23Dez2022

Warnung! Politisch inkorrekt!

Elena Orkina

Knapp dreißig Jahre lebe ich nun schon in Deutschland – und darf schon manche Schlussfolgerungen ziehen: Wie haben wir uns geändert – Deutschland und ich.

Ich bin eine uralte Oma geworden, die nur meckern kann, und Deutschland?

Im Frühling 1993 war Deutschland warm und grün, unbekannte Menschen begrüßten einander auf der Straße und schauten mit Zuversicht in die Zukunft. Jetzt denke ich, es war ein goldenes Zeitalter Deutschlands, schade, dass es nicht lange dauerte.

In der U-Bahn beobachtete ich damals die deutschen Frauen. Man konnte sie mit Frauen aus Osteuropa nicht verwechseln: Die Deutschen hatten so ruhige, sorglos heitere Augen.

Nach dreißig Jahren sind deutsche Frauen in der U-Bahn in der Minderheit, und ihre Augen sind schwer zu sehen – die meisten sind in ihre Mobilgeräte vertieft. Aber Ängste und Sorgen hinterlassen ihre traurigen Spuren in den Augen eines Menschen, und heitere Augen haben nur die jungen Mädchen.

Auf den Spielplätzen sah man vor dreißig Jahren sehr viele blonde Kleinkinder. Ich habe nichts gegen schwarze oder braune Haare, solche Kinder sind auch schön und nett, aber die Blonden fehlen mir irgendwie im Gesamtbild. Die Kinder waren nett und meistens höflich, und Entschuldigung war für sie kein Fremdwort. Ich erinnere mich, wie ich an einer Haltestelle gesessen habe und neben mir zwei zehnjährige Jungen wetteten, wer weiter spucken kann. Ich fragte, wer denn hier saubermachen muss, und die Jungs sagten Entschuldigen Sie bitte. Heute hätte ich mich nicht getraut, solch eine Bemerkung zu machen. Vielleicht ziehen sie ein Messer aus der Tasche. Jugendliche machten mir damals die Tür auf und standen in der U-Bahn auf, jetzt kann man so was meist nur von Mädchen erwarten.

Meine Enkelin hat dafür eine Erklärung: In türkischen Familien drillt man nicht die Kinder — benimm dich, sei nett! — deshalb sind sie cool. Die deutschen Jungs wollen auch cool sein und machen es ihnen nach. Schade eigentlich. Schöne Umgangsformen sind ein Gut, das man bewahren und pflegen muss.

Aber die muslimischen Kinder bringen in unser Leben auch manch schöneTraditionen, beispielsweise Respekt alten Menschen gegenüber. Sie haben große Familien und lassen ihre Alten nicht vereinsamen. Bei meinem türkischen Nachbarn sehe ich am Wochenende auf dem Teppich vor der Tür eine Menge Schuhe – große und kleine. Und wenn ich mit einer schweren Tasche aus der Bahn aussteige, kommen mir in der Regel muslimische Männer zu Hilfe.

Als wir nach Norderstedt kamen, habe ich nette Bekanntschaften geschlossen. Es war das Ehepaar Klingspor, das ehrenamtlich uns Flüchtlingen geholfen hat. Damals waren viele Flüchtlinge aus Osteuropa und der UdSSR (Russisch-Deutsche und Juden) nach Deutschland gekommen. Herr Klingspor war mit seiner Schreibmaschine (PCs waren noch nicht weit verbreitet) zu den Familien gekommen und hat ihnen geholfen, Anträge zu stellen. Mit seiner Hilfe habe ich auch den Job in der Musikhalle bekommen. Die Klingspors haben mir den Weg zum Wald hinter dem Waldfriedhof gezeigt und für mich neue Pilze, die Maronen. Der Wald war schön. Ich erinnere mich an schönes Winterwetter mit viel Schnee, und plötzlich steht vor mir ein junges Reh!

Jetzt sieht der Wald vernachlässigt aus. Viele Reitwege wurden angelegt, und wenn Bäume gefällt werden, werden die Äste nicht entfernt. Ein trauriges Bild, leider …

Man kann natürlich den Klimawandel beschuldigen.

Das mit dem Klima ist eine Sache für sich. Ich verstehe, wenn man sich um gute Luft in unseren Städten sorgt und für umweltfreundliche Autos plädiert. Aber das Verlangen, gegen Klimawandel zu kämpfen, ist meiner Ansicht nach einfach ein populistisches Geschwätz. Klimawandel existierte noch vor unserer Zivilisation, und wir können nichts dagegen tun. Und viele Klimaaktivisten, besonders die Letzte Generation mit ihrem zivilen Ungehorsam müsste man endlich stoppen.

Von der Außenpolitik bin ich auch nicht begeistert.

Natürlich ist Putin ein ganz schlimmer Aggressor, aber in Russland hat er seine Wählerschaft. Die besteht aus Leuten, welche eine starke Hand wollen. Die erinnern sich, dass Russland einmal eine starke Macht war, und sind sehr stolz darauf, haben aber vergessen, dass das Land ein großer GULAG war, in dem sich keiner sicher fühlte. Und jede Sanktion kann ihren Stolz nicht trüben. Putin ist unberechenbar wie ein verwundeter Grizzly. Seinen Krieg gegen die Ukraine kann man nicht rechtfertigen. Aber es gibt ein russisches Sprichwort: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Irgendwie hätten er und Selenskyj sich geeinigt und Frieden geschlossen. Aber die USA will Russland schwächen und gießt mächtig Öl ins Feuer. Und jetzt hält Selenskyj seine Show in Washington ab. Amerikaner haben es gut: Sie haben ein bisschen mehr Zeit, um vor einer Atombombe in den Bunker zu laufen.

Und wir bleiben hier sitzen mit hohen Energiepreisen und teurer Wurst.

Ich wünsche allen ein schönes, sorgloses, gesundes neues Jahr 2023.

Elena Orkina, 23. Dezember 2022

Anmerkung der Erinnerungswerkstatt: Die Berichte geben die jeweilige Meinung der Autorinnen und Autoren wieder.