werden ignoriert.

Nun kam der Frühling in diesem Jahr sehr früh und die Zierkirsche öffnete ihre Blüten. Ich war überrascht, dass der Baum die Blüten sofort wieder abwarf. Dann beobachtete ich, dass unseren gefiederten Mietern die Veränderung an dem Baum wohl nicht gefiel. Sie rissen Blüte um Blüte ab und warfen sie auf die Erde. War hier etwas zu fressen für sie drin? Oder was störte sie hier? Jedenfalls betrachtet das Paar nicht nur den Nistkasten, sondern auch den Baum als ihr Eigentum. Jetzt steht die Zierkirsche in voller Blüte und Familie Blaumeise kommt nicht mehr gegen die Blütenmenge an, ist aber immer noch damit beschäftigt, die einzelnen Blüten zu entfernen. Ich hoffe, sie vergessen darüber nicht ihre eigentliche Aufgabe. Vor ein paar Jahren konnte ich eine Amsel beobachten, die wohl eine Abneigung gegen unsere Tulpen hatte. Sie zerhackte mit sichtlicher Wut die Blätter und zerstörte so die Blumen. Auf unserem Nachbargrundstück stehen einige Tannen, die wie ein kleines Wäldchen anmuten. Hier tummeln sich die Eichhörnchen, Igel haben ihr Zuhause und eine große Artenvielfalt von Vögeln. In den vorderen Ästen hat die Nachbarin ein Futterhäuschen aufgehängt, das ganzjährig befüllt wird. Auch hängen immer große Meisenknödel an den Ästen.

Während ich hier am Computer schreibe, kann ich dem Treiben vor dem Fenster zusehen. Ich stelle fest, dass auch bei Vögeln die Charaktere und die Intelligenz sehr unterschiedlich verteilt sind. Während die Meisen immer in Bewegung sind und auch beim Fressen nach ein paar Sekunden wieder wegfliegen, sitzen Herr und Frau Dompfaff – die beiden sind immer gemeinsam unterwegs – bräsig im Futterhaus und fressen ganz ruhig bis sie satt sind.

Größere Vogel haben keine Chance an dem Futterhaus zu landen oder sich an die Meiseknödel zu krallen. Trotzdem haben sich die Rabenvögel verschiedene Strategien ausgedacht um an das Futter zu kommen. Ein Eichelhäher fliegt das an einer Schnur pendelnde Futterhaus heftig an und versetzt es so in Schwingung. Dadurch fallen die Körner aus dem Spender nach unten auf den Boden, die er dort sofort aufpickt. Andere Eichelhäher haben diesen Trick noch nicht drauf. Eine Rabenkrähe, die oft bei uns auf dem Rasen stolziert, fliegt auf den Ast, an dem der Meisenknödel an einer Schnur hängt, zieht mit dieser den Knödel nach oben und legt ihn in eine Astgabel - fertig ist die Mahlzeit, die in aller Ruhe genossen wird. Vom Knödel ist zum Schluss kaum noch was übrig. Die Amseln sehen immer mal wieder nach, ob vom Futterhaus etwas für sie heruntergefallen ist. Eigeninitiative entwickeln sie nicht.

Manchmal legen wir auf unserer Terrasse Erdnüsse aus. Eigentlich sind sie für die Eichhörnchen gedacht. Wie aus dem nichts kommt dann oft ein Eichelhäher angeflogen, obwohl lange keiner zu sehen war. Er nimmt sich ganz schnell eine Nuss, und weg ist er. Er muss dann wohl seine Kumpels informieren, denn nach kurzer Zeit ist der ganze Clan dieser hübschen Vögel in unserem Garten und die Schale mit Nüssen ist im Nu leer. Die Eichhörnchen haben in diesem Fall das Nachsehen.

Aber manchmal sind auch die Eichhörnchen schneller. Sie schnappen sich eine Nuss, rennen sofort weg und vergraben sie an verschiedenen Stellen. Wir haben beim Entsorgen von Blumenampeln schon Erdnüsse gefunden. Einmal habe ich beobachtet, wie unser schlauer Rabe auf einem Baum saß und dem Eichhörnchen bei seinem Treiben zusah. Sofort nachdem die Nuss verbuddelt war, holte er sie wieder heraus. Nachdem das ein paarmal passierte, merkte das Eichhörnchen den Betrug. Es ging sofort auf den viel größeren Raben los, der am Boden umherging. Aber anstatt wegzufliegen, krächzte er gegen das kleine Hörnchen, das aber wiederum keine Angst zeigte. Das Ganze dauerte mehrere Minuten, es kam zu keinem Körperkontakt aber es war eine gegenseitige Demonstration der Stärke, bei der der Vogel eindeutig die bessere Position hatte. Ich hatte den Eindruck, der Rabe hatte großen Spaß an dem Spiel, das er jederzeit durch wegfliegen hätte beenden können. Auch ich hatte meinen Spaß an dem Spektakel.

Ich kann auch hin und wieder einen Buntspecht beobachten; Grünlinge, Rotkehlchen, Finken und viele andere mehr, machen hier halt. Ein Pärchen Ringeltauben wohnt schon seit Jahren in den Tannen. Vor einer Taubenpopulation brauchen wir keine Angst zu haben, denn das Pärchen zeigt sich so innig ineinander verliebt, dass kein Dritter geduldet wird. Sobald eine weitere Taube dazukommt, wird sie gnadenlos verjagt.

Bei dieser ganzen Vogelvielfalt fehlen nur die SpatzenIn Preußen hatte man vor mehreren Jahren die Spatzen in die Acht erklärt, weil sie, wie man glaubte, dem Feldbaue sehr nachtheilig sein sollten. Jeder Bauer mußte jährlich zwölf Spatzenköpfe abliefern, wovon man Salpeter machte. Im zweiten oder dritten Jahr nach dieser Verordnung sah man aber, daß das Getreid auf dem Felde von den Insekten ganz abgenagt worden war, und dieser verdrüßliche Umstand nöthigte die preußischen Insassen, diese Vögel wieder auf das schleunigste aus den benachbarten Ländern zurückzuholen.Aus Harmonieen und Kontraste im Tempel der Natur Franz-Friedrich Fink - 1816, die früher am häufigsten vorkommende Vogelart in Deutschland. Wo sind sie geblieben?

Ich hoffe, dass unser kleines Biotop auf dem Nachbargrundstück nicht so bald der heutigen Hinterlandbebauung zum Opfer fällt.

Margot Bintig, März 2019